SPD verlangt hohen Preis für Regierungseintritt Dicke Kröten für die Große Koalition
27.09.2013, 07:49 Uhr
Keine große Lust zum Mitregieren in einem Kabinett Merkel.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wieder einmal sind nach einer Bundestagswahl die Blicke auf die SPD gerichtet. Von ihr wird der Eintritt in die dritte Regierung Merkel erwartet. Allerdings ist die Begeisterung im roten Lager sehr gering. Parteichef Gabriel muss vermitteln. Die SPD-Basis verlangt ein Mitspracherecht. Ein Parteikonvent soll nun entscheiden, ob man überhaupt mit der Union sondiert.
Es waren schöne Bilder, die 2007 aus dem fernen Grönland gesendet wurden. Angela Merkel und Sigmar Gabriel stehen einträchtig vor dem Eqi-Gletscher, die CDU-Chefin gibt die Klimakanzlerin, der schwergewichtige Niedersachse, der zu dieser Zeit Bundesumweltminister ist, lächelt ebenfalls freundlich in die Kameras. Die 2005 von Merkel und dem damaligen SPD-Chef Franz Müntefering installierte Große Koalition funktioniert. Der umtriebige Gabriel, der die älteste deutsche Partei seit dem Wahldesaster 2009 führt, unterwirft sich der Kabinettsdisziplin.
Nun bekommt es Gabriel wieder mit Merkel zu tun. Die D eutschen haben einen Bundestag zusammengewählt, der die Sozialdemokraten wohl erneut zum Regieren zwingen wird. Die SPD ist diesmal allerdings um eine wichtige Erfahrung reicher. Sie weiß, was es bedeutet, vier Jahre lang als Merkels Juniorpartner mitzuregieren: den Absturz in den Zwanzigerbereich bei Bundestagswahlen. Dementsprechend zurückhaltend reagieren die Erben von Willy Brandt auf den süßen Lockruf der noch mächtiger gewordenen Kanzlerin, erneut mit ihr die Geschicke Deutschlands zu bestimmen.
Nicht wenige SPD-Funktionäre und -Mitglieder haben am Abend des 22. September insgeheim gehofft, dass die Union doch die absolute Mehrheit bekommen würde. Die Wähler taten ihnen den Gefallen nicht. Sie vergatterten die Merkel-Truppe zur Suche nach einem Koalitionspartner: Durch das parlamentarische Ableben der FDP blieben nur noch die "alte Dame" SPD und die Grünen übrig. Weil Letztere nach ihrem desolaten Wahlergebnis regelrecht von einem politischen Taifun heimgesucht wurden, der viele ihrer Funktionsträger aus den Ämtern fegte, liegt nun der Koalitionsball bei den Roten. Das Wahlvolk ist gnadenlos, der größte Teil sehnt nach dem schlechten Mannschaftsspiel während der schwarz-gelben Regierungsjahre die Große Koalition regelrecht herbei. Der Druck ist dabei so groß, dass sich die staatstragende SPD diesem - will sie nicht noch mehr Schaden nehmen - wohl nicht entziehen kann.
Laden zusammenhalten
Gabriel muss diese für seine Partei schwierige Situation managen. Der zur Sprunghaftigkeit neigende 54-Jährige, der in den vergangenen vier Jahren seine Mitstreiter mit unüberlegten Vorstößen nervte, ist als Moderator gefragt. Linker und rechter Parteiflügel, die trotz des schlechten Wahlergebnisses von 25,7 Prozent größer gewordene Bundestagsfraktion, mächtige Ministerpräsidenten und eine Mitsprache fordernde Parteibasis verlangen vom mitunter impulsiven SPD-Vorsitzenden viel politisches Geschick und vor allen Dingen eine ruhige Hand. Gabriels Hauptaufgabe ist es erst einmal, seinen Laden zusammenzuhalten. Der bevorstehende Parteikonvent soll zur sozialdemokratischen Selbstfindung beitragen. Die Latte liegt noch nicht sehr hoch: Neben dem Lecken von Wunden geht es darum, ob man überhaupt zu Sondierungsgesprächen mit der gewieften Taktikerin Merkel, die gerade einen Koalitionspartner sehr klein gemacht hat, bereit ist.
Die Landesverbände bringen sich in Stellung. Mehrere von ihnen fordern einen Mitgliederentscheid, wenn es zu einem Koalitionsvertrag kommen sollte. Daran müsste sich mindestens ein Fünftel der fast 500.000 SPD-Mitglieder beteiligen. Gabriel will dieser Forderung nachkommen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat dem SPD-Chef ziemlich klar deutlich gemacht, dass ihr traditionsbewusster Verband gar nicht in den Sog der Großen Koalition geraten will. Auch in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg regt sich Widerstand. Kraft hat die Kommunalwahlen im kommenden Jahr im bevölkerungsreichsten Bundesland im Blick und befürchtet SPD-Stimmenverluste. Auch in Rheinland-Pfalz und im Südwesten müssen die Bürger an die Wahlurne.
Störfeuer aus der linken Ecke
In diese Kerbe schlägt die Linkspartei, deren Ko-Vorsitzende Katja Kipping einen gemeinsamen Mitgliederentscheid über ein rot-rot-grünes Bündnis vorschlägt. Die Sächsin geht sogar noch weiter: Sie regt an, vor der Regierungsbildung die Mehrheit von SPD, Grünen und Linken zur Durchsetzung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu nutzen. Dieser Vorschlag ist für Gabriel und seine Truppe natürlich unannehmbar, er schafft aber Unruhe. Vertreter der Parteilinken wie die baden-württembergische Abgeordnete Hilde Mattheis finden ein Zusammengehen mit den Dunkelroten gar nicht so abwegig. Aber auch sie werden sich der Parteidisziplin unterordnen. Der Koordinator der SPD-Linken, der schleswig-holsteinische Landeschef Ralf Stegner, hat sich bereits innerlich auf die schwarz-rote Koalition eingestellt.

Frank-Walter Steinmeier ist Fraktionschef. Bleibt er es auch, oder übernimmt Peer Steinbrück?
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Dafür ist aber ein stabiles SPD-Machtgefüge nötig: Die Parte ispitze bastelt fleißig daran. Die problemlose Bestätigung von Frank-Walter Steinmeier, zu dem Gabriel ein distanziertes Verhältnis hat, als Chef der Bundestagsfraktion ist ein Zeichen des Willens, sehr schnell in Berlin ein starkes zentrales Gegengewicht zu den Landesverbänden zu schaffen, die immerhin neun Regierungschefs in ihren Reihen haben. Erschwerend kommt hinzu, dass die SPD in sechs Ländern, darunter so wichtigen wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg, gemeinsam mit den Grünen regiert. In Brandenburg sitzt die Linkspartei mit am Kabinettstisch. Das Erreichen einer Mehrheit im Bundesrat ist auch für eine mögliche Regierung Merkel/Gabriel sehr schwierig. Ein schwarz-grünes Bündnis wäre in dieser Hinsicht in einer noch schwierigeren Lage.
