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Viele Fragen zum Wahl-Aufreger Habeck fühlt sich in Streit um Krankenkassenbeiträge missverstanden

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Die Fraktionsvorsitzenden Haßelmann und Dröge haben Kanzlerkandidat Habeck zu Gast.

Die Fraktionsvorsitzenden Haßelmann und Dröge haben Kanzlerkandidat Habeck zu Gast.

(Foto: picture alliance/dpa)

Grünen-Kanzlerkandidat Habeck bringt zusätzliche Abgaben auf hohe Kapitalerträge zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen ins Spiel. Das bringt ihm einen Sturm der Entrüstung ein, während entscheidende Fragen offen bleiben. Die Grünen wähnen sich absichtlich missinterpretiert.

Katharina Dröge ist sauer. "Immer, wenn jemand einen Vorschlag macht, der die Reichsten belastet, wird eine Debatte fälschlicherweise inszeniert, die denjenigen, die nicht gemeint sind, das Gefühl gibt, dass sie gemeint sein könnten", sagte die Grünen-Fraktionschefin vor der Sitzung des erweiterten Fraktionsvorstands, dem auch Kanzlerkandidat Robert Habeck angehört. "So lange diskutieren wir dann über den Busfahrer und die Krankenschwester, die niemals gemeint sind, bis die Debatte zu Ende ist und der Millionär sich freuen kann, weil er mal wieder nicht zur Finanzierung des Sozialversicherungssystems beiträgt."

Anlass von Dröges Verärgerung sind die Reaktionen auf Habecks jüngsten Vorschlag. Er will zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen zusätzlich Gewinne aus privaten Kapitalerträgen mit Abgaben belegen. Einen Angriff auf die kleinen Sparer wittern nun unter anderem FDP und Union.

"Robert Habeck will, dass Arbeitnehmer zusätzlich belastet werden, wenn sie sich etwas aufbauen. Wer auf sein Erspartes nun auch noch Sozialversicherungsbeiträge zahlen soll, würde auf 40 Jahre gerechnet zehntausende Euro verlieren", sagte etwa der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr. Bei einer Familie mit zwei Kindern und einer Aktiensparrate von beispielsweise 200 Euro im Monat summiere sich der finanzielle "Schaden" über 40 Jahre sogar auf 200.000 Euro, rechnete Dürr vor.

Dürrs Kalkulation ist insofern überraschend, als dass die Grünen noch gar keinen Sozialversicherungsbeitragssatz genannt haben, der etwa auf Aktiengewinne fällig werden könnte. Auch ein konkreter Freibetrag, der Normalverdiener und kleine Vermögen ausnehmen könnte, ist noch nicht von den Habeck genannt worden. Er und seine Partei verwahren sich aber gegen den Anwurf, es könnten andere Bevölkerungsgruppen betroffen sein als sehr vermögende Menschen. Die FDP hat für ihre Berechnung das Beitragssystem auf Lohneinkommen auf die Kapitalerträge gelegt. So dürfte Habeck seinen Vorschlag aber gar nicht gemeint haben, auch wenn das nicht leicht zu entziffern.

Habeck: Will vor allem Problem thematisieren

In der ntv-Sendung "Frühstart" sprang Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt ihrem Kanzlerkandidaten bei: "Es trifft weder diejenigen, die für das Alter vorsorgen, noch die kleinen und mittleren Sparer, sondern es soll um diejenigen gehen, die Millionen für sich arbeiten lassen und selber nicht mehr arbeiten müssen."

Habeck selbst sagt vor Beginn der Fraktionsklausur: "Vieles spricht ja dafür, dass diejenigen, die hart arbeiten, entlastet werden, indem diejenigen, die durch Kapitalgewinne einen hohen Wohlstand generieren, sich da solidarisch dran beteiligen." Und: "Offensichtlich ist, dass der Druck auf die Sozialversicherungen immer weiter steigt und der einzige Weg im Moment ist, Arbeitslöhne mit Abgaben zu belasten." Ihm erscheine es daher "probat und richtig", würde der Staat "relevantes Einkommen" aus Kapitalerträgen zur Finanzierung der Sozialversicherungen mit heranziehen. Vor allem aber gehe es ihm darum, eine Debatte über Lösungen anzustoßen, während andere Parteien das Problem bislang verschwiegen.

Das Problem: Im neuen Jahr sind die Zusatzbeiträge, die Krankenkassen ergänzend zum gesetzlichen Krankenkassenbeitrag von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erheben, gestiegen - durchschnittlich von 1,7 auf 2,5 Prozent. Damit nähert sich der durchschnittliche Beitragssatz immer weiter der 20-Prozent-Marke an. Bei 38 Krankenkassen liegt inzwischen der Beitragssatz zwischen 17,0 und 19,0 Prozent. Wegen der steigenden Kosten im Gesundheitssystem ist das Defizit von insgesamt 95 Kassen zum Jahresende auf 3,7 Milliarden Euro gestiegen, weshalb diese nun mehr Geld von den Versicherten nehmen.

Viele offene Fragen

Angreifbar ist Habecks Vorschlag vor allem wegen der vielen offenen Fragen hierzu. Würden nur Kapitalerträge der gesetzlich Versicherten herangezogen, blieben die Spitzenverdiener und Vermögenden mit privater Krankenversicherung außen vor. Weil die Grünen - wie die SPD - eine Bürgerversicherung befürworten, in die ausnahmslos alle Versicherten einzahlen, liegt nahe: Den Grünen geht es auch um Kapitalanleger ohne gesetzliche Krankenversicherung. Dann aber wäre es rechtlich problematisch, diese an der Finanzierung der Gesetzlichen zu beteiligen. Denkbar wäre hingegen eine gesetzgeberisch nicht zweckgebundene, zusätzliche Abgabe auf sehr große Kapitalerträge zu erheben. Mit diesen Mitteln könnte der Staat dann die Sozialkassen bezuschussen oder auch ganz andere Dinge finanzieren.

Wer als Selbstständiger freiwillig bei der gesetzlichen Versicherung ist, dessen Einkünfte aus Kapitalgewinnen werden jetzt schon zur Bemessung des Beitragssatzes herangezogen. Aber: Es gilt für alle gesetzlich Versicherten eine Beitragsbemessungsgrenze. Alles Einkommen über 5512 Euro im Monat wird nicht mehr herangezogen für die gesetzliche Kranken- und die Pflegeversicherung. Für die Renten- und die Arbeitslosenversicherung liegt die Obergrenze bei 8050 Euro im Monat. Damit wäre die Schablone zur Festlegung der Sozialversicherungsbeiträge, wie sie bei Einkommen greift, ungeeignet, um ausschließlich Spitzenvermögen zusätzlich zu belasten.

Die Auflösung lautet daher wohl: Die Grünen wollen eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen. Wer dann zusätzlich über hohe Kapitaleinkünfte aus Anlagevermögen verfügt, soll dann auch davon etwas abgeben an die Sozialversicherungen. Weil Habeck und seine Partei das aber so nicht kommuniziert haben, ist die Entrüstung groß. Von einem "Schlag ins Gesicht für alle, die von ihrem hart erarbeiteten Geld etwas ansparen wollen", sprach FDP-Fraktionschef Dürr.

"Mit Solidarität hat die Idee des Kanzlerkandidaten der Grünen wenig zu tun", sagte auch die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Serpil Midyatil. "Anstatt Menschen, die fürs Alter vorsorgen, zusätzlich zur Kasse zu bitten, wollen wir, dass sich alle solidarisch an der Finanzierung der Krankenversicherung beteiligen." Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zerpflückte Habecks Vorschlag als kontraproduktiv: Er setze Fehlanreize für Sparer, sei teuer und bürokratisch und adressiere eben nicht zielgenau die höchsten Vermögen.

Mehr Antworten am Abend?

Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, sagte der Funke-Mediengruppe über Habecks Vorstoß: "In der aktuellen Schieflage bei der Finanzierung von Gesundheit führen einfache Lösungen nicht ans Ziel." Einfach mehr Geld in ein System zu stecken, in dem das Geld nicht zielgenau und effizient eingesetzt werde, helfe langfristig nicht weiter. "Angesichts der stark steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen müssen die Finanzen zunächst kurzfristig stabilisiert werden", sagte der TK-Chef. Die Versicherten müssten "dringend finanziell entlastet werden". An grundlegenden Reformen führe kein Weg vorbei, sagte Baas weiter.

Das sieht Habeck prinzipiell wohl auch so und hat die Idee der Bürgerversicherung im Hinterkopf, die aber akut nicht kommen und helfen wird. Sein Problem: Zwei Tage, nachdem er in der ARD seinen Vorschlag unterbreitet hatte, hat sich der Grünen-Kanzlerkandidat noch immer nicht verständlich machen können. Vielleicht aber gelingt ihm das, wenn er am Abend zu Gast ist beim "RTL Direkt Spezial: Der Kandidatenchek" (22.15 Uhr) und sich den Fragen von Pinar Atalay stellt.

Quelle: ntv.de, mit dpa, Dow Jones

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