Wie stoppt man Dschihadisten? "Gefängnisse dürfen keine Brutstätten sein"
29.01.2015, 08:36 Uhr
Youssef Mohamad al-Hajdib wurde Anfang 2009 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Er war einer der Kofferbomber, die 2006 am Kölner Hauptbahnhof einen Anschlag durchführen wollten. Doch die Bomben explodierten nicht.
(Foto: REUTERS)
Was für Konsequenzen zieht Deutschland aus den Anschlägen in Paris? Die SPD will Aussteigerprogramme für Islamisten in Gefängnissen. Innenexperte Burkhard Lischka verrät, wie man deren Fanatismus aufbrechen könnte.
n-tv.de: Sie fordern Aussteigerprogramme für Islamisten in deutschen Gefängnissen. Was versprechen Sie sich davon?

Burkhard Lischka sitzt seit 2009 im Bundestag. Der 49-jährige Jurist ist SPD-Obmann im Innenausschuss.
(Foto: picture alliance / dpa)
Burkhard Lischka: Zwei der Pariser Attentäter saßen in französischen Gefängnissen und radikalisierten sich dort. So etwas müssen wir in Deutschland vermeiden. Hier gibt es einige hundert Ermittlungsverfahren gegen islamistische Straftäter, hunderte sitzen schon ein. Bei fanatischen Ideologen ist die Gefahr groß, dass sie orientierungslose Straftäter infizieren. Umso mehr Personen verlassen dann radikalisiert die Gefängnisse und ziehen in den Dschihad.
Wie könnte ein solches neues Programm konkret aussehen?
Die Aussteiger-Programme für Rechtsextremisten könnten ein Vorbild sein. In Sachsen-Anhalt wurden die einsitzenden Straftäter mit ihrer Tat konfrontiert, man hat das Geschehene aufgearbeitet, es gab Anti-Gewalt-Trainings und eine Auseinandersetzung mit der Ideologie, in deren Namen die Tat gerechtfertigt wurde. Das war ein aufwendiges Programm, teilweise mit deutlich über 100 Stunden für einen einzelnen Straftäter. Aber die Erfahrungen waren gut. Sogar Einzelne aus dem harten Kern ließen sich davon überzeugen, auf dem falschen Weg zu sein.
Wie würden Sie auf die betroffenen Islamisten in deutschen Gefängnissen zugehen?
Einfache Justizvollzugsbeamte können das nicht alleine leisten. Sie sind kaum dazu in der Lage, sich mit dem Weltbild eines Islamisten auseinanderzusetzen. Dafür brauchen wir Professionalisierung. Psychologen, Sozialarbeiter und gemäßigte Imame müssen sich mit diesen Leuten beschäftigen. Sie müssen diese Personen in Widersprüche verwickeln und so einen Denkprozess anstoßen. So können wir verhindern, dass Gefängnisse zu einer Brutstätte für Radikalisierung werden.
Sie nennen Aussteigerprogramme für Rechtsextreme als Vorbild. Ist das Herauslösen von Islamisten aus ihrer Szene mit der von Rechten vergleichbar?
Nein, aber es gibt Parallelen. Auch die Dschihadisten berufen sich auf eine bestimmte Ideologie, auf ein falsch interpretiertes Menschenbild des Korans. Dies zu hinterfragen ist das Wichtigste bei einem Aussteigerprogramm.
Hatif, das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes wurde erst im September 2014 wegen Erfolglosigkeit eingestellt. Für das "Violence Prevention Network" liefen 2014 die EU-Fördergelder aus. Seitdem sind die Vereine nur noch in Berlin und Hessen aktiv. Eine Erfolgsbilanz klingt anders.
Im Familienministerium gibt es noch das Programm "Demokratie leben", das gerade um zehn Millionen Euro aufgestockt wurde. Teile davon stünden auch zur Verfügung für Deradikalisierungs-Programme in Gefängnissen. Fakt ist: Wir werden in absehbarer Zeit einige hundert Islamisten in unseren Justizvollzugsanstalten haben. Die Ereignisse in Paris zeigen, dass es nicht genügt, diese Personen einfach nur wegzusperren. Wenn sie schon einige Jahre einsitzen, muss man die Zeit nutzen, um ihren Fanatismus aufzubrechen.
Warum scheiterten in der Vergangenheit mehrere Aussteigerprogramme?
Es reicht nicht, einfach eine Hotline zu schalten, wo sich Familienangehörige melden können. Mit einer Telefonnummer werden wir den Kampf gegen die hetzenden Köpfe der Salafisten nicht gewinnen können. Wir brauchen passgenaue Programme in Gefängnissen, aber auch in muslimischen Gemeinden. Die Zahl der Salafisten hat sich in den vergangenen vier Jahren von fast 4000 Szeneangehörigen auf mehr als 7000 erhöht.
Die Extremisten in deutschen Gefängnissen werden von salafistischen Organisationen wie "Ansarul-Aseer" intensiv betreut. Sie sammeln Spenden, leiten Briefe an Gefangene weiter und besuchen sie im Gefängnis. Lässt sich das überhaupt verhindern?
Die Besuchsordnungen in den Gefängnissen bieten zumindest Gelegenheit, das einzuschränken. Aber diese Unterstützung aus der Szene zeigt ja, wie wichtig es ist, solche Deradikalisierungs-Programme anzubieten. Wir dürfen nicht tatenlos dabei zusehen, wie neue Kämpfer radikalisiert werden und andere in ihren Bann ziehen.
Wie kann man andere Häftlinge in den Gefängnissen vor dem Einfluss der Islamisten schützen?
Wir müssen den harten Kern bereits räumlich von Mitläufern und anderen Häftlingen trennen. Freiflächen und unnötige Schnittstellen geben den Islamisten nur die Möglichkeit, jeden Tag stundenlang andere mit ihren fanatischen Ideologien anzugraben.
Mit Burkhard Lischka sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de