Politik

Deutsch-russische Verstimmungen Die Putinversteher vom Dienst

Konnte sich im Deutsch-Russischen Forum in den vergangenen Monaten auf viele Fürsprecher verlassen: Kremlchef Putin.

Konnte sich im Deutsch-Russischen Forum in den vergangenen Monaten auf viele Fürsprecher verlassen: Kremlchef Putin.

(Foto: REUTERS)

Der Krieg in der Ukraine treibt einen Keil zwischen befreundete Länder. Auch im Deutsch-Russischen Forum ist ein bizarrer Streit entbrannt um Putinversteher, Prügelknaben und die richtige Haltung zum Kreml.

Elfie Siegl sagt: "Ich bin traurig. Es ist mir nicht leichtgefallen." Vor ein paar Wochen war die 68-Jährige am Ende mit ihrer Geduld. Ende März erklärte die Journalistin ihren Austritt aus dem Deutsch-Russischen Forum. "Ich sehe meinen Platz nicht mehr", sagte sie bei der Mitgliederversammlung im Hotel Adlon. Die Ukraine-Krise hat den Verein in eine Krise gestürzt, es knirscht gewaltig. Einige der 350 Mitglieder sind unzufrieden über die russlandfreundliche Linie des Vorstandes um Matthias Platzeck. "Ich hatte immer mehr das Gefühl, dass Verständnis für Russland immer mehr Einverständnis mit der Politik Putins bedeutet. Ich habe das nicht", sagt Siegl n-tv.de. Für sie besteht kein Zweifel: "Putins Politik ist aggressiv. Er führt das Land in die Isolation." Trotzdem wirkt es seit einem Jahr, als verteidige die Vereinsführung die Politik des Kreml.

Deutsche geben Putin Alleinschuld

Laut einer Studie von Allensbach halten 55 Prozent der Deutschen Russland für den Hauptschuldigen am Ukraine-Konflikt. 34 Prozent machen die prorussischen Separatisten verantwortlich, 20 Prozent die Ukraine, 17 Prozent die USA und 6 Prozent die EU. Deutlich ist auch die Meinung über Russlands Präsident Putin. 66 Prozent haben ein negatives Bild von ihm, nur 8 Prozent ein gutes. 2011 sahen ihn noch 43 Prozent positiv.

Als Moskau-Korrespondentin der FAZ gehörte Siegl 1993 zu den Gründungsmitgliedern des Forums. Das Ziel: der Dialog der Zivilgesellschaften, Verständnis für Deutschland in Russland und andersherum. Doch der Verein, der Stipendien, Städtepartnerschaften und Seminare organisiert, hat sich verändert. Er öffnete sich für russische Teilnehmer, vorwiegend aus der Wirtschaft: unter ihnen Wladimir Jakunin, Chef der russischen Eisenbahn und Vertrauter Putins, und Gazprom-Vize Alexander Medwedew. Siegl sieht die Interessensverlagerung skeptisch. "Einzelpersonen wurden unwichtiger. Ich hatte das Gefühl: Ich gehöre zwar noch dazu, aber ich kann nichts mehr bewirken." Zunächst bleibt sie dem Forum treu.

Nach der Wiederwahl Putins 2012 staute sich ihre Wut. Die Repressionen gegen die russische Zivilgesellschaft, das Agentengesetz, die Verfolgung Homosexueller: Warum bezog der Vorstand nicht Stellung? Ebenso fassungslos war sie, als namhafte Mitglieder Ende 2014 den Aufruf "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen" unterzeichneten, in dem kaum auf den Krieg in der Ukraine eingegangen wurde. Vor allem über Platzeck ist Siegl verärgert. Im November forderte er, die Annexion der Krim nachträglich völkerrechtlich zu regeln. Sie seufzt: "Das hat mir nicht gefallen." Das Gleiche gilt für die Medien-Schelte von Platzeck und Co.: "An der russischen Außenpolitik sind nicht die deutschen Journalisten schuld."

