Trump sabotiert Rettungsaktion Mileis "argentinisches Wunder" könnte zum Albtraum werden


Argentiniens Präsident Javier Milei ist derzeit auf Wahlkampftour - der Libertäre hofft auf genügend Sitze im Kongress, um seine Agenda fortführen zu können.
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Trotz aller Versprechen von Argentiniens Präsident Milei sind dessen Erfolge karg, die Kettensäge stottert. Das US-Finanzministerium füttert sie mit Milliarden Dollar. Privatbanken erwägen einen zusätzlichen, enormen Kredit. Trump sabotiert Milei verbal.
Der Geldwechsler sitzt gähnend hinter seinem blanken Schreibtisch. "Mit dem Geschäft geht es immer weiter bergab", sagt er, nimmt die 400 US-Dollar entgegen und lässt 600.000 Peso durch die Zählmaschine rattern: "Wir sitzen hier von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, aber die Leute haben keine Pesos, um damit Dollar zu kaufen. Touristen, die uns welche anbieten, kommen fast keine mehr. Alles da draußen ist teurer geworden." Solche cuevas, also Wechselhöhlen, gehören seit Jahrzehnten zu Argentiniens Alltag.
Weil die Nachfrage nach Dollarscheinen höher ist als das offizielle Angebot, gibt es einen Schwarzmarkt. Wer dort seine Dollar verkauft, erhält derzeit etwa 4 bis 5 Prozent mehr dafür als bei der Bank. Aber der kleine Wartebereich hinter dem sichtdichten Vorhang ist leer. Die drei Stühle reichten kurz vor der Wahl Javier Mileis zum Präsidenten vor zwei Jahren nicht aus; die Menschen standen draußen Schlange, um ihre Pesos loszuwerden. Der selbsternannte "Anarchokapitalist" hatte angekündigt, die Zentralbank abzuschaffen, den US-Dollar zur offiziellen Landeswährung zu machen.
Hätte Milei das umgesetzt, bräuchte es weder parallele Wechselkurse, wie den "dolar blue" des Schwarzmarkts, noch cuevas. Doch der Präsident, der die eigene Landeswährung, den Peso, im Wahlkampf wörtlich mit Scheiße verglich, verteidigt ihn inzwischen mit Händen, Füßen und allen verfügbaren Devisenreserven - und damit seine Errungenschaft, die früher so hohe Inflation einzudämmen.

Ungewöhnliche Hilfestellung: Scott Bessent (3.v.r.) erklärte vor der Presse die Unterstützung der US-Regierung bei einem Treffen mit Milei im Weißen Haus.
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Aber es gibt Investoren, die angesichts der schwindenden Unterstützung für Milei offenbar eine Abwertung des Peso erwarten und ihn vorher loswerden wollen. Deshalb springen die argentinische Zentralbank und das Finanzministerium der USA ein und bieten dafür ihre Dollar an; der Unterschied zwischen offiziellem Kurs und Schwarzmarkt wird nicht größer, die schleichende Inflation verfällt nicht wieder in den Galopp - und Mileis Partei La Libertad Avanza, "die Freiheit schreitet voran", so die Hoffnung in der Casa Rosada, wird kein zweites Wahldesaster erleben. Dies geschah im September bei der Regionalwahl in der Provinz Buenos Aires, der bevölkerungsreichsten des Landes.
Wenn am Sonntag ein Teil des Kongresses neu gewählt wird, geht es also um Mileis politisches Überleben und damit auch sein Projekt der maximalen Staatsschrumpfung. Die Kettensäge stottert gehörig. Derzeit braucht Argentiniens Zentralbank ständig externe Geldspritzen. Bei einem schlechten Wahlergebnis könnte Milei mit ihr in eine der zahlreichen Falltüren argentinischer Wirtschaftspolitik stürzen. Etwa die der Importe: Ist der Peso zu stark, kaufen die Argentinier mehr mit Dollar im Ausland und der Exportüberschuss, den der Staat für seinen Haushalt braucht, schrumpft.
