Hochwasser und Anti-FPÖ-Block Österreich steht bei Wahl vor einem Rechtsruck
28.09.2024, 16:02 Uhr Artikel anhören
Am Sonntag wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Laut Umfragen wird es in der Alpenrepublik einen Rechtsruck geben. Doch vielleicht kommt es auch zu einer Überraschung.
Plötzlich ist alles anders. Es ist Mitte September, sintflutartige Regenfälle prasseln auf Teile Österreichs. Die Hauptstadt Wien entgeht gerade so einer Katastrophe. Doch in Niederösterreich ist die Lage tagelang verheerend. Dörfer und Städte werden verwüstet. Die Aufräumarbeiten werden Jahre dauern. Auf die neue Situation haben die Parteien sich inzwischen eingestellt. Sie wurden mitten im Wahlkampf von der Hochwasserkatastrophe getroffen. Am Sonntag sollen sich die Österreicher für einen neuen Nationalrat entscheiden. So nennen die Österreicher ihren Bundestag. Die Rechtsaußen-Partei FPÖ liegt in Umfragen vorn und rund zehn Prozent über ihrem Ergebnis von 2019.
Die sozialdemokratische SPÖ hat die Katastrophe für sich auszuschlachten gewusst. Ihr Spitzenkandidat Andreas Babler ist Bürgermeister einer vom Hochwasser betroffenen Stadt, Feuerwehrmann ist er auch. Natürlich leistet er Dienst im Katastrophenschutz. Babler achtet darauf, dass auch immer möglichst viele Kameras dabei sind. Ob er damit den oppositionellen Sozialdemokraten auf die Füße hilft, ist fraglich. Babler ist selbst in seiner eigenen Partei nicht bei allen beliebt. Schon seine Wahl zum Parteichef im vergangenen Jahr hatte mit einer Panne begonnen.
Bei einem Wahlparteitag im Sommer sollte der SPÖ-Vorsitzende und -Spitzenkandidat für die Wahlen in diesem Jahr gewählt werden. Zunächst hieß es, der erfahrene Hans-Peter Doskozil habe die Wahl gewonnen. Zwei Tage später stellte sich heraus: Die Stimmzettel und das verkündete Wahlergebnis passten nicht zusammen. Eine erneute Kontrolle ergab: Die Zahlen sind richtig, die Kandidaten aber nicht. Der zunächst als unterlegen geltende Andreas Babler war der Sieger. Schuld war angeblich eine Excel-Datei.
Babler hat die Sozialdemokraten auf einen deutlich linken Kurs geführt. Bei den Umfragen hat es nichts genützt. Die Partei liegt auf dem dritten Platz. Auch die anderen Parteien haben versucht, Kapital aus der Hochwasserkatastrophe und dem Leid der Menschen zu schlagen. Die FPÖ zum Beispiel, Pendant zur deutschen AfD, fordert 10.000 Euro für jeden, der durch die Flut Hab und Gut verloren hat. Das kommt sicher gut an, mögen die Wahlkampfstrategen der Rechtspopulisten gedacht haben. Doch der Funke zündet nicht so recht.
Zugleich hat Bundeskanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP anscheinend vieles richtig gemacht. Er leitete Krisenbesprechungen, wie man das von einem Bundeskanzler erwartet. Der Katastropheneinsatz war offensichtlich gut organisiert, Nehammers Leistung wird auch von Experten anerkannt. Auch von den Wählern, wie mehrere österreichische Fernsehsender berichten: Demnach steigt die Unterstützung für den ÖVP-Chef, der Abstand zu seinem FPÖ-Kontrahenten Herbert Kickl wird kleiner. Fakt ist also: Die Hochwasserkatastrophe hat den Wahlkampf beeinflusst. Sie könnte sich auch auf das Ergebnis auswirken.
Verhältnis zerrüttet
Österreich wird von einer Koalition aus ÖVP und den Grünen regiert. Doch das Bündnis stand zum Schluss unter keinem guten Stern. Die Alpenrepublik blickt ein wenig neidisch auf die Ampelkoalition in Deutschland. Die regiert wenigstens noch. In Österreich ist das Vertrauen zwischen Schwarz und Grün zerstört, eine weitere Legislaturperiode mit den Grünen hat Kanzler Nehammer ausgeschlossen. Die Grünen in Österreich sind radikaler als die Grünen bei uns, die ÖVP ist eher mit der CSU in Bayern zu vergleichen als mit ihrer Schwesterpartei.
Die ideologischen Unterschiede sind deutlich spürbar, trotzdem gaben sich die Koalitionäre lange Mühe, miteinander klarzukommen. Wenn gestritten wurde, dann häufig hinter den verschlossenen Türen des Ministerrats, wie man in Österreich das Kabinett nennt. Als die Parteien ihre Konflikte immer häufiger öffentlich austragen, kommt es im Juni zum Eklat. Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler stimmt einem Renaturierungsgesetz der EU zu, gegen Nehammers Willen. Der Kanzler droht daraufhin, die Ministerin zu verklagen.
Laut den Umfragen müssen die Grünen bei der Wahl mit deutlichen Verlusten rechnen, aber könnten weiterhin im Nationalrat vertreten sein. Möglich macht das die Sperrklausel, die in Österreich bei vier Prozent liegt, nicht bei fünf Prozent wie in Deutschland. Die Grünen gehören zu den kleinen Parteien, ebenso wie die NEOs, die wirtschaftsliberale Ansichten vertreten. Insider berichten, dass die Liberalen seit Monaten nach möglichen Koalitionspartnern suchen. Sie wollen unbedingt Teil der nächsten Regierung sein. Dank der FPÖ ist das nicht unwahrscheinlich. Denn gegen die Rechtsaußen-Partei hat sich ein demokratischer Block gebildet, zu dem auch die NEOs gehören.
FPÖ zeigt mit Finger auf Flüchtlinge
Die Rechtspopulisten, wie sie in Österreich genannt werden, trumpfen mit ihren Forderungen für eine deutlich restriktivere Asylpolitik. Sie schieben die Schuld für jegliche Probleme auf Flüchtlinge. Das ist, kurz gesagt, ihre Philosophie. Die FPÖ gibt es seit Mitte der 1950er Jahre. Dreißig Jahre lang war sie ungefährlich, dümpelte bei den Wahlen immer um fünf Prozent herum. Sie sprach vor allem gut verdienende Menschen an, Studentenbündler und Wähler mit deutschnationaler Gesinnung, von denen es in Österreich einige gibt. Dann kam ein Mann aus Kärnten, Jörg Haider. Der erkannte das Potential der FPÖ, erschloss erfolgreich neue Wähler, indem er zur Radikalisierung der Partei beitrug.
Anders als die AfD in Deutschland ist die FPÖ eine wenn auch nicht gern gesehene, aber doch anerkannte politische Kraft. Eine Brandmauer wie in Deutschland gibt es nicht, wenn auch die linken Parteien im Nationalrat eine Koalition mit den Leuten von Rechtsaußen ausschließen. Die ÖVP hält sich ihre Optionen offen, obwohl die bisherigen schwarz-blauen Koalitionen immer scheppernd in die Brüche gingen: Anfang der 2000er, weil sich die FPÖ politisch zersplitterte, nachdem Ex-Grande Jörg Haider eine Gegenbewegung bildete. Im Jahr 2019 wegen der Ibiza-Affäre, die den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Hans-Christian Strache die Parteimitgliedschaft kostete. Nachdem ihm die Unterschlagung von Parteigeldern vorgeworfen wurde, feuerten die Freiheitlichen ihren "HC". Heute versucht Strache erfolglos, in der Wiener Lokalpolitik einen Fuß auf die Erde zu bekommen.
Sein Nachfolger ist Herbert Kickl, der sich selbst "Volkskanzler" nennt. Lange galt ein Sieg der FPÖ bei den Wahlen am Sonntag als sicher. Doch nun sehen viele Beobachter in Wien ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kickl und Nehammer voraus. Einige glauben sogar, die Hochwasserkatastrophe in Österreich könnte am Ende die FPÖ buchstäblich absaufen lassen. Und sie könnte dazu führen, dass eine demokratische Koalition einen lange befürchteten Bundeskanzler der "Freiheitlichen" verhindern würde. Unklar ist, wie sich die ÖVP verhalten wird. Würde sie die stärkste demokratische Partei werden, braucht sie zum Regieren einen oder mehrere Koalitionspartner. Aber auch eine erneute Koalition zwischen ÖVP und FPÖ halten Beobachter für möglich.
Quelle: ntv.de