Politik

Deutsch-polnisches Barometer "Deutschland ist in Polen Thema am Familientisch"

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Auf der Ostseeinsel Usedom sieht die deutsch-polnische Grenze idyllisch aus.

Auf der Ostseeinsel Usedom sieht die deutsch-polnische Grenze idyllisch aus.

(Foto: picture alliance / dpa)

Deutsche und Polen sind einander nah und fremd zugleich, so das aktuelle deutsch-polnische Barometer. Es zeigt auch: Stärker als Deutschland ist Polen ein gespaltenes Land. Und Deutschland ist in Polen sehr viel häufiger ein Thema als umgekehrt.

Deutschland und Polen sind Nachbarn, deren Beziehung geprägt ist durch eine wechselvolle gemeinsame Geschichte, die mit dem deutschen Überfall auf Polen und dem damit verbundenen Nazi-Terror während des Zweiten Weltkriegs, der sechs Millionen polnischen Staatsbürgern das Leben kostete, ihren traurigen Höhepunkt erreichte.

Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 entwickelten sich die Nachbarn zu Partnern. Zunächst durch den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag 1991, seit den polnischen Beitritten 1999 und 2004 auch in der NATO und in der Europäischen Union.

"Zwischen Nähe und Fremdheit"

Doch was wissen und denken die Menschen in den Ländern über den jeweiligen Nachbarn? Dieser Frage geht seit dem Jahr 2000 das deutsch-polnische Barometer nach, welches vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Warschau unter anderem in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit erstellt wird. Seit 2020 ist auch das in Darmstadt beheimatete Deutsche Polen-Institut Partner der Studie. Am morgigen Donnerstag wird das Ergebnis der diesjährigen Umfrage, bei der je 1000 Polen und Deutsche im Alter von 18 bis 75 Jahren befragt wurden, in Berlin offiziell vorgestellt. Mit den Ergebnissen der diesjährigen Studie durfte sich ntv.de schon vorab bekannt machen.

Wie es um die deutsch-polnische Nachbarschaft bestellt ist, verrät schon der Titel des diesjährigen Barometers: "Deutsche und Polen - Zwischen Nähe und Fremdheit". Dabei ist eine Grundlage für ein gegenseitiges Interesse durchaus vorhanden. Sowohl eine deutliche Mehrheit der befragten Polen (75 Prozent) als auch der Deutschen (82 Prozent) gaben an, sich für internationale und europäische Politik zu interessieren.

Unterschiede bei den Informationsquellen

Bei den Wissensquellen über das internationale Geschehen zeigen sich jedoch die ersten Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungen. Während die Deutschen ihre Informationen vorwiegend aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen (69 Prozent), privaten Fernsehsendern (66 Prozent), öffentlich-rechtlichen Radioanstalten (59 Prozent), frei zugänglichen Internetportalen (56 Prozent), Facebook (54 Prozent) und klassischen Printmedien sowie ihren Onlineablegern (48 Prozent) gewinnen, ist Facebook mit 69 Prozent die zweitwichtigste Quelle der Polen. "Hier sind wir bei unserer Umfrage an unsere Grenzen gestoßen, da wir nicht nachfragen konnten, ob es sich um Beiträge über Politik, also auch zum Beispiel über Deutschland, von Familienangehörigen oder Bekannten handelt, oder um fragwürdige Accounts, die beispielsweise Sachverhalte falsch wiedergeben", sagt Agnieszka Łada-Konefał ntv.de. Zusammen mit Jacek Kucharczyk ist Łada-Konefał Autorin der Studie.

Beim Thema Informationsquellen gibt es noch einen anderen Unterschied zwischen Deutschen und Polen. Während parteipolitische Präferenzen in Deutschland außerhalb der Gruppe der AfD-Wähler kaum beeinflusst, welche Medien jemand nutzt, ist dieser Zusammenhang im politisch tief gespaltenen Polen eindeutig. Die privaten Fernsehsender nutzen zwar 72 Prozent der Polen regelmäßig, wodurch diese die wichtigste Informationsquelle sind. Anhänger der in Polen regierenden PiS bevorzugen jedoch das staatliche Fernsehen TVP oder die staatlichen Radiostationen, die von den Nationalkonservativen in den vergangenen Jahren zu ihren Sprachorganen umgebaut wurden. Für alle Polen sind sie mit 38 beziehungsweise 26 Prozent nur die fünft- beziehungsweise siebtwichtigste Quelle. Interessanterweise geben ebenfalls 38 Prozent der polnischen Befragten an, ihr Wissen aus Video-Blogs auf Youtube zu gewinnen.

Deutschland ein Thema polnischer Familien

Das Ergebnis der diesjährigen Studie bietet aber auch für die Verantwortlichen des deutsch-polnischen Barometers einige Überraschungen. "Besonders spannend an dem diesjährigen Barometer sind die Antworten zu den Wissensquellen über das jeweilige Land", sagt Łada-Konefał. Während Fernsehprogramme mit 37 Prozent diesbezüglich die meistgenannte Quelle der befragten Deutschen sind, ist es für die Polen mit 46 Prozent die Schule. Von den deutschen Teilnehmern des Barometers gaben dagegen nur 28 Prozent diese als ihre Wissensquelle über Polen an - Polen ist in deutschen Schulen offenbar kein großes Thema. Fernsehsendungen sind für Polen mit 42 Prozent die zweitwichtigste. Erstaunlich sind jedoch die darauffolgenden Plätze. Äußerungen von Politikern sind mit 40 Prozent die viertwichtigste Informationsquelle der Polen über Deutschland. "Mich persönlich hat es überrascht, dass so viele Polen diese Antwortoption nennen", gesteht Łada-Konefał.

