Rechtsruck in der Alpenrepublik Alle Daten zur Wahl in Österreich
30.09.2024, 08:10 Uhr Artikel anhören
Wahlergebnis in Österreich: Herbert Kickl und die FPÖ sind neue stärkste Kraft.
(Foto: picture alliance / Maximilian Koch)
Bei der Nationalratswahl in Österreich gibt es einen klaren Gewinner: Die Rechten um FPÖ-Chef Kickl liegen erstmals vorn. Die konservative ÖVP stellt im Parlament künftig nur noch die zweitstärkste Kraft. Die Liberalen überholen die Grünen. Das vorläufige amtliche Ergebnis der Wahl im Überblick.
In Österreich hat die rechtspopulistische "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) die Nationalratswahl gewonnen. Erstmals in der Geschichte der Alpenrepublik bildet eine rechte Partei die stärkste Kraft in der österreichischen Volksvertretung. Die konservative "Österreichische Volkspartei" (ÖVP) rutscht mit ihrem Spitzenkandidaten, dem amtierenden Kanzler Karl Nehammer, auf Platz zwei ab.
Die FPÖ liegt laut vorläufigem amtlichen Endergebnis bei 29,2 Prozent der abgegebenen Stimmen, wie die Wahlbehörde am späten Wahlabend etwa eine halbe Stunde nach Mitternacht bekannt gab. Die Rechten stellen damit künftig unter FPÖ-Chef Herbert Kickl die größte Fraktion im Nationalrat. Die ÖVP erreichte bei dem Votum landesweit 26,5 Prozent der abgegebenen Stimmen, was im Vergleich zur vorausgegangenen Wahl 2019 einem Minus von 11 Prozentpunkten entspricht.
Hinweis: Die Infografiken zur Nationalratswahl 2024 zeigen die Daten der Wahlbehörde und wurden am Wahlabend anhand der eintreffenden Hochrechnungen laufend aktualisiert.
Die österreichischen Sozialdemokraten (SPÖ) kamen mit vergleichsweise leichten Verlusten auf Platz 3, müssen aber mit einem Wahlergebnis von 21,1 Prozent (minus 0,1 Prozentpunkte) ihr bisher schwächsten Ergebnis bei einer Nationalratswahl verkraften. Die SPÖ liegt insgesamt nur 0,1 Prozentpunkte unter ihrem Niveau von 2019.
Die liberale Partei NEOS ("Neues Österreich und Liberales Forum") zieht mit 9,0 Prozent noch vor den Grünen als viertstärkste Fraktion in den Nationalrat ein. Die österreichischen Grünen, die bisher in einer Koalition mit der ÖVP an der Regierung beteiligt waren, verlieren im Vergleich zur zurückliegenden Wahl 5,9 Prozentpunkte und sicherten sich damit nur noch 8,0 Prozent. Damit müssen ÖVP und Grüne unter allen angetretenen Parteien im Vergleich zur vorausgegangenen Wahl die mit Abstand stärksten Verluste hinnehmen.
Die ersten Hochrechnungen zeichneten bereits früh ein recht genaues Bild. Schon kurz nach Schließung der letzten Wiener Wahllokale um Punkt 17.00 Uhr (MESZ) war klar: Die politischen Machtverhältnisse in der Alpenrepublik haben sich durch diese Wahl massiv verschoben. Österreich rückt mit einem fast 30-prozentigen Stimmanteil für die FPÖ deutlich nach rechts.
Das bisher amtierende türkis-grüne Regierungsbündnis aus Konservativen und Grünen unter Bundeskanzler Karl Nehammer kann in bisheriger Form nicht weitermachen. Das rechte Lager kann mit Abstand die meisten Stimmen hinzuggewinnen. Die Wahlbeteiligung blieb laut Angaben der Wahlbehörde mit insgesamt 74,9 Prozent unter dem Niveau von 2019.
Welche Partei künftig den Kanzler stellen kann, ist noch offen. Auf Basis der vorläufigen Ergebnisse hätten rein rechnerisch nicht nur FPÖ und ÖVP gemeinsam eine Mehrheit im Nationalrat, sondern auch - wenn auch knapp - ÖVP und SPÖ. Konservative und Sozialdemokraten kommen zusammen auf 93 Mandate. Die erforderliche Schwelle zur Mehrheit im Nationalrat liegt bei 92 Sitzen.
Den Auftrag zur Regierungsbildung vergibt in Österreich der Bundespräsident. Amtsinhaber Alexander van der Bellen - ein früherer Grünen-Politiker - ist dabei verfassungsgemäß frei in seiner Entscheidung. Der direkt gewählte Staatschef ist nicht verpflichtet, dem Vertreter der größten Fraktion im Nationalrat den Vorzug zu geben. Damit könnte der amtierende Kanzler Nehammer erneut zum Zug kommen.
Gemeinsam mit einem dritten Koalitionspartner kämen Konservative und Sozialdemokraten auf eine komfortable Grundlage zur Regierungsbildung. Denkbar wäre etwa eine Dreier-Koalition mit den Liberalen oder den Grünen.
Mit dem Wahlsieger, der FPÖ, will die ÖVP, die mit Karl Nehammer bisher den österreichischen Kanzler stellt, nach ihrer Wahlschlappe in jedem Fall nicht in einer Regierung zusammenarbeiten. "Das war gestern so und das ist heute so und morgen wird es noch immer so sein", sagte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker am Wahlabend mit Blick auf den Triumph von Kickl und seiner rechten FPÖ.
Die FPÖ war schon mehrmals an der Regierung in Wien beteiligt, allerdings bisher nur als Juniorpartner. Obwohl sich die Hochrechnungen bestätigten und die Rechtspopulisten tatsächlich stärkste Kraft im österreichischen Nationalrat werden, bleibt es dennoch wenig wahrscheinlich, dass es dem stramm rechten Parteichef Kickl gelingt, eine tragfähige Mehrheit zu schmieden. Auch ÖVP-Chef Nehammer hat eine Zusammenarbeit mit Kickl als Regierungschef wiederholt ausgeschlossen.
Der frühere Innenminister Kickl hatte die FPÖ-Führung nach dem "Ibizagate"-Korruptionsskandal seiner Partei 2021 übernommen. Mit Verschwörungserzählungen über die Corona-Schutzmaßnahmen, feindlichen Parolen gegen Migranten und scharfer Kritik an der Unterstützung der Ukraine angesichts des russischen Angriffskriegs brachte er der FPÖ Zulauf.
Kickl machte im Wahlkampf zudem mit gezielten Tabubrüchen von sich reden. So nennt er eine "Remigration" als eines seiner politischen Ziele, bei der Österreicher mit nicht-europäischen Wurzeln, deren Integration als unzureichend eingestuft wird, ausgewiesen werden sollen.
FPÖ-Chef Herbert Kickl bekräftige am Wahlabend den Regierungsanspruch seiner Partei. "Wir sind bereit, auch eine Regierung zu führen", sagte Kickl bei der Runde der Spitzenkandidaten der größten Parteien im österreichischen Fernsehen. Dabei schließe die FPÖ kein Bündnis von Vornherein aus: "Unsere Hand ist ausgestreckt in alle Richtungen", betonte Kickl.
Stimmgewinne hatten sich in den Umfragen jedoch nicht nur für das rechte Lager, sondern auch für die österreichischen Liberalen angedeutet. Die Partei "Das Neue Österreich" (NEOS) - die in Österreich in Pink für "Freiheit, Fortschritt und Gerechtigkeit" antritt - überholte die Grünen und schwang sich mit ihrer Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger zur neuen viertstärksten politischen Kraft auf.
Zuwächse verzeichneten daneben auch die BIER-Partei und die KPÖ: Die BIER-Partei, die KPÖ und weitere Kleinparteien verpassten allerdings den Einzug ins Parlament. Chancen auf einen Einzug ins Parlament sahen Meinungsforscher im Vorfeld der Wahl vor allem bei der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) sowie der vergleichsweise junge "Bierpartei" (BPÖ). Insbesondere der als Spaß- und Satirepartei gestartete BPÖ wurden im Vorfeld der Wahl gute Aussichten eingeräumt, es über die in Österreich geltende Vier-Prozent-Hürde schaffen.
Wenig Aussichten, die im österreichischen Wahlrecht vorgesehenen Sperrklauseln zu überwinden, hatten dagegen die übrigen österreichischen Kleinparteien, darunter auch die "Liste Madeleine Petrovic" (LMP). Bei der LMP handelt es sich um eine impfskeptische Tier- und Umweltschutzpartei, die aus der Ablehnung staatlich angeordneter Maßnahmen während der Coronavirus-Pandemie hervorgegangen ist
Die namensgebende Spitzenkandidatin Madeleine Petrovic saß von 1990 bis 2003 als Abgeordnete der Grünen im Nationalrat. Wie die BPÖ trat die erst 2022 gegründete LMP am 29. September erstmals bei einer Nationalratswahl an. Mit ihrer namensgebenden Spitzenkandidatin erreichte die "Liste" laut Hochrechnung immerhin 0,6 Prozent der Stimmen.
Der österreichische Nationalrat ist in seiner Funktion im politischen Gefüge der Alpenrepublik grob mit dem deutschen Bundestag vergleichbar. Als zweite Parlamentskammer neben dem österreichischen Bundesrat ist der Nationalrat zentrales Organ der Gesetzgebung und Ort der parlamentarischen Debatte.
Sperrklauseln kommen in in Österreich bei der Auszählung der Stimmen in einem mehrstufigen Verfahren zur Anwendung. "Für die Nationalratswahl ist das österreichische Bundesgebiet in neun Landeswahlkreise eingeteilt, die wiederum in insgesamt 39 Regionalwahlkreise untergliedert sind", erläuterte das Innenministerium in Wien das Vorgehen.
Um bei der Sitzverteilung berücksichtigt zu werden, müssen Parteien entweder in der ersten Stufe der Auszählung in mindestens in einem der 39 Regionalwahlkreise eine gewisse Prozenthürde überschreiten oder in einer zweiten Stufe landesweit mehr als vier Prozent aller abgegebenen Stimmen erreichen. Die lokale Hürde für das Grundmandat liegt in der Regel bei 20 bis 25 Prozent der vor Ort abgegebenen Stimmen
Bei der regulär alle fünf Jahre anstehenden Nationalratswahl werden alle 183 Sitze der Parlamentskammer neu vergeben. Zur Stimmabgabe aufgerufen sind grundsätzlich alle Österreicherinnen oder Österreicher ab 16 Jahren. Die zuständige Wahlbehörde im Innenministerium gab die Zahl der Wahlberechtigten mit exakt 6.346.059 an. Die Zahl liegt um fast 51.000 unter dem Niveau bei der zurückliegenden Wahl 2019.
Rückblick: Österreich vor fünf Jahren
Insgesamt leben in der Republik Österreich rund 9,2 Millionen Menschen. Die mit Abstand bevölkerungsreichsten Regionen liegen im Norden und Osten der Alpenrepublik. Allein die Hauptstadt Wien zählt rund zwei Millionen Einwohner.
Das die Hauptstadtregion umgebende Bundesland Niederösterreich kommt auf eine Bevölkerung von etwa 1,7 Millionen, das weiter westlich gelegene Oberösterreich auf 1,5 Millionen, die Steiermark im Südosten auf insgesamt knapp 1,3 Millionen. Die übrigen fünf österreichischen Bundesländer Tirol, Salzburg, Kärnten, Vorarlberg und das Burgenland beheimaten gemeinsam 2,6 Millionen Einwohner. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 28,7 Prozent.
Bei der Nationalratswahl 2019 hatte die ÖVP noch einen Stimmanteil von 37,5 Prozent erzielt. Zweitstärkste Kraft war die SPÖ mit 21,2 Prozent, gefolgt von der FPÖ, die 16,2 Prozent erreicht hatte. Die Grünen hatte vor fünf Jahren vergleichsweise starke 13,9 Prozent eingefahren. Die Liberalen (NEOS) lagen bei 8,1 Prozent. Die Wahlbeteiligung 2019 lag laut damaligen amtlichem Endergebnis bei 75,6 Prozent und damit unter der Quote der vorausgegangenen Nationalratswahl 2017, die in jenem Jahr noch glatte 80,0 Prozent erreicht hatte.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa/rts