Politik

Der Morgen nach dem Anschlag "Es war der absolute Horror"

Bei dem Anschlag am Montagabend verloren 12 Menschen ihr Leben. Rund 50 wurden verletzt, 30 von ihnen schwer.

Bei dem Anschlag am Montagabend verloren 12 Menschen ihr Leben. Rund 50 wurden verletzt, 30 von ihnen schwer.

(Foto: dpa)

Das Leben muss weitergehen. Am Morgen nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin können viele gar nicht anders, als auf ihrem Weg zur Arbeit am Ort des Schreckens vorbeizugehen. Was geht in ihnen vor?

Dawid Zygarlowski steht an der Budapester Straße. Er steht genau dort, wo der Lastwagen Fahrt aufnahm, bevor er in den Weihnachtsmarkt raste. "Was soll man da sichern?", fragt der 26-Jährige. Auch eine größere Polizeipräsenz hätte einen Sattelschlepper mit einem so schwer beladenen Trailer doch nicht aufhalten können.

"Eine Stadt wie Berlin lässt sich nicht unterkriegen", sagt Dawid Zygarlowski.

"Eine Stadt wie Berlin lässt sich nicht unterkriegen", sagt Dawid Zygarlowski.

(Foto: Issio Ehrich)

Zygarlowski ist eigentlich auf dem Weg zur Arbeit, er hält nur für einen kurzen Moment inne. "Eigentlich liebe ich es, hier entlangzuschlendern", sagt er. Doch jetzt trieben ihn ganz andere Gefühle um: Zuerst sei da die Trauer um die Opfer und ihre Angehörigen, dann die Angst, dass der Anschlag aller Vernunft zum Trotz weiteren Hass in der Gesellschaft schüren könnte. Zugleich spüre er den Wunsch, sich von all diesen Sorgen nicht überwältigen zu lassen. "Man sollte jetzt erst recht auf Weihnachtsmärkte gehen", sagt Zygarlowski. "Eine Stadt wie Berlin lässt sich nicht unterkriegen."

Trauer, Sorge und Trotz - viele Berliner, die an diesem kalt-trüben Morgen am Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche vorbeigehen, erleben ein Durcheinander an Gefühlen. Einige gehen damit so gefasst um wie Zygarlowski. Anderen ist der Schock noch ins Gesicht geschrieben.

Aus der Frontscheibe ragen Tannenzweige

Aike Hoffmann lässt sich vor einer Litfaßsäule, an der bereits ein paar Blumenkränze lehnen, auf ihre Knie sinken. Die 25-Jährige faltet die Hände. Nachdem sie ein paar Kerzen angezündet hat, erzählt sie, dass sie gestern selbst mit ihren Kindern auf einem Weihnachtsmarkt gewesen sei - nicht auf diesem, sondern dem an der Friedrichstraße. Sie sei trotzdem so betroffen gewesen, dass sie die Nacht kaum schlafen konnte. "Ich musste heute Morgen irgendwas machen", sagt Hoffmann. Sie will nicht lange erzählen, sagt nur: "Das ist hart für mich."

Stefanie zündet ihre Kerze an, als gerade die Abschlepparbeiten des Lastwagens beginnen. In der Frontscheibe des schwarzen Lkw sind zwei große Löcher zu sehen, aus denen zersplitterte Holzplanken und Tannenzweige ragen. Auf dem Armaturenbrett liegen ein paar Küchenrollen, womöglich aus einer Bude, in die der Lastwagen gefahren ist. "Ich zittere am ganzen Körper", sagt die 40-Jährige. Aber auch sie sagt: "Wir dürfen den Menschen, die dafür verantwortlich sind, keinen Nährstoff geben, um sich zu profilieren."

Ein Moment der Ohnmacht

"Ich musste heute Morgen irgendwas machen", sagt Aike Hoffmann.

"Ich musste heute Morgen irgendwas machen", sagt Aike Hoffmann.

(Foto: Issio Ehrich)

Kaum 30 Meter vom Lkw entfernt, am Fuß der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, steht Anselm Lange, der Vorstand der Gemeinde. "Ich hoffe, man sieht mir die kurze Nacht nicht so sehr an", sagt er. Lange hat nach dem Anschlag noch bis tief in die Nacht Interviews gegeben. Jetzt ist es kurz vor 9 Uhr und er steht schon wieder hier, um mit seinen Kollegen zu beraten, was die Kirche jetzt leisten kann. "Was gestern geschehen ist, lastet schwer auf der Seele, insbesondere weil es für uns auch eine Zeit der Hilflosigkeit war", sagt Lange. Der gesamte Breitscheidplatz wurde kurz nach dem Anschlag weiträumig abgesperrt und damit auch der Zugang zum Eingang zur Gedächtniskirche. "Eine Kirche möchte in solch einer Situation natürlich auch den Opfern und Angehörigen beistehen. Das war gestern nicht möglich." Er fügt hinzu: "Das ist eine der Aufgaben heute."

Seit dem späten Vormittag liegt in der Gedächtniskirche ein Kondolenzbuch aus. Nach einem Friedensgebet am Mittag ist für 18 Uhr am Abend ein Gottesdienst geplant. Es gehe darum, eine Möglichkeit anzubieten, zu Gedenken und zu verarbeiten, sagt Lange - den Opfern und Angehörigen, den Mitgliedern der Gemeinde, aber auch der Gesellschaft, die Anteil nehme.

Mittlerweile ist nur noch ein Teil des Weihnachtsmarktes durch Barrikaden, Sichtschutz und Polizei gesperrt. Auf der anderen Seite wandeln schon wieder Passanten umher, allerdings zwischen verschlossenen Buden und stillstehenden Karussells. Öffnen wird der Markt an der Gedächtniskirche heute nicht mehr.

Weihnachtsmärkte in Berlin bleiben heute geschlossen

Das sieht andererorts in Berlin zunächst anders aus. "Ich bin selbstständig, soll ich jetzt zumachen und meine Leute nach Hause schicken?", fragt Jens Schmidt, der nicht nur mehrere Buden an der Gedächtniskirche, sondern auch einige auf dem Alexanderplatz betreibt. In einer davon steht er um kurz vor zehn Uhr und bereitet sich auf das Geschäft vor. "Berlin wird sich nicht verändern", sagt Schmidt. "Das schaffen die nicht."

Ein bisschen mehr Polizeipräsenz hätte er sich an einem Morgen wie diesem allerdings schon gewünscht – wohlwissend, dass sich ein vollbeladener LKW auch dann wohl kaum stoppen lassen dürfte. "Sehen Sie, da steht nur ein VW-Bus", sagt Schmidt und zeigt auf einen Einsatzwagen, der rund 100 Meter vor seiner Bude steht. "Man muss der Bevölkerung doch das Gefühl geben, dass sie sicher ist."

In der Nacht noch hat Schmidt dabei geholfen, seine Schwägerin zu trösten. Die hatte an der Gedächtniskirche gearbeitet. "Sie hat dem Fahrer ins Gesicht gesehen", sagt Schmidt. "Es war der Horror, es war der absolute Horror."

Wenig später sind auch die Läden von Schmidts Bude geschlossen. Innensenator Andreas Geisel hat die 60 Berliner Weihnachtsmarktbetreiber gebeten, ihre Märkte zumindest an diesem Tag geschlossen zu halten.

Quelle: ntv.de

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