Nach Gysis "Hass"-Rede Fraktion hält Füße still
12.06.2012, 18:52 Uhr
"Ich bin es leid", brüllte Gysi auf dem Göttinger Parteitag.
(Foto: dpa)
Der ganz große Krach bleibt aus beim Wiedersehen. Nach Fraktionschef Gysis deutlichen Worten auf dem Göttinger Parteitag der Linken - er sprach von "Hass" in den eigenen Reihen - geben sich die Abgeordneten vergleichsweise handzahm.
Es waren harte Worte, mit denen Gregor Gysi beim Göttinger Parteitag den Zustand seiner Linksfraktion beschrieb: Es herrsche "Hass" zwischen den Abgeordneten der beiden Parteiflügel. Er fühle sich manchmal wie zwischen zwei Lokomotiven, die aufeinander zurasten. Gysi sprach davon, es sei vielleicht besser, sich zu trennen, als eine "in jeder Hinsicht verkorkste Ehe" zu führen.
Eineinhalb Wochen nach Göttingen traf sich die so gescholtene Fraktion das erste Mal wieder in Berlin. Mehrere Stunden saßen die Abgeordneten im Clara-Zektin-Saal im Reichstag zusammen - eine Rebellion gegen Gysi wurde es nicht. Die Debatte verlief nach Angaben von Teilnehmern ruhig und sachlich. Mancher Abgeordnete stellte die Frage, ob Gysis öffentliche Kritik an dem Zustand der Bundestagsfraktion so wirklich sein musste. Andere baten, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Grabenkämpfe der Vergangenheit auch Verletzungen hinterließen, die aufgearbeitet werden müssten.
Hinter der Linken liegt ein wochenlanger Machtkampf um die Führung, in dem sich Gysi vom Linke-"Gründungsvater" Oskar Lafontaine distanziert und sich auf die Seite des Ost-Reformers Dietmar Bartsch schlug. Dieser verlor dann in einer Kampfabstimmung gegen den Gewerkschafter Bernd Riexinger, der nun mit Katja Kipping die neue Parteispitze bildet. Dass sich das Verhältnis zwischen Gysi und Lafontaine verschlechtert hat, zeigte sich auch in den Reden der beiden in Göttingen. Während Gysi dort offen die Spaltung ansprach, warnte Lafontaine, das Wort Spaltung auch nur in den Mund zu nehmen.
Vermutungen, dass jetzt Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht versuchen könnte, an Gysis Stuhl als Fraktionschef zu sägen und zumindest gleichberechtigte Fraktionschefin neben diesem zu werden, wies Wagenknecht selbst noch vor der Fraktionssitzung zurück. Sie gehe "selbstverständlich" davon aus, dass sich an der bisherigen Konstellation bis zur Bundestagswahl nichts ändere, sagte Wagenknecht, die bislang Fraktionsvize ist, in die Kameras.
Lob von Liebich
Der Berliner Abgeordnete Stefan Liebich meint: "Es war richtig, dass Gysi klar gesagt hat, wie er die Fraktion einschätzt. Das war ein sehr hartes Signal, aber eines, das bei den allermeisten Abgeordneten angekommen ist." Auch der Thüringer Abgeordnete Frank Tempel glaubt, viele hätten intensiv über Gysis Worte nachgedacht.
Die Abgeordnete Ulla Jelpke räumte vor der Sitzung zwar ein, dass sie gerne Wagenknecht als gleichberechtigte Fraktionschefin neben Gysi hätte. "Aber das steht jetzt nicht zur Debatte." Gysi gibt sie eine Mitschuld an dem Zustand der Fraktion: "Ich glaube, dass Gregor Gysi häufig auch in einem der Züge saß, die aufeinander zurasten."
Nicht wenige Abgeordnete sehen in Gysis Göttinger Rede ein möglicherweise heilsames Gewitter, das die verfeindeten Lager zur Räson bringen und zwingen könnte, sich zusammenzuraufen. Das aber hat sich die Fraktion schon mehrfach vorgenommen. Deshalb steht auch jetzt die Frage im Raum, wie lange der Frieden halten wird. So kurz vor der Bundestagswahl 2013 ist auch sicher: Das wird die Nagelprobe.
Quelle: ntv.de, dpa