Politik

Küche, Kinder und Koran Erdogans Weltbild - und das Leid der Frauen

Mutlu Kaya war eine begabte Sängerin. Sie nahm an einer türkischen Talentshow teil. Seit einem Angriff liegt sie im Koma.

Mutlu Kaya war eine begabte Sängerin. Sie nahm an einer türkischen Talentshow teil. Seit einem Angriff liegt sie im Koma.

(Foto: Anadolu Agency)

Seit mehr als zehn Jahren regiert die islamisch-konservative AKP die Türkei. Rechtlich ging die Partei gegen Gewalt an Frauen vor. Doch rhetorisch konterkarierte sie diesen Kurs - mit tödlichen Folgen.

Eine strahlende junge Frau auf der Bühne. Das war Mutlu Kaya. Die 19-Jährige hat bei einer türkischen Talentshow mitgemacht. Sie hatte eine gute Stimme, kam immer eine Runde weiter. Dann fiel der Schuss. Sie war im Haus ihrer Eltern in Diyarbakir. Die Kugel traf sie in den Kopf. Seitdem liegt Kaya bewusstlos im Krankenhaus. Drei Männer wurden verhaftet – darunter auch Kayas Exfreund. Und jetzt heißt es, sie habe Drohungen bekommen, viele waren dagegen, dass das junge Mädchen aus dem konservativen Diyarbakir auf der Bühne steht, von allen angestarrt wird. Selbst aus der eigenen Familie hieß es: So etwas zieme sich nicht für eine anständige Frau, nicht in der Türkei.

Reporterin Kriewald (r.) mit Merve Sultan, der Mutter der ermordeten Hawanur.

Reporterin Kriewald (r.) mit Merve Sultan, der Mutter der ermordeten Hawanur.

Mutlu Kaya ist nur ein Opfer von vielen. 281 Frauen wurden im vergangenen Jahr von Männern getötet. Die Zahlen hat ein unabhängiges Internetportal zusammengetragen. Die Dunkelziffer mag höher sein. Eine offizielle Statistik gibt es nicht.

"Die Regierung ist für diese Gewalt mitverantwortlich", sagt Hayrettin Bulan, der Gründer der Hilfsorganisation Sefkat-der. "Sie muss dafür sorgen, dass die Gesetze auch angewandt werden und zwar strikt." Männer, die ihre Frauen ermordet haben, müssten lebenslang hinter Gitter. Auch viele junge und moderne Frauen sagen, die AKP-Regierung mache Gewalttaten an Frauen erst möglich.

Unter dem langjährigen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde das Strafrecht zwar gründlich modernisiert. Sogenannte Ehrenmörder bekommen keinen Strafbonus mehr und werden jetzt als das verurteilt, was sie sind: als Mörder. Auch staatliche Frauenhäuser wurden aufgebaut. Doch es sind noch viel zu wenige. Und Präsident Erdogan behauptet noch immer, dass die völlige Gleichstellung von Frauen und Männern gegen die Natur sei. Er wettert gegen den Kaiserschnitt und fordert Frauen auf, mehr Kinder zu bekommen. Sein Vertrauter Bülent Arınç setzte sich gar dafür ein, Frauen das Lachen zu verbieten. Sie sollten schamhafter sein. Küche, Kinder und Koran ist die Devise.

"So etwas kann doch nur ein Teufel machen"

Auch Hawanur war erst 19 Jahre alt. "Sie verdiente das Geld", erzählt ihre Mutter Merve Sultan und zeigt das Bild ihrer Tochter. Eine hübsche junge Frau. Lange dunkle Haare, ein offenes Lächeln. Zu offen - ihr Mann war eifersüchtig. Immer wieder schlug er zu. Einmal ging er mit einem Messer auf sie zu. Die Mutter konnte noch dazwischen gehen. Dann kam der erste Sohn. Das gerade einmal 40 Tage alte Baby schlief die Nacht bei der Oma. Doch am nächsten Morgen holte die Tochter den Kleinen nicht ab, ging nicht ans Telefon, war wie vom Erdboden verschluckt.

"Zwei Tage habe ich sie gesucht", sagt Merve Sultan. "Mein Schwiegersohn sagte, er wisse nicht, wo sie ist. Ich habe gedacht, das kann nicht sein, er hat ihr was angetan. Ich bin in ihr Haus, und habe sie gesucht. Da habe ich ihre Leiche gefunden."

Erst später fand Sultan heraus, was sich genau in dieser Nacht zutrug. "Er hat sie mit dem Staubsauger verprügelt. Sie hat das Bewusstsein verloren. Da hat er wohl Angst bekommen, dass sie ihn anzeigen könnte, wenn sie wieder zu sich kommt", sagt sie. "Er hat sie erwürgt. Dann hat er sie vergewaltigt und ihre Leiche in einer Kammer versteckt." Sie stockt und dann fügt sie hinzu: "So etwas kann doch nur ein Teufel machen."

Dreieinhalb Jahre ist das jetzt her. Ihr Schwiegersohn ist im Gefängnis. Er wurde zu 20 Jahren verurteilt, weil er seine eigene Frau ermordet hat. Doch was ist, wenn er zurückkommt? "Vielleicht will er sich an mir rächen", sagt Sultan. Dann streichelt sie ihrem kleinen Enkelsohn über den Kopf. Dreieinhalb Jahre ist er jetzt alt. Sie zieht ihn groß, neben ihren eigenen Kindern. Er weiß noch nicht, was geschehen ist. Aber irgendwann wird er fragen und dann muss sie ihm erklären, warum sein Vater seine Mutter ermordet hat.

Die Türkei wählt am 7. Juni ein neues Parlament. n-tv sendet an diesem Freitag um 15.10 Uhr das Auslandsreport Spezial: "Türkei - ein gespaltenes Land".

Quelle: ntv.de

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