Politik

Korruption in Putins Russland "Fast das ganze Land reformbedürftig"

Putin in einem Schaufenster in Moskau.

Putin in einem Schaufenster in Moskau.

(Foto: REUTERS)

Putin gewinnt zwar die Wahlen und kann nun für sechs Jahre im Kreml herrschen, doch hat er ein Problem. Es gärt im Land, Reformen sind unumgänglich. Diese aber gefährden seine Herrschaft, meint Russlandexperte Siegert von der Böll-Stiftung in Moskau. Die letzten Monate hätten gezeigt, dass das Klischee vom duldsamen Russen vor allem eins ist: ein Klischee.

n-tv.de: sprach noch am Sonntagabend von einer . War die Abstimmung tatsächlich fair?

Ist es nur der Wind? Putin weint am Wahlabend.

Ist es nur der Wind? Putin weint am Wahlabend.

(Foto: AP)

Jens Siegert: Die Wahlen waren natürlich nicht fair. Putin hat alle Möglichkeiten gehabt, um zu kontrollieren, wer kandidieren darf, wer in den Medien wie erscheinen darf und wie über ihn berichtet wurde. 70 Prozent aller Fernsehbeiträge über die Kandidaten zeigten Putin und dann meist in einem positiven Licht. Der Rest blieb für die anderen vier und über sie wurde hauptsächlich negativ berichtet.

Rechnen Sie denn jetzt mit scharfen Protesten?

Ich denke, dass die Proteste weitergehen werden. Bisher haben sie sich aber eher durch ein Lächeln ausgezeichnet. Die Demonstranten haben gesagt: "Wir sind friedlich und wollen keine Konfrontation." Wenn da die Enttäuschung  größer wird, kann natürlich viel passieren und die Proteste könnten sich verschärfen. Das hängt auch davon ab, wie sich Putin als Präsident benehmen wird.

Wie wird er sich denn benehmen? Vor der Wahl geißelte er immerhin viele Probleme und kündigte Reformen an …

Putin ist seit zwölf Jahren der starke Mann im Land. Da wurde die ganze Zeit über Reformen geredet, ohne dass es welche gab. Insofern denke ich, dass bei Putins Versprechungen Zweifel durchaus angebracht sind. Auf der anderen Seite ist es auch in hohen Kreisen um Putin inzwischen klar, dass es Reformen geben muss, soll Russland nicht wieder zurückfallen. Man kann sich dort nur nicht so richtig dazu entschließen. Schließlich herrscht die Angst, dass politische Reformen auch die Herrschaft Putins gefährden.

Inwiefern?

Bisher versuchte der Kreml, rein technisch die Wirtschaft zu modernisieren, ohne gleichzeitig politische Reformen und mehr Mitbestimmung durchzusetzen. Das aber war nicht erfolgreich, seit der Wirtschaftskrise ist die Industrieproduktion sogar noch einmal geschrumpft. Wenn es tatsächlich eine Modernisierung der russischen Wirtschaft geben soll, damit sie weniger von Rohstoffen, von Öl und Gas abhängt, dann muss es zu einer politischen Öffnung kommen, es muss sich das ganze politische System ändern. Und für eine starke und konkurrenzfähige Wirtschaft braucht Russland genau die , die jetzt auf die Straße gehen: Nämlich die jungen, die mobilen, diejenigen, die etwas tun wollen.

Doch nicht nur in der Wirtschaft, auch in anderen Bereichen scheint es in Russland erheblichen Modernisierungsbedarf zu geben …

Im Grunde ist fast das ganze Land reformbedürftig. Das fängt an mit den Sozialsystemen, mit dem Renten- und Gesundheitssystem, dem Bildungssystem. Es gibt eine überbordende Korruption, die in den vergangenen Jahren immer schlimmer geworden ist, wie selbst Putin und Medwedew eingestehen. Diese Korruption wird sich nicht ohne eine freie Öffentlichkeit bekämpfen lassen. Ohne freie und unabhängige Gerichte. Alles führt darauf hinaus, dass es mehr Konkurrenz geben muss, auch politische. Auf die Dauer wird Russland sonst die Rolle, die auch Putin für das Land international einfordert, nicht spielen können.

Das wäre aber auch das Ende des "System Putin".

Eine weitere Öffnung und Reformen wären mit Sicherheit das Ende der "gelenkten Demokratie". Ich bin aber skeptisch, ob sich Putin dazu entschließen wird. Schließlich wurde die gelenkte Demokratie ja erfunden, um der Gruppe um Putin die Herrschaft zu sichern. Und bisher ist es so, dass die Regierung und Putin alles im Land kontrollieren.

Sehen Sie denn in der Opposition Kräfte, die in absehbarer Zeit auf Putin folgen könnten?

