ntv fliegt im Awacs mit Das Auge der Nato ist jetzt immer in der Luft
22.10.2025, 17:09 Uhr Artikel anhören
Ob Drohnen, Flugzeuge oder gar Kampfflugzeuge: Immer öfter tauchen russische Flugobjekte nahe zum oder gar im Luftraum der Nato-Staaten auf. Die Militärallianz verstärkt deshalb ihre Präsenz im Osten, auch mit Aufklärungsflügen. ntv ist mitgeflogen.
Nieselregen auf dem Rollfeld des Nato-Stützpunkts Geilenkirchen, tief im Westen der Republik. Noch ein letzter prüfender Blick des Bodenpersonals auf die Technik der Boeing 707, der Bus mit der Besatzung fährt vor. An diesem Tag mit an Bord: 18 Nato-Soldaten aus acht verschiedenen Nationen. Sie tragen Proviant in braunen Papiertüten in das Flugzeug. Jeder Handgriff Routine.
Wie lange sie heute in der Luft sein werden, wissen die Soldatinnen und Soldaten noch nicht. Nur ein grobes Ziel ist bekannt: der Luftraum über Ostpolen. Seit Russlands Verletzungen des Nato-Luftraums vor einigen Wochen ist das Flugzeug namens Awacs dort fast täglich unterwegs. Die Flüge an die Ostflanke dauern in der Regel 15 Stunden, manchmal mehr. Darauf ist die Besatzung vorbereitet, denn auf so einer Mission kann vieles passieren.
Awacs ist eine Abkürzung für Airborne Early Warning and Control Force - das fliegende Frühwarnsystem der Nato. Das Herzstück des Systems ist das riesige Radar auf dem Dach der Boeing: "Wir können mit unserem Radar über 400 Kilometer weit aufklären. Das heißt, drei Awacs-Flugzeuge würden ausreichen, um ganz Europa abzudecken", sagt Christian Brett, Sprecher des Nato-Stützpunkts Geilenkirchen. Daher auch der Spitzname der Flotte: das fliegende Auge der Nato.
Röhrenmonitor und Hochtechnologie
In Geilenkirchen stehen 14 dieser Maschinen. Seit Beginn der Eastern Sentry Mission Ende September fliegen die wieder häufiger Richtung Osten. "Wir müssen einfach wissen, was ist an der Grenze los: Nähert sich ein Flugzeug? Wann nähert es sich? Aus welcher Richtung nähert es sich? In welche Richtung fliegt es? Um dann die richtigen Entscheidungen zu treffen", erklärt Brett.
Denn für ihre Entscheidungen braucht die Nato so viele Informationen wie möglich - und die liefert die Awacs. Die Daten, die das Radar sammelt, tragen dazu bei, ein Gesamtlagebild zu erstellen. Es wird erfasst, welche Flugobjekte im Luftraum unterwegs sind, aber auch Schiffe kann das Radar orten und identifizieren.
Das Flugzeug ist vollständig beladen, jedes Crew-Mitglied an seinem Platz. Die Boeing hebt ab, bis auf 9000 Meter Flughöhe. Das Anschnall-Zeichen erlischt. Schaut man sich im Inneren der Maschine um, kommt es einem beinahe so vor, als wäre man in eine Zeitmaschine geraten. Baujahr 1982, über 40 Jahre in Nutzung. Die Bildschirme erinnern an alte Röhrenmonitore, die Plastikumrandung ist leicht vergilbt. Die Technik dahinter sei aber auf modernstem Stand, betont der Nato-Sprecher.
Auftanken in der Luft
Bevor die Überwachungsspezialisten, die sogenannten Surveillance Operators, mit ihrer Arbeit an den Radar-Bildschirmen starten können, steht für den Piloten noch die größte Herausforderung des Tages bevor: die Betankung der Boeing in der Luft. Durch ein anderes Flugzeug. Jedes Mal geht das so: Nicht voll betankt zu starten, schont das Material. Außerdem ist vor dem Start meist unklar, wie viel Kerosin für den jeweiligen Awacs-Einsatz gebraucht wird.
"Am herausforderndsten ist es, die Energien der Flugzeuge richtig einzuschätzen und die zwei riesigen Maschinen stabil in die Kontaktposition zu bringen", erzählt Jason (seinen vollen Namen möchte er nicht öffentlich machen), ein US-amerikanischer Pilot im Cockpit. Beim Andocken trennen die beiden Flugzeuge keine drei Meter.
