Politik

Neun Gründe, warum die SPD im September nicht jubelt Deshalb verliert Steinbrück die Wahl

Elfter SPD-Kanzlerkandidat UND vierter Kanzler? Die Chancen für Steinbrück stehen schlecht.

Elfter SPD-Kanzlerkandidat UND vierter Kanzler? Die Chancen für Steinbrück stehen schlecht.

(Foto: dpa)

Viel besser geht's wohl nicht: Mit einer kämpferischen Rede reißt Peer Steinbrück seine Partei in Augsburg mit. Doch so sehr die Genossen ihren Kanzlerkandidaten auch feiern: Es gibt neun Gründe, warum die Wahl im September für die SPD längst nicht mehr zu gewinnen ist.

In Augsburg war die Stimmung blendend, aber beendet eine Rede die Krise der Partei?

In Augsburg war die Stimmung blendend, aber beendet eine Rede die Krise der Partei?

(Foto: dpa)

So oft hat Michael Sommer die SPD in den vergangenen Jahren nicht gelobt, aber nach dem Programmparteitag fand sogar der DGB-Chef positive Worte: "Mit dieser Tonlage kann die SPD auch wieder bei ihrer Kernklientel punkten und darüber hinaus auch weit in das bürgerliche Lager hinein." Die SPD sei jetzt wieder die Partei der kleinen Leute, sagte er der "Saarbrücker Zeitung". Fünf Monate vor der Wahl hatte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit seiner Rede die Partei in Augsburg auf den Wahlkampf eingeschworen. Die Delegierten feierten ihn mit acht Minuten Applaus. Selbst die sonst recht kritische Parteilinke Hilde Mattheis schwärmte: "Das war eine wunderbare Rede".

Die Genossen waren mit schlechter Stimmung nach Augsburg gekommen, doch wie bei Steinbrücks Nominierung im Dezember in Hannover gelang es ihm, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Also alles wieder gut bei den Roten? Mitnichten. So sehr die SPD kurzzeitig gestärkt aus ihrem Parteitag hervorgehen mag, der Aufschwung kommt zu spät. Denn am Ende entscheiden die Wähler. Es gibt neun Gründe, warum die Partei und ihr Kanzlerkandidat die Bundestagswahl am 22. September nicht mehr gewinnen können:

1. Der Kandidat Steinbrück ist zu stark beschädigt

Es zählt vor allem das Programm - kaum ein Satz ist in den vergangenen Monaten von SPD-Politikern häufiger zu hören. Von der Zugkraft ihres Kanzlerkandidaten sind die Genossen nicht mehr wirklich überzeugt. Woran es liegt? Kaum war Steinbrück Kanzlerkandidat, entbrannte auch schon die Debatte über seine Nebeneinkünfte. Zusätzlich zu seiner Abgeordneten-Pension verdiente Steinbrück "nebenbei" fürstliche 1,25 Millionen Euro. Was folgt, ist ein kurioses Pannen-Kabinett: Roman Koidl, Fünf-Euro-Wein, Kanzlergehalt, Frauenbonus, Peerblog, Clowns, Wahlkampfslogan. So übertrieben einige von Steinbrücks Fettnäpfchen auch ausgeschlachtet wurden: In der öffentlichen und medialen Wahrnehmung beeinflussten sie das Bild des SPD-Kanzlerkandidaten massiv. Es geht eben doch nicht nur um Inhalte.

2. Die Umfragen lügen nicht

Im Herbst 2012, vor Steinbrücks Kür, steht die SPD in Umfragen der großen Institute Forsa, Emnid und Infratest Dimap bei 30 Prozent. Ein halbes Jahr später wünscht man sich zurück zu diesen Zuständen. Denn die Meinungsforscher belegen seither eher einen Kandidaten-Malus statt einen -Bonus. Die SPD steht inzwischen nur noch zwischen 23 und 26 Prozent. Zusammen mit den Grünen kommen die Genossen derzeit lediglich auf etwa 40 Prozent. Trend: negativ. Steinbrücks Schuld? Ja, denn er ist noch unbeliebter als seine Partei. Bei der Kanzlerpräferenz liegt Angela Merkel mit fast 60 Prozent deutlich vor ihrem Herausforderer mit 19 Prozent. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Lage der SPD verbessert, wenn sie im Spätsommer Großplakate mit Steinbrücks Gesicht aufstellt.

3. Die SPD bewegt sich mit ihrer Ausschließeritis ins Abseits

Ewige Treue? Claudia Roth besuchte die SPD auf ihrem Parteitag.

Ewige Treue? Claudia Roth besuchte die SPD auf ihrem Parteitag.

