Freiheits-Show mit Phrasen-Overkill Grüne stolpern in die FDP-Falle
22.11.2014, 06:28 Uhr
Auch ein Jahr nach dem Veggie-Day-Debakel leiden die Grünen unter ihrem Image als Verbotspartei. Auf ihrem Parteitag in Hamburg versuchen sie, mit einer Debatte über Freiheit gegenzusteuern. Dabei begeben sie sich widerwillig auf den abschüssigen Pfad der FDP.
Es geschieht, was vor einem Jahr unmöglich erschien. Freitagabend auf dem Grünen-Parteitag in Hamburg: Wer für einen Moment die Augen schließt und lauscht, hat manchmal das Gefühl, er sitze in Wirklichkeit in Stuttgart – beim Dreikönigstreffen der FDP. Da fallen Sätze wie: "Wo Äcker verdorren, kann sich die Freiheit nicht mehr entfalten." Und da ist andauernd von diesem "ordnungspolitischen Rahmen" die Rede.

Winfried Kretschmann: "Wenn Äcker verdörren, kann sich die Freiheit nicht mehr entfalten."
(Foto: picture alliance / dpa)
Es sind Worte, die in den Augen vieler Menschen längst zu Phrasen einer neoliberalen Klientelpartei verkommen sind. Und jetzt ertönen sie ausgerechnet bei den Grünen.
Die Ökopartei hat sich zum Auftakt ihrer Bundesdelegiertenkonferenz, so nennt die Truppe ihre Parteitage, dem Thema Freiheit gewidmet. Mit fragwürdigem Erfolg.
Der Veggie-Day wirkt nach
Ein entscheidender Grund dafür, dass sich die Grünen überhaupt ausdrücklich mit Freiheit beschäftigen, ist die Lehre aus dem Veggie-Day. Die Forderung eines fleischlosen Donnerstag in Deutschlands Kantinen, die die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 erhoben haben, hat ihnen den Ruf der Verbotspartei eingebracht. Medien und politische Gegner nutzten die Gelegenheit, um die Grünen als Besserwisser und Bevormunder darzustellen.
Nachdem sie im September bereits einen Freiheitskongress veranstaltet hatten, um gegenzusteuern, brachten die Grünen das Thema jetzt erneut auf die Tagesordnung. Per Parteitagsbeschluss erklärten sie zudem: "Ob jemand am Donnerstag Fleisch isst oder nicht, ist uns herzlich egal."
Bei ihrem Versuch, sich mit einer Debatte über die Freiheit vom Image der Verbotspartei zu lösen, geschah aber genau das, was zumindest zum Teil den Niedergang der FDP erklärt. Der Begriff Freiheit wirkte in Hamburg wie ein Teil einer Image-Kampagne. Denn die Grünen versuchten, all ihren politischen Zielen krampfhaft ein liberales Label aufzudrücken.
Lindner lässt grüßen
Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zeigte sich bemüht, das weltweite Flüchtlingsdrama unter liberalen Vorzeichen zu deuten. "Freiheit wird mit Füßen getreten an der Grenze zu Europa." Das Mitglied des Bundesvorstands Gesine Agena schmetterte wie eine Reihe anderer Redner: "Für uns gilt nicht das Recht des Stärkeren." Ein Gedankengang, mit dem Sozialdemokraten gern für Gerechtigkeit werben und mit dem FDP-Chef Christian Lindner schon oft für seine Vorstellung eines sozialen Liberalismus Stimmung machte. Obendrein ist es Angela Merkels Standard-Phrase, wenn es um Russlands Rolle im Ukraine-Konflikt geht.
Es war der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, der das Bild der verdörrenden Acker und der sich entfaltenden Freiheit zeichnete, um seine wirtschaftsfreundliche Politik mit dem Leitthema zu verknüpfen. Auch seine Vorstellungen einer grünen Bildungspolitik umschrieb er schlagwortgetreu.
Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck wiederum nutzte den Begriff Freiheit als Vehikel, um seiner Furcht vor einem Überwachungs- und Sicherheitsstaat Ausdruck zu verleihen. "Der Bürger hat das Recht, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden", sagte er. Freiheit sei überall bedroht.
Das Wort "Freiheit" fiel allein an diesem Freitagabend gefühlt so oft wie das Wort "Ökologie" auf den vergangenen fünf Bundesdelegiertenkonferenzen. Tatsächlich spielt sie bei all diesen Themen ja auch wirklich eine entscheidende Rolle. Nur muss man Begriff Freiheit nicht für die Argumentation heraufbeschwören, um eine grüne Politik zu begründen. Schließlich ist der Liberalismus für die Öko-Partei anders als für die FDP nicht identitätsstiftend.
Grüne Überheblichkeit
Von den Rednern schien sich trotzdem nur einer wirklich an diesem aufgesetzten Freiheits-Kult zu stören, der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck. "Nicht alles was wir wollen, müssen wir unter das Zeichen der Freiheit pressen", sagte er. "Worum es geht, ist, dass wir die Realität verändern." Doch genau das geschah nicht.
Heftige inhaltliche Debatten blieben zum Auftakt des Parteitags aus. Ein provokativer Antrag hessischer Grüner, mit dem sie die Partei wieder weiter in die Mitte der Gesellschaft rücken wollten, zogen die Urheber um der Parteitagsharmonie Willen zurück. Sie integrierten ihn in ein Kompromisspapier, den sowohl Vertreter des Linken- als auch des Realo-Flügels unterstützten.
Habecks Mahnung verpuffte womöglich trotzdem nicht vollkommen. Gegen Ende seiner kurzen Rede sagte er: Die Grünen sollten akzeptieren, dass sie argumentieren müssen, um die Menschen zu überzeugen. "Wir haben als Partei einen Hang zur moralischen Überheblichkeit." Wenn die Grünen das durch diese Freiheitsdebatte kapieren würden, wäre viel erreicht. Kaum ein Redner bekam so viel Applaus wie Habeck.
Quelle: ntv.de