Politik

"Sie zählen nicht mal die Stimmen" Der "letzte Diktator in Europa" lässt wählen

Präsident Lukaschenko regiert Weißrussland mit harter Hand.

Präsident Lukaschenko regiert Weißrussland mit harter Hand.

(Foto: REUTERS)

Richtig überraschen dürfte der Wahlausgang niemanden. Auch am heutigen Sonntag werden die Weißrussen wieder den Autokraten Lukaschenko bestätigen. Immerhin: Einen nächsten Herrscher hat dieser offenbar schon parat.

Heute lässt sich Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko zum fünften Mal in Folge im Amt bestätigen. Wegen der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen des "letzten Diktators in Europa", wie Kritiker ihn nennen, hat die EU Sanktionen gegen Minsk verhängt. Es wirkt fast wie eine Ironie des Schicksals, dass die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch, deren wichtigste Bücher in ihrer Heimat verboten sind, am Donnerstag den diesjährigen Literaturnobelpreis zuerkannt bekam. Alexijewitsch reagierte umgehend mit dem Appell, "vor einem totalitären Regime dürfen keine Zugeständnisse gemacht werden".

Dass Lukaschenko Sanktionen und Kritik sonderlich tangieren, war bislang nicht zu beobachten. 61 Jahre ist er alt, seit 21 Jahren im Amt. Als er im September zur UN-Vollversammlung nach New York reiste, brachte der Staatschef seinen elfjährigen Sohn Kolja mit. Das sei ein klares Signal gewesen, meint Anatoli Lebedko, Chef der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei. "Er wird an der Macht bleiben, so lange er will, und präsentierte uns schon mal den nächsten Herrscher."

Lukaschenko und sein Sohn beim öffentlichen Kartoffelsammeln.

Lukaschenko und sein Sohn beim öffentlichen Kartoffelsammeln.

(Foto: REUTERS)

Nach Lukaschenkos letzter Wiederwahl 2010 gingen tausende Weißrussen auf die Straße. Der Autokrat ließ die Proteste blutig niederschlagen. Um den westlichen Kritikern vor der neuen Wahl den Wind aus den Segeln zu nehmen, ließ er kürzlich sechs inhaftierte Oppositionspolitiker frei, darunter einen einstigen Gegenkandidaten. Die sechs galten als letzte politische Gefangene in der früheren Sowjetrepublik. Doch keiner von ihnen darf bei der Präsidentschaftswahl antreten. Lukaschenkos Gegner haben zum Boykott der Wahl aufgerufen und warnen die EU, die Sanktionen aufzuheben.

Wie die Reaktion des Westens ausfallen wird, gilt als spannender als der Ausgang der Wahl selbst, an dem es keine Zweifel gibt. Einer Umfrage des Unabhängigen Instituts Sozioökonomischer und Politischer Studien zufolge unterstützen 47,5 Prozent Lukaschenkos Kandidatur. Von den drei anderen Kandidaten führte nur Tatjana Korotkewitsch eine Art Wahlkampf. Sie landete in der Umfrage bei 7,2 Prozent. Die beiden weiteren Kandidaten kamen auf kein nennenswertes Umfrageergebnis.

"Die Gesellschaft hat Angst"

"Für die Zukunft eines unabhängigen Weißrusslands": Wahlplakate mit Lukaschenko.

"Für die Zukunft eines unabhängigen Weißrusslands": Wahlplakate mit Lukaschenko.

(Foto: REUTERS)

Vor zehn Jahren habe es noch die Illusion gegeben, dass sich durch die Wahlen etwas ändert, sagt der erfahrene Oppositionspolitiker Winzuk Wjaschorka. "Jetzt weiß doch jeder, dass sie nicht mal die Stimmen zählen."

Resigniert äußerte sich auch die künftige Literaturnobelpreisträgerin Alexijewitsch, als sie vor zwei Jahren mit der Nachrichtenagentur AFP sprach: "Wir leben in einer Diktatur, Oppositionelle sind im Gefängnis, die Gesellschaft hat Angst, und gleichzeitig ist es eine vulgäre Konsumgesellschaft, die Menschen interessieren sich nicht für Politik." Die ganze Epoche sei "schlecht." Und Lukaschenko möge ihre Bücher nicht. Das wiederum mag kaum verwundern, beschreibt sie darin doch eindringlich das Leid der Bevölkerung.

Die Ukraine-Krise versucht Lukaschenko für sich zu nutzen, um sich als Diplomat in Szene zu setzen. So brachte er etwa seine Hauptstadt in die Schlagzeilen, weil dort die Friedensabkommen für die Ostukraine unter internationaler Vermittlung unterzeichnet wurden. Der Warschauer Politologe Pavel Usov erwartet gar, die EU werde ihre Sanktionen aufheben, "wenn die Wahl ruhig verläuft".

Im Umgang mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin sucht Lukaschenko, jede von dessen angreifbaren Flanken zu nutzen. Obwohl Moskau Minsk finanziell unterstützt, wischte er vor wenigen Tagen den Wunsch Putins barsch vom Tisch, in Weißrussland eine russische Luftwaffenbasis einzurichten. Die russischen Waffen hätte er dagegen gern. "Wir sind hier nicht allein gegen die Nato, wir stehen zusammen mit Russland", versicherte Lukaschenko.

Quelle: ntv.de, Tatiana Kalinovskaya, AFP

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