Vollgetankt erreicht der Aufklärer schließlich sein heutiges Ziel, das auch die Crew erst während des Flugs erfahren hat: den Luftraum über Ostpolen, am Dreiländereck zu Belarus und der Ukraine. Von diesem Standort aus kann die Nato mit dem Radar Aktivitäten weit im Osten, auch außerhalb des Nato-Luftraums, erkennen. Drei bis vier Stunden kreist die Awacs nun in der Luft, um den Soldatinnen und Soldaten an den Überwachungsbildschirmen Zeit zu geben, die Radarbilder auszuwerten - immer auf der Suche nach Unregelmäßigkeiten.
Die Männer und Frauen vor den Bildschirmen arbeiten erkennbar konzentriert, die Augen fest auf die kleinen, blinkenden Punkte vor ihnen gerichtet. An den Ärmeln ihrer Uniformen verschiedene Flaggen: Italien, Türkei, Portugal. Deutschland stellt die meisten Soldaten für die Missionen der Awacs, gefolgt von den USA. Das internationale Team, erzählen mehrere Crew-Mitglieder, mache die Arbeit hier aus.
Mobile Einsatzzentrale
Jeder Kontakt, der auf dem Radar-Bildschirm auftaucht, wird erkannt, überprüft und identifiziert: "Und das melden wir in Echtzeit. An alle Stellen, die mit uns zusammenarbeiten," erklärt die deutsche Surveillance-Operatorin Susanne S.. Identifizieren, das heißt, festzustellen, ob es sich bei den blinkenden Punkten jeweils um freundliche oder feindliche Aktivitäten handelt. Ist der Transponder eines anderen Flugzeugs ausgeschaltet, kann das auf eine feindliche Aktivität hinweisen. Dann prüfen die Operatoren, woher der Flieger stammen könnte.
Fliegt hier Freund oder Feind? Eine Surveillance Operatorin beobachtet vom Awacs aus den Luftraum.
(Foto: RTL News GmbH)
Erkennt das Radar russische Aktivitäten im Nato-Luftraum, wird es ernst. An Bord gibt es extra Sitzplätze und Bildschirme, von denen aus Kampfjets angeleitet werden können. Die Maschine wird zur fliegenden Kommandozentrale. "Wir sind in der Lage, eigene Kampfjets zu leiten und sie ins Ziel zu führen, wenn notwendig. Ohne dass wir am Boden jemanden dafür brauchen," erzählt S. Der Awacs-Flieger ist nicht bewaffnet. "Wir sind natürlich nur die Augen der Nato. Wir sind nicht die Hände. Wir können Informationen sammeln und weitermelden. Die Reaktion erfolgt dann meistens bei den Nationen selbst", sagt Brett.
Soweit das Szenario, in der Realität bleibt es auf den allermeisten Missionen aber ruhig. Sorgen müsse man sich jetzt trotz der russischen Provokationen im Nato-Luftraum nicht machen, sagt S.: "Das Beste, was wir machen können, ist rechtzeitig reagieren. Und alles, was wir sehen und aufnehmen, hilft uns, bestimmte Schritte einzuleiten." Details kann sie dazu nicht nennen, die Missions-Daten sind streng geheim.
Neue Bedrohung
Eine Schwachstelle gibt es in der Überwachung aus der Luft dennoch: Kleinere Drohnen sind für das Radar schwerer zu erfassen. Schließlich stammt die Maschine aus den 80er Jahren, eine Zeit, zu der Drohnen noch lange Science-Fiction waren: "Wir sind in erster Linie dazu da, Flugzeuge aufzuklären und Schiffe aufzuklären. Wir können Drohnen sehen. Das hängt aber sehr davon ab, in welcher Entfernung sie fliegen, in welcher Größe sie sind oder auch in welcher Höhe sie sich uns nähern. Das heißt, da gibt es bessere Systeme als unsere", sagt Sprecher Brett.
Die Awacs-Radaraufnahmen sind deswegen nur ein Teil des Gesamtlagebilds, das die Nato täglich von der Ostflanke erstellt. Nach sechseinhalb Stunden ist die Mission heute beendet. Vergleichsweise also ein kurzer Flug. An einem Tag ohne russische Provokationen. Die Crew kehrt zurück zum Stützpunkt Geilenkirchen. Aber bereits am nächsten Tag startet hier die nächste Awacs-Mission Richtung Osten. Das Auge der Nato bleibt wachsam.
Quelle: ntv.de