Politik

Unterwegs mit Flüchtlingen Hassan "schockt" die deutsche Freundlichkeit

Viele Flüchtlinge, die in München ankommen, überwältigt die Hilfsbereitschaft.

Viele Flüchtlinge, die in München ankommen, überwältigt die Hilfsbereitschaft.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie Tausende andere Flüchtlinge setzt sich Hassan in einen Zug aus Österreich in Richtung Deutschland. Wer Menschen wie ihn begleitet, erlebt eine Welle praktischer Solidarität, die die Asylpolitik in Europa verändern könnte.

Hassan sieht schlecht aus. Ausgemergelt, ungekämmt, die Augen eingefallen, Bartstoppeln säumen sein pickliges Gesicht. Er ist erst 21, aber vorzeitig gealtert. Auf den Fotos, die er auf seinem Handy zeigt, strahlt ein kräftiger junger Mann mit glattem Teint und gestyltem schwarzem Haar. Er hat sie vor einem guten halben Jahr aufgenommen, in seiner Heimat in Pakistan. "Das ist mein richtiges Ich", sagt er. "Und jetzt ..." Er verzieht den Mund. Jetzt ist er gezeichnet von seiner langen Reise, die noch nicht zu Ende ist. An diesem ersten September-Tag führt sie ihn von Wien nach München.

Hassan sitzt im Railjet, der um 12.30 Uhr vom Wiener Westbahnhof in die bayrische Landeshauptstadt fährt. Am Montag war es völlig überfüllt, die Ungarn hatten die Flüchtlinge einfach ausreisen lassen, die Österreicher hatten sie nach Deutschland durchgewinkt. Tausende kamen in München an. "Dublin ist tot", sagte die grüne EU-Politikerin Ulrike Lunacek am Ende dieses denkwürdigen Tages. Auch wenn Ungarn heute den Bahnhof Keleti wieder für Flüchtlinge sperrte - es scheint, als ändere sich in diesen Tagen etwas in Europa. Nicht durch die Politik. Durch die Menschen. Das merkt man, wenn man Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Deutschland begleitet.

Die Reisenden hören zu

Hassan und seine fünf Freunde, mit denen er unterwegs ist, haben sich in Budapest Taxis genommen, als sie gemerkt haben, dass die Polizei sie nicht mehr in die Züge nach Österreich einsteigen lässt. Die Fahrer brachten sie bis Györ, von da aus sind sie die 45 Kilometer über die grüne Grenze nach Österreich gewandert. "Nicht viel", sagt Hassan, der im Gegensatz zu vielen anderen hier Englisch spricht, mit starkem Akzent zwar, aber gut. In Mazedonien waren es sogar 200 Kilometer zu Fuß, erzählt er. Und dann erst der neue Grenzzaun in Ungarn ... Hassan zieht seine graue Jeans hoch, seine Beine sind noch zerschnitten.

Immerhin trägt er Turnschuhe. Nicht Flip Flops und Badelatschen, wie die Gruppe von vier Pakistani, die ein paar Meter weiter sitzt. Ihr Englisch ist nicht so gut wie Hassans, aber sie können sagen, dass sie nach Deutschland wollen, "the best country". Warum? "Wir wollen ein besseres Leben." Geschichten wie diese hört man überall von denen, die es doch irgendwie in den Zug von Wien nach München geschafft haben. Die Flüchtlinge reisen hier mit Deutschen und Österreichern zusammen, nicht mehr als anonymer "Flüchtlingsstrom". Als ein Familienvater aus Aleppo über seine Flucht spricht, kommen immer mehr Menschen und hören einfach zu. Ein Reisender drückt ihm sichtlich bewegt 50 Euro in die Hand. Der Mann lächelt, lehnt aber dankend ab.

"Endlich kann man etwas tun"

Die Bereitschaft, den Menschen auf der Flucht zu helfen, wird immer sichtbarer in diesen Tagen. Hassan stieß schon auf sie, als er am Morgen am Wiener Westbahnhof ankam. An vielen Säulen hängen dort Zettel. "Willkommen", steht darauf geschrieben, auf Englisch und Arabisch. Freiwillige haben an Gleis 1 eine Art Buffet aufgebaut. Sie verteilen Wasser, Äpfel, Süßigkeiten, aber auch Windeln und Zahnbürsten. Dolmetscher lotsen die Ankömmlinge zu den Helfern, zeigen ihnen, wo die Züge nach Deutschland abfahren.