Die Vereinigten Staaten und ihr Präsident Donald Trump jedoch kaufen die Pesos mit einem Swap, einer indirekten Währungsreserve von 20 Milliarden US-Dollar, um die argentinische Währung zu stärken. Dazu könnte ein gemeinsames Rettungspaket von US-Banken im Umfang von weiteren 20 Milliarden Dollar kommen. Das Land ist mit fast 60 Milliarden Dollar an Krediten der größte Schuldner des Internationalen Währungsfonds. Der IWF, die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank schossen bereits im Frühjahr 42 Milliarden Dollar zu.
Trump sät Zweifel
Trump hilft seinem Bewunderer Milei, obwohl seine Regierung in Washington gerade in den Shutdown gegangen ist und Gehälter an Staatsangestellte nicht ausgezahlt werden. Doch die Treuebekundungen der USA, die den Markt stabilisieren und den "Anarchokapitalisten" auch nach Sonntag handlungsfähig halten sollen, sind fragil. Trotz Hilfe und Solidaritätsbekundungen des IWF und anderer. Die USA haben Milei nun einen weiteren Rettungsring aus geostrategischen, politischen wie persönlichen Gründen zugeworfen.
Trump mag Milei. Doch der große Verbündete im Norden sabotiert sich selbst und verpulvert damit womöglich Milliarden. Als Milei in der vergangenen Woche mit der Hoffnung ins Weiße Haus fuhr, für seine weiteren zwei Jahre Präsidentschaft von Trump vorab die Absolution zu erhalten, wurde ihm die Ehrlichkeit seines Gastgebers zum Verhängnis. "Wenn er nicht gewinnt, werden wir nicht unsere Zeit verschwenden", drohte Trump ihm gegenüber, "dann sind wir weg". Aus der Unterstützung für den Wahlkampfendspurt war eine Drohung geworden. Der Peso verlor an Wert, die USA mussten Geld nachschießen.
US-Finanzminister Scott Bessent hatte bereits vorher über verschiedene Banken Peso mit Dollar aufgekauft und damit den Kurs der argentinischen Währung künstlich stabil gehalten. Am Montag äußerte sich Trump erneut und geradezu apokalyptisch: "Sie sterben!", meinte er in der Air Force One zwischen Tür und Angel: "Sie kämpfen um ihr Überleben, sie haben kein Geld, sie haben gar nichts." Er helfe Argentinien, "weil ich ihren Präsidenten gut leiden kann". Man erwäge zudem, Fleisch aus dem südamerikanischen Land zu importieren.
Dabei hatte Milei noch bei einem Rockkonzert Anfang Oktober sich selbst, seine Präsidentschaft und das Buch aus seiner Feder "Die Konstruktion des Wunders" ("La Construcción del Milagro: El Caso Argentino") besungen - in einer prall gefüllten Arena im Herzen der Hauptstadt. Er und die "Präsidentenband" spielten darin nationale Rockhits mit angepassten Texten. "Ich bin der König / Ich werde Dich zerreißen / die ganze Kaste schmeckt mir". Als Kaste bezeichnet Milei seine "Feinde" - die politischen Gegner und den Staat.
Vorgegaukelte Erfolge?
Die Inflation hat der argentinische Präsident zwar gebremst, aber auch, weil die Menschen kein Geld mehr haben, das sie treiben könnte. Rund 80 Prozent der Menschen im Land haben in den vergangenen Monaten wegen schwindender Kaufkraft ihren Konsum angepasst, wie sie in einer Umfrage angaben. Die Bevölkerung muss also den Gürtel enger schnallen. Nur 14 Prozent meinten, sie hätten mehr als das Nötige. Je niedriger das Einkommensniveau, desto stärker spüren die Menschen den Kaufkraftverlust. Die Hälfte der Jobs sind in Argentinien gar nicht registriert, diese Haushalte sind besonders betroffen und hinken den steuerpflichtigen hinterher.