Das zeigt, wie sehr Deutschland in der polnischen Politik zum Thema geworden ist. Die in Polen regierenden Nationalkonservativen und die ihnen nahestehende Medien bringen Deutschland fast täglich ins Spiel, und sei es, um die Opposition als Lakaien Berlins zu diskreditieren. Nicht ohne Grund beklagte diese Woche Arndt Freytag von Loringhoven, der scheidende deutsche Botschafter in Polen, in einem Interview mit der Tageszeitung "Rzeczpospolita", dass die PiS dazu neige, Deutschland auf Kosten der bilateralen Beziehungen zu attackieren, um die Stimmen rechter Wähler zu gewinnen. Wie präsent Deutschland im Alltag der Polen ist, zeigt ein weiteres Ergebnis dieser Frage. Mit 41 Prozent sind Gespräche mit Familienmitgliedern die drittwichtigste Informationsquelle über Deutschland. "Deutschland ist in Polen ein Thema für den Familientisch", resümiert die Politikwissenschaftlerin Łada-Konefał das überraschende Ergebnis. Umgekehrt ist das eher nicht der Fall, in Deutschland sagen nur 26 Prozent der Befragten, dass sie in der Familie über das Nachbarland sprechen.

Für viele Deutsche ist Polen "kein cooles Urlaubsland"

Eine große Diskrepanz zwischen Deutschen und Polen gibt es auf die Frage, ob man schon einmal seit 1989/90 das jeweils andere Land besucht hat. Während 50 Prozent der befragten Polen die Antwort bejahen, sind es nur 33 Prozent der Deutschen. "Für viele Deutsche war und bleibt Polen ein nicht so cooles Urlaubsland", fasst Łada-Konefał zusammen. Wobei sie und ihr Co-Autor darauf verweisen, dass dieser Unterschied sich nicht nur durch das touristische Interesse der Polen erklären lässt. Mit 28 und 22 Prozent geben diese auch berufliche und familiäre Gründe für ihre Reisen an. Bei den zahlreichen polnischen Berufspendlern und den rund 2,5 Millionen in Deutschland lebenden Menschen, die in Polen ihre familiären Wurzeln haben, ist das nicht erstaunlich.

Dennoch sollte man die Bedeutung dieser Reisen nicht unterschätzen. Denn wie das deutsch-polnische Barometer zeigt, spielen gerade Reisen eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der Politik oder der Wirtschaft im jeweiligen Nachbarland: Befragte, die das andere Land schon einmal besucht haben, neigen eher dazu, positiven Aussagen darüber zuzustimmen. Auf polnischer Seite sind allerdings leichte Veränderungen zu beobachten. Das politische System und auch die deutsche Wirtschaft werden von der Mehrheit der befragten Polen weiterhin positiv beurteilt. "Doch durch die Kenntnisse und das Wissen, das man mittlerweile hat, aber vor allem durch die Veränderungen in Polen selbst, welche die Lebensverhältnisse in Deutschland und Polen näherbringen, ist die Bewunderung nicht mehr so unkritisch wie noch vor einigen Jahren", erklärt Łada-Konefał.

Die Zustimmung zur deutschen Politik dürfte sinken

Die spannende Frage ist, wie sich die deutsch-polnischen Beziehungen im Schatten des Krieges in der Ukraine weiterentwickeln werden. Da die aktuelle Umfrage vom 14. bis zum 22. Februar durchgeführt wurde, also noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, wird erst das nächste deutsch-polnische Barometer eine Antwort auf diese Frage liefern können. Eine Momentaufnahme gab es jedoch mit einer vor einigen Wochen erschienenen Sonderausgabe des Barometers, dessen Ergebnis zeigt, dass sich Polen und Deutsche in ihrem Bedrohungsgefühl durch Russland, in ihren Ansichten zu höheren Ausgaben für die Verteidigung und zu größerer Energieunabhängigkeit von Russland einander angenähert haben.

Ob sie jedoch auch langfristig "mit einer Stimme" sprechen werden, ist fraglich. Das aktuelle Barometer zeigt, wie unterschiedlich die Vorstellungen von einer gemeinsamen Europapolitik sind. 43 Prozent der polnischen Befragten wünschen sich eine stärkere Zusammenarbeit mit Deutschland für die Energieunabhängigkeit Europas, 29 Prozent sagen dies über eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO. Bei den deutschen Teilnehmern sind dies nur 26 und 20 Prozent. 27 Prozent der Deutschen wünschen sich wiederum eine Zusammenarbeit bezüglich einer gemeinsamen Asylpolitik - Platz drei von zehn Themen. Auf polnischer Seite sind es nur 13 Prozent - letzter Platz.

"Die teilweise antideutsche Rhetorik der PiS hat in den letzten Jahren mehr Resonanz gefunden. Die deutsche Energiepolitik, die über Jahre auf Russland orientiert war, oder nun Berlins Haltung bei der Unterstützung der Ukraine, wird in Polen auch von Anhängern der Opposition kritisch gesehen", sagt Łada-Konefał. Für das deutsch-polnische Barometer 2023 prophezeit sie daher: "Die Zustimmungswerte zur deutschen Politik werden noch mehr sinken."

Quelle: ntv.de

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