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Umfrage unter Palästinensern Hamas ist nach dem Massaker deutlich beliebter

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63 Prozent der befragten Palästinenser glauben, ein Ende der israelischen Besatzung lasse sich nur im bewaffneten Kampf erreichen.

63 Prozent der befragten Palästinenser glauben, ein Ende der israelischen Besatzung lasse sich nur im bewaffneten Kampf erreichen.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Die Hamas kann ihre Zustimmungswerte deutlich steigern, zeigt eine Umfrage in Gaza und dem Westjordanland. Zugleich kennen nur sehr wenige Menschen die Videos der Gräueltaten. Kaum jemand glaubt, die Terroristen hätten wirklich Kriegsverbrechen begangen.

Im Westjordanland hat sich die Unterstützung für die Hamas nach dem Massaker vom 7. Oktober mehr als verdreifacht. Im Gazastreifen ist die Unterstützung zwar ebenfalls gestiegen, aber nicht signifikant. Das sind Ergebnisse der jüngsten Umfrage, die das Palästinensische Zentrum für Politik und Umfrageforschung (PSR) unter Palästinensern in beiden Gebieten durchgeführt hat.

Auf die Frage, welche politische Partei oder politische Richtung sie unterstützen, wählten im Westjordanland 44 Prozent der Befragten die Hamas. Drei Monate zuvor lag die Unterstützung im Westjordanland nur bei 12 Prozent, hier ist die Terrorgruppe also deutlich im Aufwind, während die dort regierende Fatah stark an Zuspruch verliert. Nur noch 16 Prozent der Bevölkerung würden die Partei von Präsident Mahmud Abbas wählen. Im September hatten noch 26 Prozent die Fatah unterstützt. Der Rest der Befragten gab an, dritte Parteien zu unterstützen oder keine Meinung zu haben.

Im Gazastreifen, dessen Bevölkerung aktuell stark unter dem militärischen Gegenschlag der Israelis leidet, sind die politischen Meinungen wesentlich konstanter geblieben als in der Westbank. In Gaza liegt die Unterstützung für die Hamas heute bei 42 Prozent, gegenüber 38 Prozent vor drei Monaten. In diesem geringeren Anstieg spiegelt sich wider, dass die Menschen in Gaza die Hamas auch aus eigener Erfahrung der vergangenen 16 Jahre bewerten, denn seit 2007 lebten sie unter Kontrolle des politischen Arms der Terrorgruppe. Das lässt die Menschen gemäß den Umfragezahlen skeptischer bleiben gegenüber der Hamas-Propaganda.

Befragungen während der Feuerpause

Das Institut PSR führte seine Umfrage im Gazastreifen während der Waffenruhe Ende November durch. Die Interviews wurden persönlich geführt an 121 zufällig ausgewählten Orten. In Zentral- und Südgaza wurden die meisten Teilnehmer zuhause befragt, zusätzlich fand einige Befragungen in einem Schutzbereich für Geflüchtete statt. Im Norden Gazas fanden 250 Interviews in Schutzgebieten statt, nur etwa 20 wurden in Haushalten von Angehörigen von Flüchtlingen geführt.

Menschen in der Westbank hingegen neigen aus der Distanz eher dazu, die Hamas zu heroisieren. Die Befragungen wurden unter mehr als 1200 Erwachsenen durchgeführt, 481 davon im gesamten Gazastreifen. Trotz des Zugewinns bleibt die Terrorgruppe aber deutlich unter 50 Prozent Zustimmung. Die Mehrheit der Menschen sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen unterstützt die Hamas also nach wie vor nicht.

"Man will das nicht sehen"

Mit Blick auf die Ziele der Hamas kauft mit 81 Prozent die überwältigende Mehrheit der Befragten der Hamas ihr Narrativ vom Freiheitskampf ab. Diese Palästinenser sind demnach überzeugt, dass der Anschlag am 7. Oktober als Reaktion auf "Angriffe von Siedlern auf die Al-Aqsa-Moschee und Bewohner des Westjordanlandes sowie für die Freilassung palästinensischer Gefangener" erfolgte. In dieser Frage stehen die Menschen in Gaza (69 Prozent) der Hamas erneut deutlich skeptischer gegenüber als jene in der Westbank (89 Prozent).