Entstanden ist die Aktion spontan, nach einer Großdemonstration in Wien mit 20.000 Teilnehmern. "Endlich kann man mal etwas tun", sagt Heidrun Posch. Die 25-jährige Studentin hat genug von der rigiden Asylpolitik ihrer Regierung. Wie die anderen Menschen auf der Demonstration schämte sie sich für die unhaltbaren Zustände in Traiskirchen und die 71 Toten auf der Autobahn A4 vor Wien. Also entschloss sie sich, zu helfen. Klar, die meisten hier sind in der linken Szene unterwegs. "This is what a feminist looks like" steht auf Poschs rotem Jutebeutel. Aber diejenigen, die Einkaufswagen voller Brot ankarren, kommen aus der Mitte. Das Gratis-Blatt "Österreich", sonst um keinen reißerischen "Asylschwemme"-Artikel verlegen, titelt zu einem Foto der Aktion: "Österreich zeigt Herz".

Am Bahnsteig wartet die Polizei

Der Westbahnhof in Wien ist derzeit nur eine Drehscheibe für die vielen Tausend Menschen, die weiter nach Norden und Westen fahren wollen - die meisten nach Deutschland. Nicht so Hassan. Er will von München aus nach Belgien weiterreisen, sein Onkel lebt dort. Hassan will als Modedesigner arbeiten, das ist sein Traum. "Vielleicht muss ich zwei Wochen in Deutschland bleiben, bevor ich weiter kann", sagt er. Er hat keine Ahnung, was Dublin bedeutet. Dass Deutschland wahrscheinlich über sein Asylverfahren entscheiden wird. Dass das dauern kann. Dass er bis dahin in einem Aufnahmelager in Bayern bleiben muss.

Er hat auch keine Ahnung, was die Polizei am Münchner Hauptbahnhof mit ihm vorhat. Als die Flüchtlinge sie bei der Anfahrt auf Gleis 11 erblicken, geht ein Raunen durch das Abteil. Einige glauben aber trotzdem noch, dass sie einfach weiterreisen können. "Wie lange dauert es nach Frankfurt?", fragt ein Mann kurz vor dem Aussteigen. Eine deutsche Reisende erklärt ihm den Weg zum Ticketschalter, doch so weit kommt keiner. Ein Dutzend Polizisten wartet am Ende des Bahnsteigs. Mit ihren schwarzen Monturen und den Plastikhandschuhen sehen die Männer nicht gerade freundlich aus, aber sie erklären den Flüchtlingen geduldig, dass sie erst einmal nicht weiterreisen können. Sie leiten den Tross durch die Halle, rüber in den Starnberger Flügel.

Zu viele Spenden in München

Dort haben Stadt und Land eine Art Aufnahmezentrum eingerichtet. Hier werden die Flüchtlinge von der Polizei registriert, von Ärzten untersucht und auf Busse verteilt, die sie in die bayerischen Aufnahmelager bringen. Als die Flüchtlinge aus dem Bahnhofsflügel die Treppe hinunter zum Vorplatz gehen, wo die Zelte des Roten Kreuzes stehen, empfangen sie zahlreiche Helfer. Sie bieten den Menschen Brezeln, Wasser, Äpfel und Säcke mit Zahnbürsten, Deo, Taschentüchern und Shampoo an. Zwei junge Mädchen verteilen Teddys an Kinder.

Die Hilfsbereitschaft der Münchner ist überwältigend: Palettenweise stehen Windeln, Wasserflaschen und Brot herum. Es sieht aus wie auf einem Markt. Am Abend twittert die Polizei München: Bitte keine neuen Sachen mehr zum Bahnhof bringen.

Auch hier in der bayerischen Landeshauptstadt hat sich die Aktion spontan ergeben. Einige hier arbeiten schon lange in Hilfsorganisationen, andere haben nur über das Internet davon gehört und sind einfach vorbeigekommen. Sie machen sichtbar, was durch Freital und Heidenau verdeckt wurde: Es geht eine Welle der praktischen Solidarität durch Deutschland, viele Menschen wollen, dass Flüchtlinge hier gut behandelt werden.

Den ankommenden Flüchtlingen scheint die Hilfsbereitschaft fast unangenehm zu sein. Nur wenige greifen zu den Säckchen, die ihnen angeboten werden. Nur zögerlich durchsuchen zwei Mütter eine Kleiderkiste mit Kindersachen. Sie werden wärmere Kleidung brauchen, während Wien den heißesten Septembertag der Aufzeichnungen erlebt, wird es in München regnerisch kühl. Der Herbst kommt, das Wetter wechselt. Hassan schickt spät am Abend noch eine Nachricht über Whatsapp: "Shocked to see this kindness", schreibt er. Schockiert sei er über die Freundlichkeit, die ihm hier begegnet. "Thankful for the people of Germany."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen