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USA-Talk bei Illner "Es geht möglicherweise um alles"

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Harris stehe eher nicht für eine linke Wirtschaftspolitik, sagt der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze.

Harris stehe eher nicht für eine linke Wirtschaftspolitik, sagt der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze.

(Foto: picture alliance / Robert Newald / picturedesk.com)

Nach dem Rückzug von Joe Biden als demokratischer Präsidentschaftskandidat ist der US-Wahlkampf in eine neue Phase eingetreten. Bei "Maybrit Illner" geht es unter anderem um die Frage, ob Bidens wahrscheinliche Nachfolgerin die gespaltene US-Gesellschaft kitten kann.

Die Bombe platzt am vergangenen Sonntag: Kurz nach dem Ende des Parteitages der US-Republikaner, auf dem Donald Trump zum Herausforderer des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden gekürt wurde, zieht Letzterer seine Kandidatur zurück. Vizepräsidentin Kamala Harris soll es jetzt richten. Auf einem virtuellen Parteikonvent soll sie am 1. August zur neuen demokratischen Präsidentschaftskandidatin gewählt werden, wenn alles klappt. Fast alle wichtigen Demokraten hat sie hinter sich. Harris wird eine schwere Aufgabe zu bewältigen haben. Die Frage ist, ob sie die gespaltene Gesellschaft in den USA wieder kitten kann. Über die Situation in den USA wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen und die Lehre, die die deutsche Politik daraus ziehen sollte, diskutierten die Gäste in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner".

Mit der Kandidatur von Kamala Harris sei von den Demokraten eine Last abgefallen, analysiert CNN-Reporter Frederik Pleitgen. Der Rückzug Joe Bidens von der Präsidentschaftskandidatur sei von den Demokraten geplant worden, meint der Journalist. "Die haben damit den Republikanern voll den Wind aus den Segeln genommen", sagt er bei Maybrit Illner. Für Pleitgen ist klar: Harris dürfte am 1. August als demokratische Präsidentschaftskandidatin bestätigt werden. Er sagt: "Ich glaube, dass alles auf sie hinausläuft, dass sie die wirklich besseren Chancen hat als Joe Biden."

Constance Chucholowski ist froh über die Entscheidung "ihrer" Demokraten. Die deutsch-amerikanische Politologin ist Mitglied der "Democrats abroad Germany", der Auslandsorganisation der US-Demokraten in Deutschland. Harris habe die Energie in den US-Wahlkampf hineingebracht, die im letzten halben Jahr gefehlt habe. "Man hat gesehen, wie sie junge Menschen mobilisieren konnte, Frauen, schwarze Frauen. Das sind genau die Wählergruppen, die die Demokraten brauchen werden in diesem Wahlkampf. Ich habe natürlich vollstes Vertrauen, dass wir auch gewinnen können."

"Politische Kultur nicht mehr da"

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD ist am Mittwoch aus den USA zurückgekehrt. Dort hat er mit Politikern der Demokraten und der Republikaner Gespräche geführt. Mit der Biden-Harris-Regierung habe die Bundesregierung ausgezeichnete Beziehungen gehabt, sagt Heil. Er habe großen Respekt vor Biden, der die USA aus einer harten Wirtschaftskrise geführt habe. "Jetzt erweist er seinem Land einen neuen Dienst, indem er das Rennen spannend gestaltet und den Demokraten die Chance auf einen Wahlsieg eröffnet." Ein Wahlsieg von Kamala Harris hätte deutliche Vorteile für Europa: "In ihrem Umfeld sind Leute, die klar transatlantisch ticken. Das ist ein klarer Unterschied gegenüber den Republikanern", sagt er. Heil drücke den Demokraten die Daumen, doch ihm ist klar: "Wir müssen auch mit schwierigeren Partnern reden, das ist eine Verantwortung."

Genau das fordert auch Jens Spahn von der CDU. Der Wirtschaftsexperte war bei dem Parteitag der Republikaner. Fragt man ihn, wen er sich als US-Präsidenten wünscht, zögert er. Da wolle er sich nicht einmischen, sagt er. Das sei Sache der Amerikaner. "Ich wünsche den USA einen Präsidenten oder eine Präsidentin, der in der Lage ist, das Land zu einen. Das hat es bitter nötig." Donald Trump würde das jedoch nur schwer gelingen, das ist auch Spahn klar. "Er hatte zwar auf dem Parteitag eine Rede angekündigt, die stärker zusammenführen soll. Das hat er aber nur halb durchgehalten." Nach dem Rückzug Bidens hätte sich Spahn ein paar freundliche Worte des Dankes von den Republikanern gewünscht. "Das ist politische Kultur im Miteinander. Und das ist in den USA nicht mehr da, teilweise auf beiden Seiten nicht mehr da. Und ob Kamala Harris in der Lage ist, das Land zusammenzuführen und nicht zu links als Demokratin ist, das werden wir in den nächsten Wochen sehen."

Davor, dass Harris zu links sei, braucht Spahn keine Angst zu haben. Sie sei eher zentristisch, sagen die amerikanischen Gäste, die es wissen müssen. Das ist neben der Demokratin Chucholowski auch der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze von der Columbia University. Spannend sei, ob und wie sich die Wirtschaftspolitik in den USA verändern werde, denn Kamala Harris vertrete eher unternehmerisch orientierte Positionen in der demokratischen Partei, sagt er.

Was sollte Deutschland jetzt tun?

Trotz des aktuellen Harris-Hypes: Deutschland müsse sich auch auf einen möglichen Wahlsieg von Donald Trump vorbereiten. Der sei kein bürgerlicher Politiker, sagt Jens Spahn. "Aber wir müssen doch ganz nüchtern schauen, was sind unsere Nationalinteressen und was sind die Interessen und Schwerpunkte einer möglichen Trump-Außenpolitik. Und da gibt es an vielen Stellen Anknüpfungspunkte."

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Viel wichtiger aber könnte die Frage sein, was Deutschland aus der aktuellen Situation der zerstrittenen Bevölkerung in den USA und aus dem politischen Umgang zwischen Republikanern und Demokraten lernen könnte. "Ich lerne aus der Entwicklung der Polarisierung in den USA, die Jens Spahn zu Recht angesprochen hat, dass wir in Deutschland gegen diese Form der Polarisierung vorgehen müssen." Die Demokratie müsse zu Kompromissen fähig sein. "Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, das ist ganz klar. Aber wir dürfen uns nie beispielsweise als Christ- und Sozialdemokraten bei einem Wettbewerb so behandeln, wie das in den USA politische Wettbewerber tun, die sich als politische Feinde und als Gegner demontieren."

Und Tooze fügt hinzu: "Es ist ein abschreckendes Beispiel, was mit der Demokratie in Amerika passiert ist. Die Polarisierung, die Zerspaltung, die wirklich bürgerkriegsähnliche Rhetorik, sollte für alle Demokraten ein abschreckendes Beispiel sein. Wir reden über die Vereinigten Staaten, die aus guten historischen Gründen als Anker der demokratischen Welt gelten. Und es geht möglicherweise um alles. Und selbst diese Unsicherheit ist zutiefst delegitimierend und destabilisierend."

Quelle: ntv.de

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