Die insgesamt positive Sicht auf die Motive für das Massaker der Hamas im Süden Israels erklärt sich unter anderem durch die Mediennutzung in den palästinensischen Gebieten: 85 Prozent der Menschen geben an, keine Videos aus internationalen oder sozialen Medien gesehen zu haben, die Gräueltaten von Hamas-Mitgliedern an israelischen Zivilisten zeigen. Nur 7 Prozent der Befragten aus der Westbank kennen laut eigenen Angaben diese Filme, im Gazastreifen sind es mehr - 25 Prozent.

Über die Gründe dafür, dass offenbar so wenige Palästinenser die Filme gesehen haben, die von der Hamas vor allem zu Beginn des Anschlags selbst verbreitet wurden, lässt sich nur spekulieren. "Man will das nicht sehen", lautet die Einschätzung des Meinungsforschers Khalil Shakiki, der die Umfrage in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführt hat. Indem man sich diesen Quellen verweigert, "können die Menschen sich die komplette Verleugnung der Gräueltaten erhalten", sagte Shakiki bei der Präsentation der Zahlen. "Ich hab’ das nicht gesehen, also ist es auch nicht passiert."

Diese Haltung spiegelt sich in der Meinung zu den Gräueltaten der Hamas wider: Nur 5 Prozent der befragten Palästinenser im Westjordanland glauben den Meldungen über die Brutalität der Hamas und sagen, dass sie Kriegsverbrechen begangen hat. Deutlich mehr, aber dennoch nur 17 Prozent, sind es im Gazastreifen.

Bevölkerung nicht gerade friedfertig

Deutlich anders wird das aktuelle Vorgehen Israels im Gazastreifen bewertet: 95 Prozent aller Befragten sehen Israel als schuldig, in Gaza Kriegsverbrechen begangen zu haben. Mit 94 und 97 Prozent schätzen die Bewohner der Westbank und Gazas Israels Verhalten sehr ähnlich ein.

So kann die Hamas das Narrativ ihres "vermeintlichen Freiheitskampfes" gegen den Feind Israel erfolgreich verbreiten, steigert ihre Beliebtheit bei den Palästinensern aber nicht so stark, um eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Das allerdings bedeutet nicht, dass die Menschen in Gaza und der Westbank per se friedfertig sind: In beiden Gebieten sind zwei Drittel der Palästinenser davon überzeugt, dass grundsätzlich bewaffneter Kampf das beste Mittel zur Beendigung der israelischen Besatzung ist.

Es gibt also deutlich mehr Palästinenser, die bewaffneten Freiheitskampf grundsätzlich unterstützen, als es Anhänger der Hamas gibt, die von sich behauptet, exakt diesen bewaffneten Kampf für ein freies Palästina auszufechten. Shikaki erklärt das mit der radikal-islamistischen Ausrichtung der Terrorgruppe, die viele Menschen abstößt, besonders solche, die nicht dem muslimischen Glauben folgen. "Viele, die bewaffneten Kampf favorisieren, können die Hamas nicht unterstützen, weil sie die Wertvorstellungen, für die die Hamas steht, ablehnen", so der Forscher.

Eine Verhandlungslösung nach dem Ende der Kämpfe wird es also in jedem Fall schwer haben. Im Westjordanland steigt der Prozentsatz der Gewaltbefürworter auf fast 70 Prozent, in Gaza sprechen sich 56 Prozent für Kampf mit Waffen gegen Israel aus. Überraschenderweise ist der Anteil derjenigen, die eine Zwei-Staaten-Lösung mit Israel anstreben würden, nach dem Oktober-Massaker und während des israelischen Gegenschlags sogar leicht gestiegen: in beiden Regionen insgesamt von 32 auf 34 Prozent.

Quelle: ntv.de

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