(Foto: dpa)

Rot-Grün und nichts anderes, das Koalitionsbekenntnis von Steinbrück ist klar. Alles andere - Große Koalition, Ampel, Rot-Rot-Grün - hat der SPD-Kanzlerkandidat eindeutig ausgeschlossen. Zu kategorisch, um es am Ende doch noch anders zu machen. Und wenns dann doch nicht reicht? Egal, die Umfragen können noch so schlecht sein, Zweifel will man im Willy-Brandt-Haus nicht aufkommen lassen. Die Debatte über eine Minderheitsregierung wurde daher eher erstickt als konstruktiv geführt. Jeder weiß: Notfalls würde die SPD wohl auch wieder eine Große Koalition eingehen. Steinbrück müsste sich, würde er zu seinem Wort stehen, zurückziehen. Ärger droht dann jedoch bei den nächsten Wahlen mit den eigenen Wählern, die Bundestagswahl 2009 und das historisch schlechte Ergebnis von 23 Prozent lassen grüßen. Und die Grünen? Auch die Ökopartei wünscht sich Rot-Grün. Aber auffällig ist: Einer schwarz-grünen Koalition werden öffentlich zwar keine großen Sympathien bekundet, kategorisch ausgeschlossen wird sie aber nicht. Die Taktik ist nicht dumm: Man weiß ja nie, wie flexibel man am Wahlabend nach 18 Uhr noch sein muss. Die SPD ist es dann nicht mehr.

4. Kandidat und Programm passen nicht zueinander

Im Herbst klingt es nach einem genialen Schachzug. Mit Peer Steinbrück will die SPD Stimmen aus dem bürgerlichen Lager abgreifen. Doch tatsächlich ist das Wahlprogramm inzwischen viel zu links. Mit der Einführung eines Mindestlohns und der Erhöhung des Spitzensteuersatzes sind CDU und FDP wohl kaum Wähler abspenstig zu machen. Der Spagat - rechter Kandidat, linkes Programm - geht sogar ordentlich nach hinten los. Für viele leidet nämlich vor allem Steinbrücks Glaubwürdigkeit unter der Konstellation. So war er früher Gegner des Mindestlohns, heute betont er hingegen seine Notwendigkeit. Auch gegenüber Themen wie der Frauenquote und der Vermögenssteuer zeigt sich Steinbrück plötzlich offen. Passt das zusammen? Dabei betont doch der 66-Jährige immer beharrlich, er lasse sich nicht verbiegen. Doch inhaltlich ist das offenbar längst geschehen. Ausgerechnet der Vortragsmillionär soll jetzt bei den Wählern für soziale Gerechtigkeit werben? Das geht nicht gut.

5. Die Bundesregierung ist unbeliebt - na und?

3b325601.jpg383900458292711503.jpg

(Foto: dpa)

Laut dem ZDF-Politikbarometer wünscht sich nur jeder vierte Deutsche, dass die schwarz-gelbe Koalition nach der Bundestagswahl im Herbst fortgesetzt wird. Nur jeder Dritte verbindet Aufbruch, Gerechtigkeit und Harmonie mit der Bundesregierung. Die ständigen Streitereien zwischen CDU, CSU und FDP sind vielen Wählern ebenso negativ in Erinnerung wie subjektiv empfundene Fehlentscheidungen wie das Betreuungsgeld. Für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten müsste das eigentlich eine Steilvorlage sein. Doch paradoxerweise treibt die Unzufriedenheit kaum Wähler zu den Sozialdemokraten. So bitter das klingt: Viele glauben offenbar nicht daran, dass die SPD in der Bundesregierung eine bessere Figur machen würde.

6. Es nutzt nichts, dass das Programm gut ankommt

Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse, Bändigung der Finanzmärkte, Abschaffung des Betreuungsgeldes - viele Forderungen aus dem SPD-Wahlprogramm erfreuen sich in der Bevölkerung großer Popularität. Thematisch ist das, was Rot-Grün anbietet, offenbar en vogue. Doch abstruserweise hilft auch das der SPD nicht dabei, Wähler zu mobilisieren. Nachdem die Partei im März ihr Wahlprogramm präsentiert hatte, gab es in den Umfragen keinen Aufschwung. Die Glaubwürdigkeit Steinbrücks leidet nicht nur an seinen Fettnäpfchen. Als problematisch erweist sich auch der extreme programmatische Schwenk der SPD. Zehn Jahre nach deren Verabschiedung revidiert die Partei plötzlich in weiten Teilen ihre Agenda 2010. Wäre man bereit, die offensichtlichen Fehler und die daraus resultierenden Lehren deutlicher einzugestehen, wäre die Wende für die Anhänger nachvollziehbarer. Aber stattdessen fährt Steinbrück eine gefährliche Doppelstrategie: Die Agenda wird von ihm immer wieder ausdrücklich gelobt und verteidigt, gleichzeitig fordert er jedoch Korrekturen. Für viele SPD-Anhänger passt das nicht zusammen.

7. Steinbrück ist in der eigenen Partei zu umstritten

Mit seiner plötzlichen Kür beendete Sigmar Gabriel im September 2012 die monatelange Personaldebatte um den SPD-Kanzlerkandidaten.

