Demokratie auf afghanisch Ghani wird neuer Präsident
21.09.2014, 10:49 Uhr
(Foto: AP)
Es gibt kein Ergebnis, keinen Sieger und schon gar keinen Verlierer - trotzdem bekommt Afghanistan fast ein halbes Jahr nach der ersten Wahlrunde einen neuen Präsidenten.
Es waren nur ein paar dürre Worte, mit denen der Chef der afghanischen Wahlkommission die seit Monaten schwelende Wahlkrise beendete. "Wir verkünden Aschraf Ghani als neuen Präsidenten und Abdullah Abdullah als den Geschäftsführer" der Regierung, sagte Jusuf Nuristani in der fünfminütigen Pressekonferenz. "Das ist das Ende des Wahlprozesses." Nuristani vermied es, einen Wahlsieger zu erklären oder das Wahlergebnis zu veröffentlichen.
Gefordert hatte diesen afghanischen Ausweg Abdullah, der trotz seiner Niederlage bei der Präsidentenwahl sein Gesicht nicht verlieren wollte. Dass es nun kein Wahlergebnis gibt, ist umso bemerkenswerter, als dass es Abdullah selber war, der die Neuauszählung aller 8,1 Millionen Stimmen bei der Stichwahl gefordert hatte - wofür die Internationale Gemeinschaft Millionen Euro bezahlte. Abdullah hatte nach der Stichwahl Wahlbetrug "in industriellem Ausmaß" kritisiert. Doch je länger die Neuauszählung voranschritt, desto deutlicher wurde, dass der Ex-Außenminister nicht gewinnen würde.
Dass er in der ersten Wahlrunde noch weit vor dem früheren Finanzminister Ghani gelegen hatte, machte es umso bitterer für Abdullah. Zwischenzeitlich kursierten Gerüchte, Anhänger Abdullahs könnten auf den Präsidentenpalast marschieren. Immer wieder drohte der Ex-Außenminister damit, auch das Ergebnis der Neuauszählung nicht anzuerkennen. Der 54-Jährige pokerte im Streit um die Machtverteilung, der hinter den Kulissen erbittert geführt wurde - und bei dem sich Abdullah einige Pfründe sichern konnte.
Neben der Neuauszählung hatten sich Ghani und Abdullah im Juli unter Vermittlung von US-Außenminister John Kerry darauf geeinigt, eine gemeinsame Einheitsregierung zu bilden. Nicht geeinigt hatten sie sich allerdings darauf, wer in dieser Regierung was zu sagen haben würde. Der Streit war programmiert. Der Frust der Afghanen, von denen Millionen bei der Wahl im April und der Stichwahl im Juni den Todesdrohungen der Taliban trotzten, wuchs fast ins Unermessliche. Ursprünglich sollte der Nachfolger von Präsident Hamid Karsai schon am 2. August vereidigt werden. Auch der Termin einen Monat später wurde wieder abgesagt.
30 Anrufe von US-Außenminister Kerry
Die "New York Times" berichtete, um zwischen Ghani und Abdullah zu vermitteln habe Kerry - der eigentlich mit dem Kampf gegen die Terrormiliz IS ausgelastet sein dürfte - 30 mal in Kabul angerufen. US-Diplomaten hätten Ghani, Abdullah und Karsai insgesamt 96 mal getroffen, um die Krise zu lösen. Zweimal reiste Kerry seit der Stichwahl im Juni an den Hindukusch, zu Monatsbeginn flog auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach Kabul. US-Präsident Barack Obama packte die ganz große Keule aus - und drohte mit dem Ende der amerikanischen Unterstützung. Die USA können es sich kaum leisten, nach dem Irak auch noch in Afghanistan einen "Failed State", einen gescheiterten Staat, zu hinterlassen. Am Sonntag schließlich einigten sich Ghani und Abdullah auf die Machtverteilung.
Abdullah als inoffizieller Wahlverlierer wird "Geschäftsführer" der Regierung und nach einer Verfassungsänderung Ministerpräsident. Sein Lager darf künftig außerdem die Hälfte der Spitzenposten in Regierung, Verwaltung und Justiz besetzen. Ghani (65) wird nach dem Abkommen zwar Staats- und Regierungschef. Abdullah wird im Regierungsgeschäft künftig aber an "bilateralen Treffen zur Entscheidungsfindung" mit dem Präsidenten eingebunden. Wie gut die Zusammenarbeit zwischen den Kontrahenten klappen wird, bleibt abzuwarten. Bei der Neuauszählung der Stimmen prügelten sich Anhänger Abdullahs und Ghanis gelegentlich. Immerhin ist die politische Blockade erst einmal gelöst - es ist eine der wenigen guten Nachrichten aus Afghanistan in den vergangenen Monaten.
Die Taliban nutzten das Wahlchaos im Land, um ihre Angriffe zu verschärfen. Die ohnehin schwache Wirtschaft des Landes litt unter der Verunsicherung. Die Afghanen drohten, den Glauben in die junge und fragile Demokratie des Landes zu verlieren. Auch die Nato wartete mit zunehmender Ungeduld auf das Ende des Chaos. Der Nato-Kampfeinsatz läuft in nur drei Monaten aus. Einen Folgeeinsatz zur Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte konnte das Bündnis ohne Abkommen mit einem neuen Präsidenten nicht beschließen. Damit drohte ein Totalabzug aller Truppen - und möglicherweise ein neuer Bürgerkrieg. Diese Gefahr zumindest ist erst einmal abgewendet: Ghani hat angekündigt, die Abkommen mit den USA und der Nato schnell zu unterschreiben.
Quelle: ntv.de, Can Merey, dpa