Politik

Wenn Separatisten zur Urne rufen Die Ostukraine hat keine Wahl

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Nicht mehr blau-gelb, sondern schwarz-blau-rot ist die bevorzugte Fahne in den Oblasten Donezk und Luhansk.

(Foto: picture alliance / dpa)

Eine Woche nach der ukrainischen Parlamentswahl ziehen die prorussischen Rebellen in Donezk und Luhansk nach. So umstritten die Abstimmung ist: Die Spaltung des Landes ist damit wohl endgültig besiegelt.

An diesem Wochenende wird mal wieder gewählt in der Ukraine. Eine Woche nach der ukrainischen Parlamentswahl halten die prorussischen Separatisten in den "unabhängigen Volksrepubliken" Donezk und Luhansk am Sonntag eigene Wahlen ab. Kurz vor der Abstimmung ist ein Streit um deren Legitimität entbrannt. Westliche Politiker und die ukrainische Regierung stellen sie infrage. Kiew verspricht einen Sonderstatus der Ostukraine und Wahlen im Dezember.

Die Separatisten verweisen jedoch auf einen angeblich geheimen achtseitigen Teil des Minsker Vertrags, wonach ihr Wahltermin legal sei. Der Westen, der bei den Verhandlungen in Weißrussland mit am Tisch saß, bestreitet die Existenz dieses Dokuments. Ob es diesen geheimen Passus nun gibt oder nicht, ist für die Wahl letztlich wohl unerheblich. Alles deutet darauf hin, dass sich die Separatisten nicht davon abhalten lassen, an diesem Sonntag durchzuführen, was sie unter Wahlen verstehen.

Die Vorbereitungen dafür laufen seit Wochen. Donezk ist zugeklebt mit Wahlplakaten, auf denen Begriffe wie Frieden, Arbeit und Unabhängigkeit sowie Großporträts der Kandidaten prangen. Einen echten Wahlkampf gibt es aber nicht. Die Menschen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten haben nicht die Wahl zwischen verschiedenen politischen Richtungen. Die einzigen Parteien, die radikalere "Freier Donbass" und die gemäßigtere "Donezker Volksrepublik" von "Ministerpräsident" Alexander Sachartschenko, stehen nicht wirklich in einem politischen Wettbewerb. Beide verfechten die Abtrennung der Ost- von der Kernukraine. Stephan Meuser, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew, spricht deshalb ironisch von "Wahlen in Anführungszeichen".

"Mach deinen Vorfahren keine Schande"

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Ukrainer, die für einen Anschluss oder eine Einigung mit Kiew stimmen wollen, haben keine Wahl. Die Gruppe verliert in Donezk ohnehin rasant an Bedeutung. "Die meisten Menschen, die das wollten, sind inzwischen längst im Westen des Landes", sagt n-tv-Reporter Dirk Emmerich. "Die, die noch hier sind, glauben: Wir müssen uns abspalten. Es geht nur mit der Donezker Volksrepublik." Dass die Wahl, wie das Unabhängigkeitsreferendum im Mai, erneut manipuliert werden könnte, hält Emmerich für unwahrscheinlich. Dies sei auch gar nicht notwendig, weil die Stimmung so eindeutig ist.

Die Separatisten versuchen nicht nur ihre bereits kontrollierten Hochburgen zu halten, sie wollen ihre Einflusssphäre vergrößern. Kurz vor der Wahl drohten sie mit der Einnahme der Hafenstadt Mariupol im Südosten des Landes. Wenn die Ukraine die Stadt nicht auf friedlichem Wege abtrete, "dann setzen wir Gewalt ein", sagte Sachartschenko. Der Rebellenführer macht in seinen Wahlveranstaltungen einen entschlossenen Eindruck. Am Freitag, an dem die Kandidaten letztmals öffentlich werben durften, trat er vor Studenten an der Universität auf. Sein Slogan: "Sei ein Mann. Komm zur Volkswehr. Mach deinen Vorfahren keine Schande."

Die in Minsk vereinbare Waffenruhe ist nämlich brüchig. Im Norden von Donezk gab es am Donnerstag heftigen Beschuss. Der Flughafen wurde mit Raketen angegriffen. "So etwas gehört hier zum Alltag. Die Menschen reagieren darauf gar nicht mehr. Es gibt keine Panik, denn so etwas ist man inzwischen gewohnt", sagt Emmerich. Den Eindruck einer völlig zerstörten Stadt macht Donezk jedoch nicht. An einzelnen Häusern gibt es Einschusslöcher, einige Geschäfte sind verbarrikadiert, Hilfsfonds verteilen Lebensmittel, doch das Stadtbild ist weitgehend unversehrt. Alles ist relativ intakt. Donezk wirkt nicht wie eine belagerte Stadt. Die Präsenz bewaffneter Separatisten ist geringer als noch vor einigen Wochen. Niemand muss fürchten, dass die ukrainische Armee wieder massiv eingreift.

"Der Zustand ist festgefroren"

Welches Signal wird also ausgehen von dieser "Wahl"? Vermutlich gar keins. Denn Überraschungen birgt der Urnengang nicht, er dürfte die Abspaltung von der Ukraine nur endgültig besiegeln. "Der Zustand ist festgefroren. Alles wird so bleiben, wie es ist", prophezeit Emmerich. Moskau erklärte bereits, die umstrittenen Wahlen in jedem Fall anerkennen zu wollen. Nachdem sich russische Soldaten vor Wochen noch gezwungen sahen, direkt einzugreifen, muss der Kreml zurzeit nicht mal mit einem Einmarsch kokettieren, so sicher ist die Lage. Kiew mag die Ostukraine derweil zwar noch nicht offen abschreiben. Und doch sind Präsident Petro Poroschenko und Premier Arsenij Jazenjuk gut damit ausgelastet, die Kernukraine zu konsolidieren.

Der Streit um die in Minsk vereinbarte Wahl dürfte schon am Montag niemanden mehr interessieren. Auch dass die Abstimmung den gängigen Vorstellungen freier Wahlen in vielerlei Hinsicht widerspricht, spielt dann keine Rolle mehr. Im Ergebnis macht es wohl ohnehin keinen Unterschied. Oder wie Ukraine-Experte Meuser es ausdrückt: "Ob am 2. November oder am 7. Dezember gewählt wird, ist für den Wahlausgang nicht entscheidend. Am Ende wird gewinnen, wer gewinnen soll."

Quelle: ntv.de

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