Wie die neue Partei von allen Seiten bekämpft wird Die Prügel-Piraten
20.04.2012, 16:02 Uhr
Die Piraten segeln derzeit nicht gerade in ruhigen Fahrwassern.
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Von null auf hundert: Sie sind erst in zwei kleinen Landesparlamenten und trotzdem die Superstars der deutschen Politik. Die Piraten segeln auf einer Erfolgswelle im zweistelligen Prozentbereich. Doch der Willkommensbonus scheint aufgebraucht, die Schonzeit vorbei. Den Neuen weht inzwischen von allen Seiten ein immer schärferer Wind entgegen.
Mitte März, da scheint die Landtagswahl in Schleswig-Holstein bereits entschieden zu sein, obwohl sie erst Anfang Mai stattfindet. Umfragen sehen SPD und Grünen zusammen deutlich vorn. Doch vier Wochen später ist alles anders. Es sieht nicht gut aus für Rot-Grün. Der Grund: Demoskopen prophezeien den Piraten mittlerweile sogar ein zweistelliges Ergebnis. "Die Piraten werden von den Medien hofiert, wir Grüne mussten uns damals alles gegen den Willen der Gesellschaft erkämpfen", sagt Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck.

"Wir müssen weiterarbeiten", mahnt Nerz.
Und es geht weiter. Im Mai wird den Piraten wohl auch in NRW der Sprung in den Landtag gelingen. An ein Scheitern bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr glaubt derzeit niemand. Dabei fehlt den Piraten ein griffiges emotionales Thema: kein Hartz IV, kein Nato-Doppelbeschluss. Ein identitätsstiftendes politisches Ereignis gibt es nicht. Die neue Konfliktlinie heißt Datenschutz und Netzfreiheit. "Die mediale Aufmerksamkeit ließ die Piraten in den Umfragen nach oben gehen und das schreibt ihnen jetzt eine gewisse Relevanz zu", sagt Parteienforscher Uwe Jun im Gespräch mit n-tv.de.
Bei den Piraten versucht man die Euphorie in Grenzen zu halten. "Wir dürfen uns nicht auf den Umfrageergebnissen ausruhen, wir müssen weiterarbeiten", sagt der Parteivorsitzende Sebastian Nerz. "Aber ich gehe fest davon aus, dass wir 2013 in den Bundestag einziehen, die Frage ist nur, mit wie viel Prozent." Viele Medien arbeiten sich nach anfänglicher Euphorie mittlerweile an den Piraten ab. Sie suchen Schwächen in den Biografien ihrer Protagonisten. Der Vorteil ist: Das Netz vergisst nicht, das kommt vielen Journalisten im Umgang mit der Netzpartei gerade recht. Und wer keine Stolperfallen entdeckt, der legt eben selber welche.
"Es gibt viele Missverständnisse"
So bringt das "Handelsblatt" in seiner Osterausgabe eine zehnseitige Sonderaktion. 100 Prominente aus Kultur, Politik und Medien melden sich unter dem Titel "Mein Kopf gehört mir" zu Wort. Sie verteidigen darin den Wert des Urheberrechts. Zielscheibe ihrer Beiträge sind ganz offensichtlich die Piraten. Die werden hier als "Partei der Diebe" und "Asoziales Piraten-Kollektiv" verunglimpft. Sie wollten das geistige Eigentum abschaffen, bedrohten die Existenz der Kreativen, riefen öffentlich zum Diebstahl auf, seien kulturfeindlich und sich der Tragweite ihrer Forderungen nicht bewusst – in dieser Tonart wettern die 100 gegen die neue Partei.

