Politik

Wie die Union die SPD mürbe macht Der schwarz-grüne Köder wirkt

Verstehen sich prima: Kanzlerin Angela Merkel und Winfried Kretschmann, Baden Württembergs grüner Ministerpräsident.

Verstehen sich prima: Kanzlerin Angela Merkel und Winfried Kretschmann, Baden Württembergs grüner Ministerpräsident.

(Foto: imago stock&people)

Passt das zusammen? CDU und CSU treffen sich heute mit den Grünen zu Sondierungsgesprächen. Viele Spitzenpolitiker der Union werben lautstark für eine gemeinsame Koalition. Die Charmeoffensive gegenüber den Grünen ist ein genialer Bluff.

Schwarz mit Grün - für Mike Mohring sind die Dinge klar. "Die Mehrheit der Grünen-Wähler kommen aus dem bürgerlichen Lager, so gesehen gibt es in Deutschland eine bürgerliche Mehrheit", sagt er n-tv.de. Schnittpunkte mit den Grünen sieht der CDU-Fraktionschef im thüringischen Landtag vor allem in der Haushalts- und Energiepolitik. Große Koalitionen gingen im Zweifel immer, aber man dürfe sich nicht dauerhaft in Abhängigkeit zur SPD begeben, sagt Mohring, dessen Partei in Thüringen mit den Sozialdemokraten regiert. "Wir brauchen neue Koalitionsmodelle. Ich bin ein Fan von Schwarz-Grün."

Nur ein Flirt oder mehr? Viele Unionspolitiker zwinkern in diesen Tagen sehr offensiv in Richtung der Grünen.

Nur ein Flirt oder mehr? Viele Unionspolitiker zwinkern in diesen Tagen sehr offensiv in Richtung der Grünen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach der Bundestagswahl ist die Lage unübersichtlich, alles scheint plötzlich möglich - sogar Schwarz-Grün. Nach den Sondierungsgesprächen mit der SPD trifft die Union mit Kanzlerin Angela Merkel an diesem Donnerstag die Grünen. Mohring ist nicht der Einzige, der zurzeit eine ungenierte Charmeoffensive fährt. Die Chancen für ein Bündnis seien zuletzt "von theoretisch auf denkbar" gestiegen, sagt Umweltminister Peter Altmaier. Armin Laschet, Chef der NRW-CDU, betont: Die Entfernung zu den Grünen sei nicht größer als die zur SPD.

Der schwarz-grüne Flirt mag beeindrucken. Aber wie ehrlich sind die Lippenbekenntnisse? Hinter vorgehaltener Hand räumen fast alle ein, dass sie eine Große Koalition erwarten. Die Union nutzt die Grünen offenbar nur als Köder, um die Preise für Schwarz-Rot hochzutreiben.

Die Legender der roten Feiglinge

In einer schwierigen Lage: SPD-Chef Sigmar Gabriel.

In einer schwierigen Lage: SPD-Chef Sigmar Gabriel.

(Foto: imago stock&people)

Wochen nach Bundestagswahlen sind immer geprägt von Machtspielchen. Beliebt sind taktische Manöver und Finten, um Gegner zu verunsichern. Trotz ihres schwachen Wahlergebnisses fordert die SPD selbstbewusst einen "Politikwechsel". Vom eigenen Abschneiden berauscht, lässt auch die Union die Muskeln spielen. Dazu gehört die kühne Ansage, zwei echte Koalitionsoptionen zu haben. Die Botschaft in Richtung der SPD lautet: "Seht her, wir sind nicht auf euch angewiesen." Theoretisch hätte Schwarz-Grün aus Sicht der Union viele Vorteile: Umso kleiner der Partner, desto weniger Kompromisse, desto eindeutiger wäre die eigene Handschrift. Schlecht ist die Strategie nicht. Sie zwingt die SPD zur Demut.

Merkel & Co. kennen die Gefühlslage auf der Gegenseite. Die Koalitionsfrage spaltet die Sozialdemokraten. Ließen sie die Verhandlungen platzen, machten sie den Weg wohl frei für Schwarz-Grün und stünden als Feiglinge da. Umso genüsslicher traktieren die Konservativen in diesen Tagen das Gewissen der SPD. Der Bluff scheint aufzugehen. Viele Genossen fürchten plötzlich, ihren Lieblingspartner zu verlieren. "Dann wären wir allein auf Rot-Rot angewiesen", sagt Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident Torsten Albig. "Wenn es der Union gelingt, die Grünen aus dem linken Lager herauszubrechen, wäre das sicher problematisch für uns." Auch inhaltlich geht man auf die Union zu. Steuererhöhungen seien kein Selbstzweck, räumte SPD-Chef Sigmar Gabriel ein. Er sei offen für andere Vorschläge, um Investitionen zu finanzieren.

"Die Grünen haben eine bittere Niederlage erlitten"

Im Wahlkampf griffen die Grünen die Union offensiv an.

Im Wahlkampf griffen die Grünen die Union offensiv an.

(Foto: imago stock&people)

Die Große Koalition mit der SPD ist bequem, aber auf Dauer will sie niemand in der Union. Spätestens seit dem 22. September gilt: Koalitionspartner gesucht, gerne auch langfristig. Auf die FDP ist kein Verlass mehr, bleiben also nur die Grünen. Doch was der Kanzlerin fehlt, ist das Vorzeige-Experiment in einem Bundesland. In Hamburg scheiterte Schwarz-Grün ebenso vorzeitig wie die Jamaika-Koalition im Saarland. Im Bund würde ein Bündnis diesmal also weniger an der Union scheitern.

In der Ökopartei ist die Gemengelage nach der Wahlniederlage kompliziert genug. Als Verfechter von Schwarz-Grün gilt Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg: "Die Grünen haben eine bittere Niederlage erlitten und sind in einer Phase der Neuorientierung, aber das stellt unsere Regierungsfähigkeit nicht in Frage." Abgesehen von dem linken Wahlkampfkurs der Partei ließ sich zuletzt tatsächlich eine Annäherung beobachten. Große Konfliktlinien wie Atomkraft und Wehrpflicht sind weggebrochen. In der Menschenrechtskritik an Russlands Präsident Putin und dem NPD-Verbotsantrag ist man sich ebenso einig wie in Fragen der Bioethik. Auch bei den Themen Homo-Ehe und Frauenquote schwenkte die Kanzlerin in Richtung des Grünen-Kurses um.

Nicht zu sehr den Hals verdrehen

Trotzdem überwiegen nach wie vor die Differenzen. Die Grünen wollen bis 2013 aus der Kohleversorgung aussteigen, die Union will die Förderung erneuerbarer Energien beschneiden und an der Kohle festhalten. Die Ökopartei fordert die Anhebung des Spitzensteuersatzes sowie die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und einer Bürgerversicherung. Im Fall des Flüchtlingsdramas in Lampedusa kritisierte die neue Fraktionschefin Karin Göring-Eckardt die "Das-Boot-ist-voll-Politik" von CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich. Streit droht auch bei den Themen Ehegattensplitting, doppelte Staatsbürgerschaft, Vorratsdatenspeicherung und Rüstungsexporte. Anders als die SPD müssten die Grünen fürchten, dass sich in einer Koalition mit der Union kaum Zugeständnisse durchsetzen ließen.

Für die Mehrheit der Partei spricht derzeit also eher Boris Palmer. Tübingens grüner Oberbürgermeister, der eigentlich für eine Öffnung gegenüber der Union plädiert, warnt: Schwarz-Grün ginge "nur um den Preis des totalen Gesichtsverlusts der Grünen". Plötzlich mitzuregieren passt nicht zum Gefühl der Niederlage. Nach der Wahl setzt die Partei auf Neuanfang. Schwarz-Grün wäre eine Zerreißprobe. Ob die junge Generation sich schon zum Regieren berufen fühlt, scheint ungewiss. Es ginge schlichtweg zu schnell. Vorsicht scheint geboten. Nicht zu sehr den Hals verdrehen: Sonst droht ein ähnlicher Absturz wie bei der FDP.

Auch weil die SPD-Spitze wohl alles versuchen wird, um die Partei auf eine Große Koalition einzuschwören, dürfte es mit Schwarz-Grün aber noch mindestens vier Jahre dauern. CDU, CSU und Grüne sondierten übrigens bereits 2005. Nach dem eineinhalbstündigen Gespräch lobte Noch-Grünen-Chefin Claudia Roth damals zwar die "Entdämonisierung" durch die Union. Aber wenn überhaupt, dann sei Schwarz-Grün eine gemeinsame Perspektive "für morgen oder übermorgen". Acht Jahre später ist Roths Prognose noch immer aktuell.

Quelle: ntv.de

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