Erschossener Islamist in Berlin Ermittler prüfen Terrorverdacht
18.09.2015, 09:46 Uhr
Dieser Vorfall jagt Sicherheitsexperten auch am Tag danach noch eiskalte Schauer über den Rücken: Ein Islamist sticht auf eine Berliner Polizistin ein, Kollegen schießen ihn nieder. Noch ist offen, ob der Mann einen Plan verfolgte und wenn ja, welchen.
Nach den tödlichen Schüssen auf einen polizeibekannten Islamisten in Berlin arbeiten die Behörden fieberhaft an der Aufklärung der Hintergründe. In der Wohnung des 41-jährigen Angreifers seien Papiere gefunden worden, die nun ausgewertet würden, erklärte Berlins Innensenator Frank Henkel.
Der Iraker Rafik Yousef hatte am Donnerstag nahe seiner Wohnung im Bezirk Spandau eine 44 Jahre alte Polizistin mit einem Messer angegriffen und dabei schwer verletzt. Offenbar in Notwehr griffen die Beamten zur Schusswaffe. Der Angreifer erlag kurz darauf seinen Schussverletzungen.
Spontane Tat oder Terrorplan?
Was genau sich am Tatort abspielte und wie es zu dem Angriff kam, ist noch unklar. Wie bei jedem Schusswaffengebrauch durch die Polizei wird der Vorfall genau geprüft. Die beteiligten Beamten mussten noch vor Ort ihre Waffen der Spurensicherung übergeben. Die Behörden müssen gerichtsfest klären, welcher Beamte aus welcher Position geschossen hat und vor allem die Frage beantworten, ob die Anwendung tödlicher Gewalt tatsächlich angemessen war.
Für Berlins Innensenator Henkel geht es dagegen vor allem um die Frage, ob die Beamten durch ihr Eingreifen vor Ort nicht womöglich Schlimmeres verhindert haben. Nach Hinweisen von Passanten, dass sich ein Mann auffällig verhalte, hatte die Polizei vier Streifenwagenbesatzungen nach Spandau geschickt. "Fakt ist: Der Mann ist Islamist", sagte Henkel mit Blick auf die Suche nach etwaigen Motiven für den Messerangriff. "Inwieweit eine Szene dahinter steckt oder nicht - dafür ist es noch zu früh."
Der von der Polizei erschossene Yousef war 2008 vom Oberlandesgericht Stuttgart zu acht Jahren Haft verurteilt worden - wegen Mitgliedschaft in der radikal-islamischen Terrorvereinigung Ansar al-Islam ("Helfer des Islam") und der Beteiligung an Plänen für ein Attentat auf den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi 2004 in Berlin.
Nutzlose Fußfessel
Da die Untersuchungshaft angerechnet wurde, kam Yousef im März 2013 nach Verbüßung seiner Strafe frei. Danach stand er unter "Führungsaufsicht", das heißt, er durfte sich unter Auflagen und mit elektronischer Fußfessel weitgehend frei bewegen. Die Fußfessel hatte er nach bisherigem Ermittlungsstand kurz vor dem Messerangriff abgestreift.
Damit löste Yousef zwar einen automatischen Alarm bei der Polizei aus, doch sein genauer Aufenthaltsort blieb danach im Dunkeln. Kurz darauf soll Presseberichten zufolge gegen 9.48 Uhr der erste Notruf bei der Polizei eingegangen sein. Ein Mann bedrohe in Spandau Passanten mit einem Messer, hieß es.
Warnung missachtet
Die eintreffenden Polizisten forderten den Verdächtigen auf, die Waffe fallenzulassen. Nach Darstellung von Oberstaatsanwalt Michael von Hagen soll er daraufhin sofort auf die Beamten losgegangen sein. "Er rannte auf die Polizeibeamtin los und fügte ihr Stichverletzungen im Bereich des Halses und der Schulter zu", zitierte die "Bild"-Zeitung die Worte Feuerbergs.
Um den Angreifer zu stoppen, hätten daraufhin mindestens zwei Polizisten ihre Waffen abgefeuert. Einer der Polizisten soll "mindestens" viermal geschossen haben, wie es in den Berichten vom Tatort heißt. Wie hektisch es dabei zugegangen sein muss, belegen die Hinweise, dass offenbar auch die angegriffene Polizisten durch eine Polizeikugel verletzt wurde. Yousef starb diesen Angaben zufolge noch im Rettungswagen an den Folgen innerer Blutungen.
"Die Frage ist: Wie kommt man überhaupt in die Situation, dass man eine Fußfessel abnimmt?", sagte Henkel. Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg hatte zuvor erklärt, es sei noch zu früh für eine Einschätzung, ob der Angriff terroristisch motiviert war und ob es ein vorbereiteter Anschlag war.
Abschiebung gescheitert
"Er (der Iraker) ist mehrfach in Erscheinung getreten, weil er ausgesprochen aggressiv auftrat", betonte Feuerberg. Es habe mehrere Fälle von Bedrohung gegeben. Dies habe er damit gerechtfertigt, dass die von ihm bedrohten Personen gegen die Bestimmungen seiner Religion verstoßen hätten.
Die Behörden hatten laut Henkel versucht, den Mann in den Irak abzuschieben. Dies sei jedoch nach geltendem Recht nicht möglich gewesen. Bei einer Rückkehr hätte ihm im Irak die Todesstrafe gedroht. Die konkrete Bedrohung für sein Leben sicherte Yousef - bis zu seinem Messerangriff - ein Leben im sicheren Deutschland.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa