"Aus der EM einen Friedhof machen" Ermittler gehen von Terrorakt bei Paris aus
14.06.2016, 15:41 Uhr
Nachdem Verhandlungen mit dem verschanzten Attentäter erfolglos blieben, stürmte die Polizei das Wohnhaus des Polizisten.
(Foto: REUTERS)
Der Täter bekannte sich zum Islamischen Staat und rief zu weiteren Anschlägen während der Fußball-EM auf. Die französischen Ermittler werten den Doppelmord bei Paris deshalb als Terrorakt. Der Täter soll auch ein Video vom Tatort verbreitet haben.
Der Mord an einem Polizistenpaar bei Paris ist nach Einschätzung der zuständigen Ermittler ein "neuer Terrorakt". Der Täter Larossi Abballa habe sich wenige Wochen vor der Tat zur Terrormiliz Islamischer Staats (IS) bekannt, sagte der für Terrorismus zuständige Staatsanwalt François Molins in Paris nach ersten Ermittlungen. Der Mann habe zunächst den Polizisten und anschließend dessen Frau getötet. Zudem sei eine Liste mit Zielen gefunden worden, auf der Polizisten, Journalisten und Rapper verzeichnet waren. Molins Angaben zufolge wurden bei dem mutmaßlichen Terroristen drei Messer gefunden, darunter die blutverschmierte Tatwaffe.
Dies sei "zweifellos ein Terrorakt", hatte zuvor bereits Präsident François Hollande gesagt. Die Opfer seien "feige von einem Terroristen ermordet worden". Premierminister Manuel Valls verwies auf die Bedrohung in Frankreich und weltweit: "Wir sind im Krieg gegen den Terrorismus", sagte er. Demokratische Werte würden angegriffen. Frankreich werde die EM, die Spiele und die Fanmeilen weiter schützen, versicherte er.
Der 25-jährige Angreifer war 2013 schon einmal im Zusammenhang mit Terrorismus zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden, ein halbes Jahr davon auf Bewährung. Weil die vorherige Untersuchungshaft angerechnet wurde, kam der Franzose mit marokkanischen Wurzeln jedoch gleich nach dem Urteil wieder auf freien Fuß. Zu seinen Vorstrafen gehören aber auch schwerer Diebstahl und das Fahren ohne Führerschein. Abballa war zuletzt bei Ermittlungen über eine mutmaßliche Dschihadisten-Gruppe mit Verbindungen nach Syrien erneut ins Visier der Justiz geraten. Abgehörte Telefonate hätten aber keinen Hinweis darauf ergeben, dass er bald zur Tat schreiten könnte, sagte Molins.
Ermittler nahmen drei Männer aus dem Umfeld des Angreifers in Polizeigewahrsam. Es handele sich um Männer im Alter von 27, 29 und 44 Jahren, sagte Staatsanwalt Brice Robins. Innenminister Bernard Cazeneuve hatte zuvor gesagt, es gehe nun darum, mögliche Komplizen zu finden. Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes an Amtspersonen, versuchten Mordes und Freiheitsberaubung im Zusammenhang mit Terrorismus.
Video auf Facebook veröffentlicht
Während seines Angriffs in dem Ort Magnanville veröffentlichte Abballa ein Video und zwei Tweets mit Forderungen und Bekenntnissen. Ein zwölf Minuten langes Video habe er an etwa 100 Kontakte geschickt, sagte Staatsanwalt Molins. Der Terrorismusexperte David Thomson berichtete, dass der Attentäter unmittelbar nach dem tödlichen Angriff zu weiteren islamistischen Anschlägen während der Fußball-EM aufrief. "Wir werden aus der EM einen Friedhof machen", sagte Abballa laut Thomson in einem Facebook-Video. Thomson ist ein auf Terrorismus spezialisierter Journalist des Senders RFI und Verfasser des Buches "Die französischen Dschihadisten".
Abballa habe um 20.52 Uhr ein 13 Minuten langes Video auf Facebook veröffentlicht, in dem er "sehr ruhig und lächelnd" eine offenbar zuvor geschriebene Botschaft verlese, sagte Thomson, der das inzwischen gelöschte Video angesehen hatte. Auf dem Facebook-Konto habe Abballa zunächst dem Chef der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr Al-Bagdadi, seine Treue geschworen und dann andere Muslime zum Dschihad aufgerufen.
Das Video sei in dem Haus des getöteten Paares aufgenommen worden, während sich dessen Kind noch darin aufgehalten habe, sagte Thomson. "Er sagt, einen Polizisten und seine Frau getötet zu haben." Dann rufe Abballa dazu auf, "Polizisten, Journalisten, öffentliche Personen, Gefängniswärter und Rapper" anzugreifen und nenne etwa zehn Personen mit Namen. Schließlich fordere er "seine 160 Freunde und noch deutlicher seine Kontakte beim IS zu einem Bekennerschreiben für seinen Angriff auf".
Dreijähriger Sohn überlebt
Dies erkläre, warum sich der IS so schnell über sein Sprachrohr Amaq zu der Tat bekannt habe, erklärte Thomson, der zu den sogenannten Facebook-Freunden Abballas gehörte, ohne ihn persönlich gekannt zu haben. Abballa veröffentlichte demnach auch Fotos seiner Opfer auf Facebook, darunter ein Bild des Polizisten in Uniform und ein Foto der getöteten Lebensgefährtin. Nach Angaben des Journalisten wurde das Video von 98 Menschen angesehen, bevor es elf Stunden nach seiner Veröffentlichung gelöscht wurde.
Der 25-jährige Abballa hatte am Montagabend den 42-jährigen Polizisten vor dessen Wohnhaus im Pariser Vorort Magnanville erstochen. Danach nahm er Partnerin und Kind des Polizisten als Geiseln und verschanzte sich im Haus der Familie. Da Verhandlungen mit ihm erfolglos blieben, stürmten Sondereinheiten der Polizei das Haus und töteten dabei den Angreifer. Die Frau, die als Sekretärin auf einer Polizeiwache arbeitete, wurde tot aufgefunden, mit einer Wunde am Hals. Der dreijährige Sohn des Paars überlebte, "unter Schock, aber äußerlich unverletzt".
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP