OSZE: "Sieger stand nie infrage" Putin macht den Aufklärer
05.03.2012, 14:00 Uhr
Putin lässt sich nach der Wahl feiern.
(Foto: AP)
Die OSZE findet klare Worte: "Diese Wahl ist nicht fair verlaufen", kritisieren die Beobachter der Wahl in Russland. Der künftige Präsident Putin stellt sich gleich an die Spitze der Aufklärer und droht mit personellen Konsequenzen, sollten Fälschungen nachgewiesen werden. Die Opposition werden ihm das kaum glauben - ebensowenig wie seine Tränen am Wahlabend.

Tonino Picula, Tiny Kox and Heidi Tagliavini von der OSZE fordern Aufklärung von Putin.
(Foto: REUTERS)
Internationale Beobachter haben die Wahl von zum russischen Präsidenten als ungerecht und unfair kritisiert. In jedem dritten Wahllokal seien bei der Auszählung schwere Unstimmigkeiten festgestellt worden. Vielerorts seien illegal Stimmzettel in die Wahlurne gestopft worden. "Diese Wahl ist nicht fair verlaufen, trotz Verbesserungen wie der Einführung von Webcams in Wahllokalen und transparenten Urnen", sagte die Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Bei dem Urnengang seien demokratische Standards, zu denen sich Russland als Europaratsmitglied verpflichtet habe, nicht vollends erfüllt worden, sagte der Niederländer Tiny Kox. Er sprach von einer insgesamt "schlechten" Auszählung der Stimmen. Die Bedingungen für die Wahl seien klar auf Putin zugeschnitten gewesen. So hätten die Staatsmedien vor allem und oft einseitig zugunsten des Regierungschefs berichtet. Zudem sei der politische Wettbewerb durch den Ausschluss der Opposition eingeschränkt gewesen. "Der Missbrauch von staatlichen Ressourcen hat dazu geführt, dass der Sieger nie infrage stand", kritisierte Kroatiens Ex-Außenminister Tonino Picula. Die OSZE fordere eine Aufklärung der Unstimmigkeiten.
Die Opposition hatte bereits im Vorfeld der Wahl massive Behinderungen beklagt. Die Wahlbeobachtergruppe Golos berichtete von mehr als 3100 Manipulationsversuchen. Einige Wähler erklärten, sie seien gezwungen worden, für Putin zu stimmen. Blogger sagten, es habe Betrugsversuche im Raum Moskau gegeben. So seien etwa Wähler-Gruppen von einem zum nächsten Wahllokal transportiert worden, um immer wieder ihre Stimme abzugeben. Der Trick ist bekannt als "Karussell-Methode". "Wow, wir haben Karussells erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß", schrieb Russlands wohl bekanntester Blogger Alexej Nawalni auf Twitter.
Die zentrale Wahlkommission wies den Vorwurf der Wahlmanipulation zurück. Putin forderte indes die Aufklärung aller angeblichen Fälschungen. "Ich hoffe, dass die Zentrale Wahlkommission angemessen reagieren wird", sagte Putin nach Angaben der Agentur Itar-Tass. Der Regierungschef drohte mit personellen Konsequenzen, falls Fälschungen nachgewiesen würden. Der Wahlkampf sei allerdings nicht schmutzig gewesen, sagte Putin.
Putins Tränen am Wahlabend
Ungeachtet der Manipulationsvorwürfe hatte die Wahlkommission Putin offiziell zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der 59-Jährige habe 63,65 Prozent der Stimmen bei dem Urnengang erzielt, hieß es. Putins Herausforderer von der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, kam mit 17,19 Prozent auf den zweiten Platz. Noch weiter abgeschlagen waren der Milliardär mit 7,82 Prozent, der Nationalist Wladimir Schirinowski mit 6,23 Prozent und frühere Vorsitzende des Föderationsrates, Sergej Mironow, mit 3,85 Prozent. In der unruhigen Kaukasusrepublik Tschetschenien kam Putin bei einer Wahlbeteiligung von offiziell 99,59 Prozent auf 99,73 Prozent der Stimmen.
Putin erklärte sich nach der Wahl umgehend zum Sieger. "Ich habe euch versprochen, wir würden gewinnen - und wir haben gewonnen. Ruhm für Russland", sagte Putin noch am Sonntagabend vor mehr als 100.000 Anhängern in Moskau. Über seine Wangen liefen Tränen. "Wir haben in einem offenen und ehrlichen Kampf gewonnen", so Putin. Die Wähler wüssten zwischen "dem Wunsch nach Wandel und politischen Provokationen" zu unterscheiden, sagte Putin in Anspielung auf die beispiellosen Proteste seit den . Ihr Ziel sei es "unseren Staat zu zerstören und die Macht zu ergreifen", sagte der Regierungschef.
Die Opposition mokierte sich indes über die Tränen Putins. "Moskau glaubt den Tränen nicht" schrieb der Blogger Slawik Zehner in Anspielung auf einen berühmten sowjetischen Film von 1980. Alexej Nawalni, der die Protestbewegung gegen Putin mitorganisiert, reagierte mit Ironie. "Heute hatte unser Führer wahren Grund zum Weinen", sagte er dem Fernsehsender Doschd. "Er schaute sich um und sagte sich: 'Mein Gott, was habe ich getan?'". Putin selbst sagte, die Tränen seien "echt, aber echt wegen des Winds".
Nach der Wahl wies indes Medwedew die Justiz an, die Urteile gegen den Kremlkritiker und 31 weitere Verurteilte zu überprüfen. Generalstaatsanwalt Juri Tschaika solle bis zum 1. April "die Grundlage und die Rechtmäßigkeit der Verurteilung" von 32 Russen überprüfen, erklärte der Kreml. Neben dem Ölunternehmer Chodorkowski betrifft die Maßnahme auch seinen früheren Geschäftspartner Platon Lebedew. Medwedew reagierte damit auf die Forderung der Opposition, die ihm bei einem Treffen am 20. Februar eine Liste mit den Namen von "politischen Gefangenen" übergeben hatte. Die Freilassung politischer Gefangener ist eine der zentralen Forderungen der Protestbewegung.
Mahnungen aus dem Ausland
Bundeskanzlerin Angela Merkel übte verhaltene Kritik an der Wahl. Die Umstände der Abstimmung würden in vielem nicht dem entsprechen, was in anderen Teilen Europa üblich sei, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Das ist bedauerlich."
Zu Putins "großen Aufgaben" gehöre die Modernisierung des Landes, die nicht nur eine wirtschaftlich-technische, sondern auch eine politisch-gesellschaftliche sein müsse. Zugleich bekräftigte Seibert, dass Russland ein strategischer Partner für Deutschland sei. Viele internationale Probleme könnten nur gemeinsam mit Russland gelöst werden. Das drängendste dieser Probleme sei Syrien, sagte Seibert. Auch dieses Thema werde demnach bei dem Gespräch der Kanzlerin mit Putin eine Rolle spielen.
Die Europäische Union forderte Russland auf, sich mit "Mängeln" bei der Wahl auseinanderzusetzen. Die EU teile den Eindruck der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel.
kündigte an, die strategische Partnerschaft mit Russland fortzuführen. Auch wenn es nicht in allen Punkten Übereinstimmung gebe, wisse die Bundesregierung, dass Probleme in Europa nur gemeinsam gelöst werden könnten. Das betreffe auch Fragen der Sicherheit.
Analysten halten sich zurück
Analysten äußerten sich zunächst zurückhaltend zum Wahlergebnis: Die würden in den kommenden Tagen genau auf die angekündigten Proteste achten, sagte Marcus Svedberg von East Capital. Sollten sie wie bislang auch friedlich verlaufen, würde dies an den Märkten als Impuls für Putin zur Umsetzung von Reformen gewertet. Investoren würden den Ausgang der Wahl eher positiv denn negativ bewerten, sagte Julia Tscheplajewa von BNP Paribas. Putin stehe für politische Stabilität.
Unmittelbar vor der Wahl kündigte Putin an, sein Land als Wirtschaftsmacht auf Vordermann zu bringen. So wolle er Russland zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt entwickeln, sagte Putin dem "Handelsblatt" und weiteren westlichen Tageszeitungen. Derzeit befindet sich das Land auf Platz neun. Er setze auf eine Pro-Wachstumspolitik, eine Bekämpfung der Korruption, eine unternehmerfreundliche Steuerreform und die weitere Privatisierung von Staatsfirmen. Einst hatte Putin sich bei vielen Russen Respekt verschafft, indem er Ordnung in das Chaos nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachte.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/rts/AFP