Bei den Sozialdemokraten geht die berechtigte Angst um, von Merkel erneut kleinregiert zu werden. Die Bundeskanzlerin muss diese sehr ernst nehmen, will sie eine stabile Regierung bilden. Dementsprechend wird der Preis, den sie dafür zahlen muss, ein hoher sein. Ein schwieriges Unterfangen, denn auch die eigenen Truppenteile müssen bei Laune gehalten werden. In der Steuerfrage ist die Union anscheinend bereit, eine für sie dicke Kröte zu schlucken. Die Erhöhung der Einkommenssteuer für Reiche ist für die SPD ein wichtiges Anliegen. Unionsgrößen wie Finanzminister Wolfgang Schäuble, CDU-Vize Armin Laschet und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe haben trotz Wehklagens aus dem Wirtschaftsflügel in dieser Frage angeblich Gesprächsbereitschaft signalisiert. Dafür dürfte die SPD die Abmilderung der sogenannten kalten Progression nicht mehr im Bundesrat blockieren. Gröhe will offiziell allerdings davon nichts wissen und dementiert. Ein Grund seines Zurückruderns ist wohl auch die Entrüstung seitens der CSU, die Steuererhöhungen kategorisch ablehnt. So oder so? Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Keine Augenhöhe
Auch beim Mindestlohn ist eine Einigung möglich. Schwieriger wird es beim Lieblingskind der CSU, dem Betreuungsgeld. Dieses ist bereits gesetzlich in Kraft getreten - eine Kröte für die Sozialdemokraten. In der Bildungsfrage ist hinsichtlich der Kooperation zwischen Bund und Ländern eine Verständigung zwischen CDU/CSU und SPD wahrscheinlich. Bleibt noch das sehr dicke Brett Energiewende. Der CSU-Wunsch nach einer Autobahnmaut für Ausländer ist auch bei der großen Schwester CDU umstritten. Bleibt abzuwarten, ob Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer weiter nachdrücklich darauf beharrt. Merkel sieht eine Einigungsmöglichkeit.
Bleiben die nicht unwichtigen Personalfragen: Was das Kräfteverhältnis im Bundestag angeht, kann zwischen Union und SPD von Augenhöhe keine Rede sein. Bei den Wahlergebnissen liegen sie 16 Prozentpunkte auseinander. 2005 waren beide Fraktionen fast gleich stark, nun hat die Union 311 Abgeordnete, die SPD dagegen 192. So ist es doch sehr fraglich, ob die Forderung des Sprechers des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, nach der Hälfte der Ministerposten realistisch ist. Allerdings wird Merkel in dieser Frage sehr flexibel agieren.
Auch die Ressortverteilung könnte interessant werden. Unklar ist, ob Steinmeier Fraktionschef bleibt oder ins Auswärtige Amt zurückkehrt. Der gescheiterte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will nicht mehr als Minister unter Merkel dienen, er könnte aber Steinmeier als Fraktionschef beerben. Damit würde er die von ihm angekündigte wichtige Rolle in der SPD spielen. Gabriel könnte als Vizekanzler zum wichtigsten SPD-Mann in einem etwaigen großkoalitionären Kabinett werden. Wichtig für die Sozialdemokraten wäre das Finanzministerium, das ihnen großen Gestaltungsraum geben würde. Allerdings hat sich der SPD-Chef bislang nicht als Finanzfachmann hervorgetan. Auf der anderen Seite müsste Merkel ihre Geheimwaffe Schäuble opfern. Der mittlerweile 71-Jährige will unbedingt in der Regierung bleiben. Auch die Besetzung des Arbeits- und Sozialministeriums mit dem größten finanziellen Posten könnte Probleme bereiten. CDU-Ressortchefin Ursula von der Leyen wird sich nicht kampflos in ein anderes Ministerium abschieben lassen.
Aber eine Regierungsbildung ist noch in weiter Ferne. Bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 22. Oktober wird das alte Kabinett mit den fünf Ministern der aus dem Parlament geflogenen Liberalen noch im Amt sein. Die Sozialdemokraten sind in einer schwierigen Situation: Verweigern sie den Regierungseintritt und Merkel bekommt auch eine schwarz-grüne Koalition nicht hin, dann drohen Neuwahlen, die Stimmenverluste und einen Wiedereinzug der FDP ins Parlament nach sich ziehen könnten. Das kann nicht im Interesse der SPD sein. Vielleicht erlebt die Bundesrepublik Deutschland aber die längste Regierungsbildungsperiode seit 1976. Damals benötigte SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt 76 Tage, ehe er sein sozial-liberales Kabinett vorstellen konnte. Merkel und Gabriel werden es irgendwie hinbekommen, denn - siehe Grönland - beide sind doch eigentlich zu einer konstruktiven Zusammenarbeit in der Lage. Bis dahin wird es eine Vielzahl von Vorschlägen und Dementis geben. Es wird weiter Mikado gespielt: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Quelle: ntv.de