Die Piraten wollen das Urheberrecht refomieren.
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Die Empörung bei vielen Piraten ist groß. Im Internet entlädt sich ihr Ärger in Internet-Foren und Twitter-Beiträgen. Andere nehmen die "Handelsblatt"-Aktion mit Humor. "Was hat eigentlich die mehrseitige Werbung für die Piratenpartei gekostet", fragt einer. Die Netzpartei kontert. Unter "101 Piraten für ein neues Urheberecht" wehren sich Piraten und Sympathisanten, darunter auch viele Kreative.
"Es gibt viele Missverständnisse darüber, was wir wollen", sagt Nerz. Er versteht den Ärger vieler Künstler, vor allem der Musiker. Die Anzahl der Plattenverkäufe sinke drastisch. Aus dem Digitalvertrieb aus Internet-Verkäufen erhielten sie wesentlich niedrigere Erlöse. "Das ist ein Problem, das den Verträgen zwischen Künstlern und Verwertungsgesellschaften geschuldet ist", sagt er. Die Forderung, das Urheberrecht abzuschaffen, stamme noch aus der Anfangszeit der Partei, sei aber längst nicht mehr die Mehrheitsmeinung, sagt Nerz. "Wir wollen das Urheberrecht reformieren, weil wir der Meinung sind, dass es die Kreativen zu sehr einengt." Man wolle breitere Beteiligungsmodelle, mehr Zugriffsmöglichkeiten im Internet und kürzere Schutzfristen.
Der Piraten-Vorsitzende räumt auch Fehler ein. "Ich glaube, wir haben zu lange falsch kommuniziert. Wir müssen stärker den Dialog suchen und erklären, was wir eigentlich machen wollen. Das müssen wir ausbügeln, um solche Missverständnisse künftig zu vermeiden." Die Piraten wollen sich mit Künstlern und Vertretern an einen runden Tisch setzen, um die Grundzüge eines neuen Urheberrechts zu entwerfen. "Eine Gratis-Kultur wollen wir sicher nicht fördern", betont Nerz im Gespräch mit n-tv.de.
Ein Auffangbecken für Rechte?
Beispielhaft für die Attacken auf die Partei ist auch ein Artikel, den das Magazin "Cicero" über die saarländische Spitzenpiratin Jasmin Maurer veröffentlicht. Die Journalisten stoßen auf "verhängnisvolle Spuren im Netz". Doch die Suchmaschine Google bringt sie auf eine falsche Fährte. Sie finden krude Foren-Beiträge von einer gewissen Jasmine Maurer, die sie der Piratin in die Schuhe schieben. Beide Maurers kommen aus dem Saarland, sind aber nicht dieselbe Person. Jasmin und Jasmine - die Piraten schicken daraufhin eine Gegendarstellung, "Cicero" gesteht die Falschmeldung schließlich ein. Doch das Magazin spürt auch Hinterlassenschaften aus der Vergangenheit der richtigen Jasmin Maurer auf. Sie spielt Ballerspiele, liest Erotikromane und verfasst als Schülerin düstere Lyrik. Das Netz lacht.

In der Kritik: der Berliner Pirat Semken.
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Andere Medien suchen und finden dagegen ernsthaftere Angriffsflächen. Etwa den Video Blog des Piraten Dietmar Moews. Darin äußert er sich zur Grass/Israel-Debatte und spricht von der "Tragik des Judentums", das überall Gastrecht beanspruche und sich als die Geschundenen hinstelle. Die "FAZ" wirft daraufhin die Frage auf: "Hat die Partei ein Problem mit Antisemitismus und Rassismus?" Schon vorher war der Pirat Bodo Thiesen wegen seiner Äußerungen aus dem Jahr 2008 in die Kritik geraten. Dieser hatte den Angriff Deutschlands auf Polen 1939 legitim genannt und bezweifelt, ob es den Holocaust gegeben habe. Das Schiedsgericht der Piraten wies einen Antrag auf Parteiausschluss allerdings zurück.
In der Kritik steht inzwischen auch Harmut Semken, der Chef der Berliner Piraten. Der lehnte im Streit um den Fall Thiesen eine rigorose Abgrenzung gegenüber Rechtsextremisten ab und warf seiner Partei die Ausgrenzung Andersdenkender sowie eine Wahlkampfmethodik, "mit der die Nazis gerade Berlin erobert haben", vor. Einige Piraten forderten Semken in einem offenen Brief daraufhin zum Rücktritt auf. Der will vorerst zwar im Amt bleiben, bedauert aber seine Äußerungen. Er habe mit seinen Worten viele Leute verletzt.
Sebastian Edathy, Vorsitzender des Neonazi-Untersuchungsausschusses im Bundestag, fordert von den Piraten eine klare Abgrenzung gegen Rechtsextremisten. "Bei einer Partei, die sich nicht von Demokratiefeinden abzugrenzen bereit ist, stellt sich die Frage nach ihrem eigenen Demokratieverständnis", sagt der SPD-Politiker der "Mitteldeutschen Zeitung".
Parteien und Stolpersteine
Nerz betont hingegen: "Die Piratenpartei ist kein Auffangbecken für rechtsextreme Tendenzen. Wir haben kein rechtes Problem." Er warnt davor, "dass nicht jede Aussage eines Piraten-Mitglieds als Aussage der Partei zu werten ist. Man darf nicht jede Äußerung überbewerten." Nerz räumt aber ein: "Wir müssen noch den richtigen Umgang mit so etwas finden." In der offenen Kommunikationsstruktur seiner Partei sieht er jedoch auch Vorteile. So mache es das Internet einfacher, auf Vorwürfe zu reagieren, "weil sie dadurch nachvollziehbarer sind".

