"Cameron ist ein Feigling" EU-Parlamentarier schimpfen auf London
09.12.2011, 13:30 UhrMit seinem Nein zu EU-Vertragsänderungen macht sich Großbritanniens Premier Cameron wenig Freunde. Der Grüne Cohn-Bendit findet harsche Worte, der Chef der liberalen Fraktion, Graf Lambsdorff, wird grundsätzlich: "Es war ein Fehler, die Briten in die Europäische Union aufzunehmen." In der EU zeichnet sich immer klarer eine Isolation Londons ab. Offenbar wollen sich insgesamt neun EU-Mitglieder dem Reformvertrag der Euro-Zone anschließen.
Der britische Premier David Cameron hat mit seiner für eine strengere Haushaltspolitik scharfe Reaktionen bei Europaparlamentariern ausgelöst. Der Chef der liberalen Fraktion im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, sagte dem "Spiegel": "Es war ein Fehler, die Briten in die Europäische Union aufzunehmen." Die Briten müssten nun ihre Beziehungen zur EU neu verhandeln. "Entweder sie tun es von sich aus, oder die EU gründet sich neu - ohne Großbritannien", forderte Lambsdorff. "Die Schweiz ist ein Modell, an dem sich auch die Briten orientieren können."
Auch der Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, reagierte heftig. "Cameron ist ein Feigling", sagte er dem "Spiegel". Der Premier wolle die Auseinandersetzung in Sachen Europa in seiner konservativen Partei nicht führen. "Jetzt müssen wir die Briten treiben und sie über eine starke Finanzmarktregulierung dazu bringen, sich zu entscheiden: Wollen wir raus aus der EU oder wollen wir drinbleiben." Cameron müsse den Mut haben, diese Frage per Volksentscheid klären zu lassen.
Der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber, bezeichnete die Haltung Großbritanniens als "so egoistisch wie widersprüchlich". In einer Mitteilung erklärte Ferber zudem: "Großbritannien muss sich entscheiden, ob es weiterhin als 27. Mitgliedstaat der Europäischen Union seine Zukunft selbst gestalten, oder lieber als 51. Bundesstaat der USA Befehle aus Washington empfangen will."
London zunehmend isoliert
Cameron hatte sich auf dem Gipfel in Brüssel einer Änderung der europäischen Verträge verweigert. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy streben nun einen neuen Vertrag der 17 Euro-Länder mit kooperationswilligen EU-Staaten schon bis kommenden März an.
Inzwischen zeichnet sich ab, dass Großbritannien mit seiner Haltung in der EU isoliert ist. Neun weitere EU-Mitglieder wollen sich nunmehr dem Reformvertrag der 17 Euro-Staaten anschließen, wie aus einem neu aufgelegten Entwurf für die Gipfelerklärung in Brüssel hervorgeht. Damit wäre Großbritannien in der Frage isoliert. Zunächst war nur von sechs EU-Staaten außerhalb der Währungsgemeinschaft die Rede, die die Reform mittragen. "Die Staats- und Regierungschefs von Bulgarien, Tschechien, Dänemark, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und Schweden haben ihre Bereitschaft zur Teilnahme an diesem Prozess bekundet. Wo nötig, müssen jedoch die Parlamente konsultiert werden", heißt es nun in dem Entwurf.
In den nächtlichen Beratungen in Brüssel hatten sich die 17 Euro-Länder auf die Forderung Deutschlands und Frankreichs geeinigt, einen zu schließen. Dieser sieht Schuldenbremsen und automatische Strafen gegen Defizitsünder vor. Eine Beteiligung privater Gläubiger wie Banken an einem Schuldenschnitt für angeschlagene Euro-Länder wie im Fall von Griechenland soll es künftig nicht mehr geben. Der dauerhafte Euro-Rettungsfonds soll zudem schon im Juli 2012 einsatzfähig sein, anstatt wie bisher geplant im Jahr 2013.
Britische Opposition empört
Die Opposition in Großbritannien warf Cameron vor, das Land zu isolieren und damit ein hohes Risiko einzugehen. "David Cameron sollte Bündnisse knüpfen", schrieb der Vorsitzende der sozialdemokratischen Labour-Partei, Ed Miliband, beim Internetdienst Twitter. "Großbritannien ist mit einem Mangel daran in den Gipfel gegangen und das Ergebnis zeigt: Wir haben nicht genug Einfluss." Camerons Verhalten sei ein "Zeichen von Schwäche".
"Großbritannien ist heute stärker isoliert als je zuvor in seiner 35-jährigen Mitgliedschaft in Europa", sagte der Labour-Außenpolitik-Experte Douglas Alexander. "Es ist nicht im nationalen Interesse Großbritanniens, dass Entscheidungen getroffen werden, ohne dass wir auch nur mit am Tisch sitzen."
Ungemach droht Cameron vonseiten des pro-europäischen Koalitionspartners, den Liberaldemokraten. Deren Vorsitzender Nick Clegg zeigte sich enttäuscht über die Tatsache, dass keine EU-weit einheitliche Lösung für mehr Haushaltsdisziplin gefunden werden konnte. Die Forderungen Camerons nach Schutzklauseln für Großbritannien seien jedoch "bescheiden und vernünftig" gewesen.
Deutsche Opposition schießt sich auf Merkel ein
Die Opposition in Deutschland kritisierte erneut das Krisenmanagement der Bundeskanzlerin. Die bisherigen Entscheidungen Merkels in der Schuldenkrise seien "immer zu wenig, zu spät und im Ungefähren" gewesen, sagte der frühere SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück dem "Deutschlandradio Kultur". Weil Merkel die nun in Brüssel doch beschlossenen automatischen Sanktionsmechanismen für Schuldenstaaten in der Vergangenheit verworfen habe, seien bei der Bewältigung der Krise eineinhalb Jahre verloren gegangen. Heute könne nur noch ausgewählt werden zwischen "schlechten Lösungen".
Der SPD-Politiker kritisierte die Verabredungen in Brüssel als nicht weitgehend genug. So sei nicht klar, was geschehen solle für den Fall, dass sich weitere Investoren von südeuropäischen Staatsanleihen verabschiedeten, die Nervosität an den Märkten weiter zunehme und die Banken ihre Bilanzen verkürzten. Er forderte eine veränderte Rolle für die Europäische Zentralbank (EZB). Dieser müsse zugebilligt werden, weitere Staatsanleihen zu kaufen - eine Forderung, die Merkel ablehnt.
Linken-Chef Klaus Ernst erklärte in Berlin, "wenn Brüssel nicht der Anfang vom Ende sein soll, muss sich Europa aus dem Würgegriff der Banken befreien". Der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Gerhard Schick, warf Merkel und Sarkozy vor, durch einen "Krisengipfel nach dem anderen" die Lage nur noch schwieriger zu machen. Gebraucht würden stärkere europäische Institutionen zur Steuerung der erforderlichen Prozesse. "Krisenmanagement mit 17 Veto-Spielern, das kann einfach nur schiefgehen."
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP/rts