Die Gründe liegen in Moskau

Siegl ist nicht die Einzige, die Konsequenzen zieht. Auch der Politologe Hannes Adomeit und der Jurist Otto Luchterhandt sind ausgetreten. Siegl bescheinigt Platzeck einen "schlechten Stil", weil er den beiden nicht für ihre Verdienste gedankt habe. Andere Mitglieder wie die Journalistin Christine Hamel spielen mit dem Gedanken, den Verein zu verlassen.

Was der Vorstand zu den Vorwürfen sagt? Platzeck ist krankheitsbedingt nicht zu sprechen, dafür sein Vorgänger Ernst-Jörg von Studnitz. "Wir sind nicht prorussisch. Jeder darf klar seine Meinung sagen", erwidert er, der den Verein zwischen 2003 und 2014 geleitet hat und als Ehrenvorsitzender im Vorstand sitzt. "Die Beziehungen mit Russland sind im Moment schwierig zu unterhalten. Die Gründe dafür liegen in Moskau und nicht in Berlin. Aber wir haben uns nie als Forum verstanden, das politische Erklärungen abgibt." Es sei nicht zielführend, zu Missständen öffentlich Stellung zu nehmen, sondern wenn, dann hinter verschlossener Tür, sagt er, der zwischen 1995 und 2002 Botschafter in Moskau war.

"Wir sind zurzeit die Prügelknaben und kriegen die Prügel ab, die eigentlich einem Mann in Moskau gelten, der aber nicht greifbar ist." Die Kritik an Platzeck weist er zurück. Dieser äußere sich in Interviews als Privatperson, nicht als Vorsitzender. Dennoch räumt er ein: "Eine gewisse Inkongruenz kann ich nicht bestreiten. Das erzeugt Widerspruch. Wenn man Vorsitzender des Deutsch-Russischen-Forum ist, ist man natürlich verpflichtet, so vorsichtig zu sein wie nötig."

Weg vom "Altherrenverein"

Das denkt auch Hendrik Sittig. Vor einem Jahr sei er noch zufrieden gewesen mit Platzecks Wahl. Von einer Person mit solcher Strahlkraft könne das Forum nur profitieren, dachte er. Heute sieht er das anders. Die Führung kritisiere, etwa im neuen Jahresbericht, die "Hybris" des Westens, verschwende aber kaum ein Wort zur russischen Politik. "Das Forum wird als kremlfreundlicher Lobbyverein wahrgenommen. Ich finde mich darin nicht wieder", sagt der Journalist, der seit zehn Jahren Mitglied ist.

Sittig berichtet von Anfeindungen. "Bist du in diesem Putinversteher-Verein?", werde er häufig gefragt. Er fühle sich dadurch verunglimpft. Im Forum gebe es schließlich auch Europaversteher, die nicht guthießen, was Russland mache. Aber austreten will Sittig nicht. Gemeinsam mit Andrej Gross und Georg Schneider hat er den Aufruf "Auch wir sind das Deutsch-Russische Forum" verfasst. Die Initiatoren kritisierten darin den Vorstand, der dem Ansehen des Vereins schade. "Es galt immer die Regel: Das Forum positioniert sich nicht. Es ist zu heterogen, um mit einer Meinung an die Öffentlichkeit gehen zu können."

Sittig will das Forum reformieren, weg vom "Altherrenverein", mehr Frauen und jüngere Mitglieder in den Vorstand holen. Er möchte, dass die "normalen Projekte" wieder stärker im Vordergrund stehen. Die Reaktion der Geschäftsführung sei "wohlwollend" gewesen. Aber ob Platzeck sich den Mund verbieten lässt? Eine Frist will Sittig sich nicht setzen. "Ich will erst einmal abwarten und bin positiv gestimmt, dass sich etwas ändert."

Quelle: ntv.de

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