Im Moment gibt es niemanden, der Putin ablösen kann. Aber es geht auch nicht darum, jetzt Putin durch eine andere Person zu ersetzen. Wenn es einen Wettbewerb und einen freien Wahlkampf gibt, bin ich überzeugt, dass in einem so großen Land wie Russland auch schnell fähige Leute auftauchen werden. Politik ist etwas, was man in der Praxis lernen muss. Ohne Praxis keine guten Politiker. Insofern beißt sich die Katze in den Schwanz.

Putin ist geprägt von seiner Zeit als Geheimdienstler.

Putin ist geprägt von seiner Zeit als Geheimdienstler.

(Foto: REUTERS)

Aber Putin zeigt sich nicht gerade als Freund politischer Vielfalt …

Putin steht allem, was selbst organisiert und nicht gelenkt ist, skeptisch gegenüber. Das passt ja auch zu seiner Biographie als Geheimdienstmann. Es muss alles kontrolliert sein.

In den vergangenen Monaten bediente sich Putin verstärkt nationalistischer Töne. Muss der Westen einen stärkeren Konfrontationskurs fürchten?

Die nationalistischen Töne hingen mit dem Wahlkampf zusammen. Im Zweifel zeigte sich in den letzten Jahren und gerade auch in der Krise, dass Putin eher auf Kooperation denn auf Konfrontation mit dem Westen setzt. Natürlich kann es durchaus auch andere Situationen geben, wie vor dreieinhalb Jahren der Krieg in Georgien zeigte.

Ist der Streit um den Raketenschild auch nur ein Wahlkampfmanöver?

Das ist tatsächlich eine ernste Angelegenheit. Hier teilt auch ein großer Teil der politischen  Opposition die Position Putins. Viele Russen halten den Raketenschild für unmöglich und glauben, dass er gegen Russland gerichtet ist. Da würde ich an der Stelle der Nato sehr gut überlegen, wie man weiter vorgeht.

Sollte sich der Westen auch noch mehr für eine Zivilgesellschaft einsetzen?

Jens Siegert ist Leiter des Russland-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau.

Jens Siegert ist Leiter des Russland-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau.

Hier wird schon einiges getan, auch wenn ich mir wünschen würde, dass die Unterstützung für die Zivilgesellschaft etwas offener geschieht. Häufig fürchtet der Westen, dass Moskau negativ reagieren würde, wenn er zu hart und offen Kritikpunkte anspricht. Ich glaube jedoch, dass eine klare und feste Position eher verstanden und anerkannt wird als Zurückhaltung und Weichheit.

Moskau drängt mit einer Energiepartnerschaft auf den deutschen Markt und verspricht,  Milliarden in den deutschen Strom- und Gasmarkt zu pumpen. Wie beurteilen Sie einen solchen Energiepakt?

Grundsätzlich finde ich die Zusammenarbeit richtig. Deutschland braucht für die Energiewende auf absehbare Zeit russisches Gas in großen Mengen. Aber es sollte entsprechende Bedingungen stellen und Gegenleistungen zu fordern. Schließlich sind nicht nur Deutschland oder Europa von russischen Energieträgern abhängig. Russland ist mindestens genauso, wenn nicht sogar mehr, darauf angewiesen, dass die Europäer das russische Öl und Gas kaufen. Zwar gibt es immer wieder Spekulationen, dass Moskau seine Rohstoffe auch nach China oder Indien verkaufen könnte. Das halte ich aber für unwahrscheinlich. Niemand kauft dort in absehbarer Zeit diese Mengen Öl und Gas zu solch hohen Preisen.

Putin kann mindestens sechs weitere Jahre an der Macht blieben. Wagen Sie eine Prognose, wo Russland dann stehen wird?

Ich habe mich in den letzten Jahren an einem Projekt "Russland 2020" beteiligt. Da kamen alle Experten zu dem Schluss, dass Putin wahrscheinlich wieder gewählt wird und es mehr oder weniger so weiter geht wie bisher. Ein bisschen Reform, aber nicht zuviel, ein bisschen Öffnung, aber nicht mehr. Vor allen Dingen waren sich fast alle sicher, dass es aus der Bevölkerung in absehbarer Zeit keine Proteste geben wird. Da sind wir jetzt aber in den vergangenen drei Monaten eines Besseren belehrt worden: Das Klischee von den duldsamen Russen, die nicht reif für die Demokratie sind, ist tatsächlich ein Klischee. Das macht mir Hoffnung, dass Russland im Jahr 2022, sehr viel offener und demokratischer sein wird als das Russland von heute. Es kann doch alles sehr, sehr schnell gehen.

Mit Jens Siegert sprach Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

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