Die Piraten haben zu wenig Frauen, findet SPD-Politikerin Schwesig.
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Jun erklärt: " Es ist jetzt wie bei jeder anderen Partei. Man schaut jetzt natürlich auch bei den Piraten genauer und argwöhnischer hin, und wenn sich Defizite finden, kann das genauso zum Stolperstein werden wie für SPD oder FDP." Auch die etablierten Parteien fahren mittlerweile stärkere Geschütze auf. Inzwischen nehmen sie die Piraten offensichtlich als ernst zu nehmenden Konkurrenz wahr. Nicht ganz ohne Neid auf die steile Erfolgskurve und die große Anzahl von Wählern, die die Netzpartei momentan auch aus dem Bereich der Nichtwähler anzieht.
Manuela Schwesig, die stellvertretende SPD–Parteivorsitzende, wirft den Piraten vor, sie hätten zu wenig Frauen in der Partei. "Das entspricht nicht meiner Vorstellung von einer jungen und modernen Partei." Auch würden die Piraten nicht dauerhaft mit der Haltung durchkommen, keine Meinung zu wichtigen Themen zu haben. Außenminister und FDP-Politiker Guido Westerwelle betont: Wenn Deutschland in der Welt den Schutz des geistigen Eigentums verlange, sei es kaum nachvollziehbar, "wenn im eigenen Land die Forderung nach Aufgabe des geistigen Eigentums Zulauf bekommt".
Auch die Grünen verschärfen ihre Wortwahl gegenüber der unliebsamen Konkurrenz. "Eine Partei, die alles umsonst fordert, gibt es eigentlich schon: Das ist die Linkspartei", sagt Parteichef Cem Özdemir. So fordere die Piratenpartei kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, kostenlose Bildung, kleinere Klassen und gleichzeitig die Einhaltung der Schuldenbremse, sage aber nicht, wo sie kürzen wolle. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, bemerkt süffisant: "Die denken, das Geld wächst auf den Bäumen. Bislang sind die Piraten nur eine Protestpartei. Mit diesen Forderungen kann man noch nicht mal ernsthaft opponieren."
Die Grünen und die Piraten

Grüne und Piraten kämpfen um die gleichen Wähler.
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Die Skepsis der Grünen hat besondere Gründe. Bevor die Piraten im vergangenen Sommer vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus an Aufmerksamkeit und Popularität gewannen, schwebten die Grünen auf der Erfolgswelle. Die Meinungsforscher sahen die Partei bei teilweise deutlich über 20 Prozent, noch vor der SPD. Die Grünen schnupperten plötzlich am Status der Volkspartei und träumten davon, dass Grün-Rot künftig Rot-Grün ablöst. Doch daraus wird, mit der Ausnahme Baden-Württembergs, erst einmal nichts. Denn seit die Piraten zugelegt haben, sind die Grünen die größten Verlierer. Sie liegen derzeit wieder bei 12 Prozent und damit hinter den Piraten und so niedrig wie zuletzt nach der Bundestagswahl 2009. Die einen wachsen auf Kosten der anderen.
Parteienforscher Jun sagt: "Die Grünen sind stark betroffen. Die Piraten besetzen wie sie den Pol des libertären Wertekonflikts. Beide Parteien stehen für Selbstentfaltung und Toleranz." In einigen Wählerschichten hätten die Piraten die Grünen bereits abgelöst. So habe die Ökopartei bei den Lebensbefindlichkeiten der jüngeren Generationen viele Jahre lang den größten Rückhalt. Bis die Piraten kamen. "Die treffen jetzt eher den Nerv der Jüngeren, weil sie in sind", sagt Jun.
Vieles in der Entwicklung der Piraten erinnert an die der Ökopartei. Auch die legten Anfang der 80er-Jahren einen politischen Blitzstart hin und eroberten im Sturm die Parlamente. Wie die Piraten mit ihrer Netzpolitik stellten sie sich mit ihren Reizthemen Umwelt- und Friedenspolitik gegen die etablierten Parteien. Beide entstanden als Protestpartei und profitierten in ihrer Anfangszeit von der Unzufriedenheit mit den anderen Parteien, besetzten neue Politikfelder und pflegten alternative Politikstile.
Die Grünen haben sich bis heute stark verändert, sind inzwischen aber tief im deutschen Parteiensystem verankert. "Damals haben sich die anderen Parteien noch klarer abgegrenzt. Den Piraten gegenüber ist man heute aufgeschlossener ", sagt Jun. Aber auch die müssten jetzt Nachweise erbringen, in den Parlamenten erfolgreich zu wirken und Politik mit ihrer Andersartigkeit zu gestalten. "Sonst können sie schnell wieder von der Bildfläche verschwinden."
Quelle: ntv.de