Nemzowa zum Fall Alexej Nawalny "Deutschland spielt eine Schlüsselrolle"
28.08.2020, 19:47 Uhr
Im Februar 2015 wird der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow in unmittelbarer Nähe zum Kreml auf offener Straße erschossen. Seine Tochter Schanna Nemzowa spricht mit ntv.de über die Parallelen zum Fall Nawalny, die Rolle Deutschlands und warum sie sich so sicher ist, dass die Spur in den Kreml führt.
ntv.de: Frau Nemzowa, Sie kennen Alexej Nawalny und seine Familie sehr gut. Was haben Sie gedacht, als Sie von dem möglichen Giftanschlag auf ihn gehört haben?
Schanna Nemzowa: Mein erster Gedanke war, dass es sich um eine Vergiftung handelt. Inzwischen wissen wir ja auch, dass Alexej Nawalny vergiftet wurde.
Waren Sie von der Nachricht überrascht?

Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny liegt seit mehr als einer Woche im Koma.
(Foto: imago images/ITAR-TASS)
Ganz offen: Mich hat die Vergiftung nicht überrascht. Sie hat mich überhaupt nicht überrascht. Ich kenne ihn und seine Familie gut und ich weiß, dass er sich der Risiken bewusst war. Er ist sehr mutig.
Er befindet sich inzwischen auf einem vorsichtigen Weg der Besserung.
Zum Glück. Ich bewundere seine Frau und seine Unterstützer sehr, dass sie sich so stur für eine Ausreise nach Deutschland eingesetzt haben. Deutschland spielt in dieser ganzen Geschichte nun eine Schlüsselrolle. Soviel ich weiß, hat Angela Merkel [Russlands Präsidenten] Wladimir Putin persönlich angerufen und dafür bin ich sehr dankbar. Ich hoffe sehr, dass sich Alexej Nawalny schnell erholt und dass sich die Nachwirkungen der Vergiftung im Rahmen halten. Und ich hoffe, dass er zu seiner Arbeit in der russischen Opposition zurückkehren kann.
Glauben Sie, es wird eine transparente und unabhängige Untersuchung in Russland geben?
Soweit ich die Ergebnisse der deutschen Mediziner verstanden habe, wurde Alexej Nawalny vermutlich mit einem Nervengift vergiftet. Die genaue Substanz kennen wir noch nicht. Wir können aber davon ausgehen, dass es eine vom Staat finanzierte Vergiftung war.
Woher nehmen Sie diese Sicherheit?
Weil man diese Art von Gift nicht einfach irgendwo kaufen kann. Es handelt sich hier um spezielle Nervengifte. Einige glauben, der bei Nawalny gefundene Wirkstoff sei ähnlich wie Nowitchok. Normalerweise sind nur Staaten in Besitz solcher Substanzen. So was kann man nicht einfach so kaufen, weder auf einem Markt, noch in einer Apotheke. So was kann man auch nicht einfach so bei sich zu Hause selbst herstellen. Ich glaube, dessen ist sich auch die deutsche Regierung bewusst: Es war eine vom russischen Staat finanzierte Vergiftung.
Warum sollte der Kreml dies machen?
Nawalny ist die stärkste Stimme in der russischen Opposition. Er hat am meisten Einfluss und er ist von allen der Bekannteste. Er hat Einfluss auf die Wahrnehmung der Menschen und die politische Realität in unserem Land.
Also glauben Sie nicht an eine Untersuchung in Russland?
Richtig, Sie fragten nach den Ermittlungen: Nein. Es wird keine Ermittlung geben. Das weiß Angela Merkel und das weiß [Frankreichs Präsident] Emmanuel Macron. Das weiß jeder. Die russische Regierung wollte die Untersuchung ja eigentlich nicht mal eröffnen, was eine reine Formalie gewesen wäre.
Wie war das damals bei Ihrem Vater, Boris Nemzow?
Bei meinem Vater hat es eine Untersuchung gegeben, aber auf Schlüsselfragen wurde keine Antwort gefunden. Wer wollte die Ermordung meines Vaters? Und was war das Motiv dahinter?
Der Fall wurde nie geklärt?
Nun, Politiker der ganzen Welt haben keinen Zweifel daran, dass es sich um einen politisch motivierten Anschlag auf meinen Vater gehandelt hat.
Was denkt man denn in Russland über die mutmaßlichen Giftanschläge, Morde und Mordversuche?
Es besorgt mich sehr, wie die russische Bevölkerung auf die Ermordung reagierte. Wir als russische Gesellschaft werden immer toleranter gegenüber solchen Dingen. Es gibt nicht die Kräfte in Russland, die die Mächtigen damit konfrontieren. Und ich bin mir sicher, dass es viele Bürger, kritische Bürger, wahnsinnig erschreckt hat, was jetzt mit Alexej Nawalny passiert ist.
Glauben Sie, es wird jemals herauskommen, wer hinter dem Anschlag auf Nawalny steckt?
Putin hat den Namen von Nawalny nie in den Mund genommen. Er vermeidet das ganz ausdrücklich. Und das bedeutet wiederum, dass Nawalny für ihn der größte politische Rivale ist. Natürlich war er darüber besorgt, was Nawalny in der Vergangenheit gemacht hat und was seine Anti-Korruptionsstiftung auch jetzt gerade macht. Nawalny wurde intensiv überwacht. Die russischen Medien haben berichtet, dass der Kreml viele Millionen, vielleicht sogar Milliarden Rubel dafür ausgegeben hat, um so viele Informationen wie möglich über ihn zu bekommen. Und ihn bedroht hat. Das Ziel ist und war, auf diese Weise seine Reputation als ehrlicher Mann zu ruinieren.
Wird Putin, wie im Fall Skripal, jede Mitwisserschaft abstreiten?
Wenn er es tut, dann glaube ich ihm nicht. Das ist meine Antwort. Wie soll es möglich sein, dass Putin davon nichts gewusst haben will? Wie soll das gehen? Nein, das ist absolut nicht logisch.
Mit Schanna Nemzowa sprach Liv von Boetticher
Quelle: ntv.de