Politik

Nach der Waffenruhe mit Israel Der Libanon zwischen Hoffen und Bangen

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Familien sind zurückgekehrt: Ein kleines Mädchen in Tyre.

Familien sind zurückgekehrt: Ein kleines Mädchen in Tyre.

(Foto: picture alliance / Anadolu)

Die Freudenschüsse über die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah sind verhallt. Nun bleibt das kleine, zerrüttete Land mit großen Fragen zurück: Wird sich die Miliz an die Vereinbarung halten? Und wer zahlt für den Wiederaufbau?

Es war ein seltener Moment des Aufatmens für den Libanon. Wenige Stunden nach Inkrafttreten der Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz wurden die Menschen von Freudenschüssen statt von israelischen Luftangriffen geweckt. Nach einem Jahr Krieg schweigen nun die Waffen. Tausende Vertriebene kehren erleichtert in ihre Heimatorte im Süden und Osten zurück. Doch dort zeigt sich schnell, welche gewaltige Aufgabe nun vor dem Land liegt. Viele Ortschaften und Teile der Hauptstadt Beirut wurden zerstört, ganze Dörfer an der Grenze dem Erdboden gleichgemacht und Tausende Häuser beschädigt. Die Weltbank schätzt die Schadenshöhe auf etwa 8,5 Milliarden Dollar.

Für das kleine und zerrüttete Land am Mittelmeer, das seit mehr als 50 Jahren mit immer neuen Katastrophen zu kämpfen hat, brachte das Waffenruheabkommen mehr Fragen als Antworten. Einige davon lauten: Wer trägt die Kosten für den Wiederaufbau? Wird die militant-islamistische Hisbollah ihre Kämpfer und Waffenarsenale vollständig aus dem Süden abziehen und sich in das Gebiet nördlich des Litani-Flusses verlegen - und wie will die libanesische Armee das kontrollieren? Und wird Israel es letztlich akzeptieren, dass die Miliz zwar zurückgedrängt und angeschlagen, aber nicht zerstört ist?

Zugleich haben sich die politischen Spannungen zwischen Anhängern und Gegnern der Hisbollah während des Krieges nur weiter verschärft - es droht eine Instabilität, die die Waffenruhe gefährden könnte. Unter einigen wächst der Unmut über die proiranische Miliz, die aus ihrer Sicht einen weiteren katastrophalen Krieg mit Israel provozieren will.

Temporäre Ruhe oder ein Schritt zu langfristiger Sicherheit?

Während der 60-tägigen ersten Phase des Waffenruheabkommens auf Grundlage der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1701 sollen sich die Hisbollah und die israelischen Truppen aus dem Süden des Libanons zurückziehen. Das libanesische Militär soll dann die Kontrolle über das Gebiet übernehmen und sicherstellen, dass die Hisbollah ihre Stellungen dort dauerhaft aufgibt. Dies ist ein kritischer Punkt, denn der Armee droht eine gefährliche Konfrontation mit der stärkeren Miliz.

Der Hisbollah-Abgeordnete Hassan Fadlallah kündigte an, dass die Gruppe bei der Umsetzung der Waffenruhe mit der Armee zusammenarbeiten werde. Zugleich sagte er jedoch, dass die Streitkräfte nicht in der Lage seien, den Libanon gegen Israel zu verteidigen - eine Rolle, die die Hisbollah lange für sich beanspruchte und nach Fadlallahs Worten weiter ausfüllen wird. "Wenn Israel unser Land angreift, werden wir kämpfen und uns wehren", erklärte er. "Das ist unser Recht." Israel hat angekündigt, einzuschreiten, falls die Hisbollah sich nicht an ihre Verpflichtungen hält.

Der libanesische Kommentator Mike Asar sieht die heimische Armee in einer "unmöglichen Lage". "Zu suggerieren, dass sie die Hisbollah entwaffnen oder deren Infrastruktur zerstören kann, ist, offen gesagt, absurd", schrieb er in einem Online-Post. Aus Kreisen des libanesischen Militärs hieß es, die Truppen würden schrittweise in Gebieten im Süden stationiert, darunter solchen, aus denen sich die israelischen Truppen zurückziehen.

Der verarmte Libanon ist auf Unterstützung angewiesen

Der Libanon steckt seit Ende 2019 in einer lähmenden Finanzkrise. Millionen Menschen rutschten in die Armut ab, das Bankensystem wurde zerstört, und Strom steht jeden Tag nur für wenige Stunden zur Verfügung. Auch die Streitkräfte wurden in Mitleidenschaft gezogen. Viele Soldaten verließen die Truppe oder legten sich Nebenjobs zu, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Das Abkommen sieht neue Rekrutierungen und die Stationierung von weiteren 10.000 Soldaten südlich des Litani-Flusses vor. Doch ohne signifikante Finanzmittel ist das unmöglich - vor allem angesichts der hohen Wiederaufbaukosten, vor denen das Land jetzt steht.

Die internationale Gemeinschaft sagte bei einer Geberkonferenz in Paris im Oktober zwar eine Milliarde Dollar für den Libanon zu, davon 800 Millionen für humanitäre Hilfe und 200 Millionen zur Unterstützung der Armee. Doch nach Angaben von Hilfsorganisationen ist bisher kein Geld geflossen. Dem Hilfswerk Mercy Corps zufolge schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt des Libanons allein in den letzten beiden Kriegsmonaten um 6,4 Prozent oder 1,15 Milliarden Dollar. Die Organisation bemüht sich, vor dem Winter Unterkünfte für Vertriebene bereitzustellen. "Die schlimmsten Folgen für die Zivilbevölkerung könnten noch vor uns liegen", warnte die Libanon-Direktorin von Mercy Corps, Laila Al Amine.

Eine offene Frage ist die Finanzierung des Wiederaufbaus. Der Iran hat Hilfe angeboten, ist aber selbst klamm und steht unter westlichen Sanktionen. Von den ölreichen arabischen Golfstaaten, die den Wiederaufbau nach dem Krieg 2006 unterstützt hatten, ist diesmal eher keine Unterstützung zu erwarten: Denn sie sind der politischen Elite des Libanons überdrüssig.

Quelle: ntv.de, Kareem Chehayeb, AP

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