Die Anzahl der Menschen unter der Armutsgrenze ist laut Zahlen der staatlichen Statistikbehörde INDEC deutlich gesunken, wofür sich Milei feiert. Doch verschiedene angesehene Analysten warnen, dass ein großer Teil davon mit Verzerrungseffekten und veralteten Kriterien zu tun habe. Heißt: Die Zahlen gaukeln einen wirtschaftlichen Aufschwung vor, der nicht existiert. Darauf weisen auch Arbeitsmarktzahlen hin. Seit Mileis Amtsantritt im November 2023 bis Ende Juli gingen 2,4 Prozent der registrierten Jobs verloren, rund 250.000 private Arbeitsplätze in 15 von 20 Bereichen. Besonders betroffen waren die Bauwirtschaft, der Transportsektor und Kultur. Im selben Zeitraum gaben 18.000 Unternehmen mit Beschäftigten auf. Zudem mussten zehntausende Staatsangestellte gehen.
US-Finanzminister Bessent behauptet, die Milliarden für Milei seien kein Rettungspaket, sondern "eine Brücke" in eine goldene Zukunft Argentiniens, sowie gegen den Einfluss Chinas in der Region gerichtet. Die Casa Rosada sucht händeringend nach Devisen. Im September setzte Milei per Dekret die Exportsteuern auf Soja für einen Handelsumfang von 7 Milliarden Dollar aus. Die begrenzte Maßnahme spülte Dollar ins Land, die wiederum die heimische Währung stützen. Der Abnehmer ist China. In den USA sind die Soja-Verkäufe an das asiatische Land hingegen zusammengebrochen. Amerikanische Bauern fragen deshalb: Warum gibt das Finanzministerium der Konkurrenz zusätzlich 20 Milliarden Dollar?
Hohes Risiko, vorsichtige Banken
"Die Risiken dieser Operationen sind ungewöhnlich groß", wird Brad Setser, Vize-Finanzminister unter Ex-US-Präsident Barack Obama, vom "Wall Street Journal" zitiert. Die USA würden Geld verlieren, "sollte der Peso abwerten, was viele nicht nur für wahrscheinlich, sondern auch für notwendig halten". Eine große Abwertung wollte Milei bislang verhindern. Dies würde die Inflation treiben und die ohnehin schrumpfende Mittelschicht noch stärker belasten.
Das private 20-Milliarden-Dollar-Hilfspaket, das Bank of America, JPMorgan Chase, Citigroup und Goldman Sachs erwägen, wäre ein Kredit. Dafür wollten die Banken auch Sicherheiten, schreibt das "Wall Street Journal". Sie würden derzeit gerne von der US-Regierung wissen, was sie von Argentinien bekommen könnten, falls das Land die Kredite zukünftig nicht bedienen kann - oder ob Bessents Finanzministerium die Rückzahlung garantiert. Die Geldhäuser gehen also angesichts langer Währungsturbulenzen und Krisen in Argentinien vorsichtiger als das Weiße Haus vor.
Aber die Verbindungen zwischen den USA und Argentinien haben noch eine andere Note. In Mileis Führung arbeiten etwa eine ganze Reihe von Ex-Bankern von JP Morgan. Investoren aus den USA haben Milliarden Dollar in Argentiniens Finanzmarkt investiert, darunter auch Bessents Bekannter Robert Citrone, sowie Firmen wie Blackrock, Fidelity und Pimco - sie wollen ihr Geld bestimmt nicht verlieren. Benötigen sie womöglich einen Aufschub, um sich zu einem guten Peso-Preis wieder zurückziehen zu können? Oder glauben sie noch an einen Erfolg Mileis?
Das ganze "kluge Geld" fließe bereits ab, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman über die Situation. "Während alle zum Ausgang rennen, verbrennt Argentinien derzeit Milliarden von Dollar an Reserven, um den Peso zu verteidigen." Letzteres habe in Lateinamerika noch nie zu einem guten Ende geführt. Falls es dabei bleibt, könnte Mileis "Wunder" schnell zum Albtraum werden.
Quelle: ntv.de