Mit seiner plötzlichen Kür beendete Sigmar Gabriel im September 2012 die monatelange Personaldebatte um den SPD-Kanzlerkandidaten.

(Foto: dpa)

Weil sich Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten verplapperte, musste die SPD schnell reagieren. Ende September zog Parteichef Sigmar Gabriel die Kür des Kanzlerkandidaten schließlich vor. Steinbrück soll's machen. Wer auch sonst? Er war der einzige, der noch übrig blieb, weil Steinmeier nicht wollte und Gabriel aufgrund seiner mangelnden Popularität nicht konnte. Vor allem die Parteilinke lief Sturm und beklagte die mangelnde Mitsprache. Wieso macht man es nicht wie bei den Grünen, die ihre Mitglieder über ihre Spitzenkandidaten abstimmen lassen? Die Sturzgeburt missrät ordentlich. Durch die Debatte um seine Nebeneinkünfte ist Steinbrück schon vor dem Nominierungsparteitag im Dezember eher eine Belastung. Schließlich arrangiert sich die SPD-Linke mit dem unbeliebten Kandidaten und fordert dafür größeren Einfluss auf die Inhalte. Nach außen gibt sich die Partei fortan zwar geschlossen, doch ein Eindruck bleibt bis heute bestehen: Die SPD und ihr Kandidat treten bisweilen häufig nicht im selben Takt. Immer wieder üben führende Genossen Kritik. Ihnen missfallen die nicht abgesprochenen Vorstöße Steinbrücks. Seinem Beraterteam halten sie vor, zu leichtfertig doppeldeutige Zitate freigegeben zu haben. "Das Wir entscheidet", der Slogan für den sich die Partei in der vergangenen Woche entschieden hat, passt bisher so überhaupt nicht zum Bild dieses Wahlkampfs. Selbst unter SPD-Anhängern sind die Zweifel an Steinbrück groß: Laut einer Emnid-Umfrage spricht ihm inzwischen fast jeder dritte Anhänger aus den eigenen Reihen die Kanzlerfähigkeit ab, 48 Prozent sind sogar der Meinung, mit einer anderen Person an der Spitze stünde man besser da.

8. Die Union macht der SPD die Positionen streitig

"Die Kanzlerin klebt Etiketten auf Flaschen, in denen nichts drin ist", sagt Steinbrück. Und: "Sie kommt auf unser Spielfeld." Damit hat er eines seiner größten Probleme ausgemacht. Doch er kann dem kaum etwas entgegensetzen. Ob Atomausstieg, Wehrpflicht, Abschied von der Hauptschule, Öffnung gegenüber der Mindestlohn-Variante in Form von Lohnuntergrenzen: Nach und nach schwenkt Kanzlerin Merkel bei vielen Themen auf den Kurs der SPD um. Dass sie immer wieder mit vermeintlichen Bastionen der Konservativen bricht, sorgt im Willy-Brandt-Haus für Argwohn. Die Kanzlerin hebe ihren Finger nicht, um die Richtung zu weisen, sondern um zu testen, wohin der Wind weht, kritisierte Steinbrück auf dem Augsburger Parteitag. Den Wählern ist das offenbar schnuppe. Viele loben sogar, dass die CDU frühere Positionen inzwischen überdacht und sich damit modernisiert hat. Die SPD dagegen verliert immer mehr Alleinstellungsmerkmale. Die Alternative, die die Genossen eigentlich aufzeigen wollen, ist verwischt. Selbst beim Thema Homo-Ehe gab es in der Union zuletzt immer mehr Signale in Richtung Gleichstellung.

9. Gegen die Kanzlerin kommt Steinbrück nicht an

Es ist schon merkwürdig. Von Schwarz-Gelb haben viele Wähler die Nase voll. Doch die Chefin derselben Bundesregierung verehren die meisten Deutschen nahezu. Neben Bundespräsident Joachim Gauck ist sie mit Abstand die beliebteste Politikerin. Steinbrück hat im direkten Vergleich keine Chance gegen Merkel. Sympathie, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Sachverstand, Bürgernähe, Ehrlichkeit - bei sämtlichen Persönlichkeitswerten, sogar bei der sozialen Gerechtigkeit, liegt sie deutlich vor ihrem Herausforderer. Die SPD kann Merkel noch so sehr kritisieren, dass sie zu häufig zaudert, sich nicht eindeutig festlegt oder frühere Positionen aufgibt. Doch dass die Kanzlerin im Gegensatz zu Steinbrück im Zweifel lieber schweigt, ist für viele eine ihrer großen Stärken. "Das Ungefähre schützt vor Kritik und Anwürfen. Sie bleibt gern so lange wie möglich in Deckung", sagte Steinbrück selbst in einem Interview. Vor allem persönliche Attacken gegen sie sind für ihn daher gefährlich. Denn auf ihre Kanzlerin lassen die Deutschen nichts kommen. Das wird sich auch in den kommenden 160 Tagen nicht ändern.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen