Sängerwettstreit zur Einheit Gauck hält Rede zur Integration
02.10.2010, 08:05 Uhr
Feierstunde des Landes Berlin. Die Festrede hält Joachim Gauck.
(Foto: REUTERS)
Einen Tag vor Christian Wulff hält Joachim Gauck eine Rede zum 3. Oktober - und will ausdrücklich nicht in Konkurrenz zum Bundespräsidenten treten. Jedoch: Er spricht über das Thema Integration. Genau dies sieht Wulff als Schwerpunkt seiner Amtszeit.
Joachim Gauck hat zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit mehr Anstrengungen zur Integration von Migranten und sozial Schwachen gefordert. Die "Abgehängten unserer Gesellschaft" müssten die Eigenverantwortung wieder erlangen, sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler und Bundespräsidentenkandidat von SPD und Grünen bei einer Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus.
Das bedeute auch, "in den Problemzonen der Abgehängten Forderungen zu stellen", so Gauck. "Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten." Beispielsweise sollten Kinder aus Einwandererfamilien möglichst früh in Krippen und Kitas, um Deutsch zu lernen.
Wulff spricht am Sonntag
Im Juni war Gauck bei der Wahl zum Bundespräsidenten dem Kandidaten von Union und FDP, Christian Wulff, unterlegen. Wulff will am Sonntag bei den Einheitsfeiern in Bremen seine erste programmatische Rede als Bundespräsident halten. In einer Pressemitteilung erklärte Wulff vorab, "20 Jahre Deutsche Einheit sind Anlass zum Feiern, aber auch zum Innehalten". Die Veränderungen, die Deutschland in dieser Zeit erfahren habe, seien besonders in Ostdeutschland, aber nicht nur dort, "gewaltig".
Wulff hatte nach seiner Wahl angekündigt, "Brücken zu bauen" - ausdrücklich auch zwischen "Menschen aus Ost und West" sowie zwischen "Einheimischen und Zugewanderten". Berichten zufolge arbeitet Wulff seit Wochen an dieser Rede.
"Kein Sängerwettstreit"
Gauck ging direkt darauf ein, dass Journalisten auf die Idee kommen könnten, seine Rede mit der des Bundespräsidenten zu vergleichen. "Das hier heute ist kein Sängerwettstreit von der Wartburg und ist auch keine Veranstaltung, die dem atonalen Prinzip mancher Männer folgt. Sondern es ist ein Miteinander von unterschiedlichen Menschen an unterschiedlichen Orten."
Der Staat müsse Forderungen an eingewanderte Familien stellen, die noch nach Jahren nicht Deutsch sprechen, so Gauck weiter. Er verwies dabei auf die Problembeschreibungen der gestorbenen Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig und des Bezirksbürgermeisters von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD).
"Ohnmacht kommt auch von innen"
"Nichts lässt Menschen mehr verkümmern als Verweigern von Verantwortung, als Verantwortungslosigkeit", sagte der erste Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Er verband damit die heutigen Probleme mit den Ereignissen von 1989 und 1990. "Ohnmacht kommt nicht nur von Diktatoren, Ohnmacht kommt auch von innen." Der Tag der deutschen Einheit sei für ihn ein politischer Erntedanktag.
Das Landesparlament und der Senat von Berlin erinnerten in der Feierstunde gemeinsam an die Wiedervereinigung der Stadt vor 20 Jahren. Daran nahmen auch Botschafter und Gesandte der USA, Frankreichs, Großbritanniens und Russlands teil. Im Publikum saßen auch die drei letzten alliierten Stadtkommandanten von West-Berlin, François Cann (Frankreich), Raymond Haddock (USA) und Robert Corbett (Großbritannien).
Merkel versteht Ostalgiker

Das Brandenburger Tor auf der "Ländermeile" in Bremen. Die Hansestadt ist Gastgeber der Jubiläumsfeiern, weil sie zurzeit den Vorsitz im Bundesrat hat.
(Foto: dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel warb um Verständnis dafür, dass nicht alle Bürger der ehemaligen DDR über die Einheit nur Freude empfinden. In der "BamS" erwähnte sie insbesondere Menschen, die 1990 schon über 50 waren und nicht mehr verbeamtet werden konnten. "Dann kann ich verstehen, dass er bei aller Freude über die Einheit auch den verlorenen Lebenschancen nachtrauert. Diese Generation hat den Umbruch zum Teil hart zu spüren bekommen, vor allem in Form von Arbeitslosigkeit."
Merkel wünscht sich zudem mehr Anerkennung für die Lebensleistung der Ex-DDR-Bürger im Westen. "Schade ist nur, dass manche bis heute nicht sehen oder verstehen wollen, dass das Staatsgebilde der DDR das eine war und das Leben jedes Einzelnen das andere." Das Leben in der DDR sei "beschwerlich und reglementiert und beschränkt" gewesen, "aber wir haben versucht, etwas daraus zu machen".
"Sich vereinigen heißt Teilen lernen"
Für die Linke "ist die deutsche Einheit weder vollendet noch gelungen", wie die Parteivorsitzenden Klaus Ernst und Gesine Lötzsch erklärten. "Viele Menschen haben die Ereignisse vor 20 Jahren zu Recht als Anschluss und nicht als Wiedervereinigung empfunden."
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) warnte vor einer Relativierung der bisherigen Leistungen. Der Einigungsprozess habe erstaunliche Fortschritte gemacht, sagte er der "Welt am Sonntag". Altbundespräsident Richard von Weizsäcker appellierte an die Deutschen, in der gegenseitigen Solidarität nicht nachzulassen. "Sich vereinigen heißt Teilen lernen, das gilt bis zum heutigen Tag", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel am Sonntag". Bei einem Festakt im bayerischen Coburg dankten die Ministerpräsidenten von Sachsen und Thüringen, Stanislaw Tillich und Christine Lieberknecht (beide CDU), für die Hilfe der alten Bundesländer und der Europäischen Union beim Aufbau Ost.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa