Presse-Echo zum Entlastungspaket "Hilfen sind alles andere als präzise"
05.09.2022, 10:07 Uhr
Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner müssen Kritik an den Entlastungen hinnehmen.
(Foto: dpa)
Das dritte Entlastungspaket steht - und wird überwiegend positiv beurteilt. Der Fokus liege dieses Mal tatsächlich auf den Bedürftigen, kommentiert ein Großteil der deutschen Presse. Doch es gibt auch Kritik: Vor allem die Finanzierung stehe derzeit noch auf tönernen Füßen.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hält die Korrektur von Versäumnissen bei den früheren Entlastungspaketen mit Blick auf Rentner und Studenten für sinnvoll. Politisch hätten "die vielen Maßnahmen des Pakets letztlich alle dasselbe Ziel: Sie sollen den sozialen Frieden im Land bewahren, den Putin mit seiner hybriden Kriegsführung aushöhlen will. Weil der Druck so immens ist, werden auch die geplanten staatlichen Eingriffe größer, diesmal vor allem bei der Stromerzeugung. Beim Gas, das gibt die Koalition offenherzig zu, wäre selbst der finanzstarke deutsche Staat nicht mehr in der Lage, alle Preissteigerungen zu kompensieren."
Das dritte Entlastungspaket setze dieses Mal den richtigen Fokus, kommentiert auch die "Pforzheimer Zeitung". "Es ist richtig, dass die Koalition den Schwerpunkt dieses Mal stärker auf die legt, die in der Energiekrise am stärksten auf Unterstützung des Staates angewiesen sind. Das sind bedürftige Menschen, Geringverdiener, Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende. Dass die Rentner bei den letzten Paketen leer ausgegangen sind, war ungerecht und wird nun nachgeholt."
Auch beim "Straubinger Tagblatt" hält man das neue Entlastungspaket für geeignet, "aufgeregte Gemüter abzukühlen und einer möglichen Spaltung des Landes vorzubeugen". Auch politisch sei das Paket spannend, schreibt der Autor. "Schien es zuletzt so, als ob die SPD gegenüber Grünen und FDP ins Hintertreffen geraten war, hat die Arbeit an den Entlastungen die Kräfteverhältnisse wieder zurechtgerückt: Das dritte Paket enthält ganz viel Rot, etwas weniger Grün und noch weniger Gelb."
Nach Ansicht der "Süddeutschen Zeitung" haben beide Juniorpartner Verhandlungserfolge erreicht. Die Grünen könnten "unter anderem auf die Beteiligung des Bundes an einer Nachfolge für das Neun-Euro-Ticket verweisen". Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner könne wiederum die ab kommendem Jahr "wieder greifende Schuldenbremse fürs Erste halten, muss aber auch dafür geradestehen, dass eine gewagt wirkende Milliardenrechnung aufgeht."
Weniger positiv kommentiert die "Neue Zürcher Zeitung" aus der Schweiz die Ergebnisse des 22-stündigen Verhandlungsmarathons. "Auch dieses Paket neigt zum Gießkannenprinzip. So sollen alle Rentner und alle Studierenden Einmalzahlungen in Höhe von 300 Euro beziehungsweise 200 Euro erhalten. Auch wenn die Zahlung an die Rentner einkommensteuerpflichtig ist und deshalb Bezügler geringer Renten netto mehr erhalten, sind beide Maßnahmen wenig zielgenau. Schließlich gibt es auch begüterte Rentner und Studenten aus gutbetuchten Familien, die keine Almosen brauchen." Auch die "Neue Osnabrücker Zeitung" hält das Paket nicht für ausreichend, "um einen Wohlstandsverlust breiter Bevölkerungsschichten infolge des Ukraine-Kriegs zu verhindern. Der Absturz wird bestenfalls abgefedert. Ob das reicht, um den sozialen Frieden zu sichern, muss bezweifelt werden."
Mit dem Entlastungspaket bleibe die Ampelkoalition hinter den Erwartungen zurück, die sie selbst in die Höhe geschraubt habe, kommentiert die "Hannoversche Allgemeine Zeitung". "'Wuchtig' und 'präzise' sollten die Beschlüsse sein. Ein Volumen von 65 Milliarden Euro ist wuchtig, keine Frage, aber die Hilfen sind alles andere als präzise, gerade in den Bereichen, wo die meisten Menschen die größten Sorgen haben: Gaspreis und Lebenshaltungskosten. Tagelang wurde darüber debattiert, ob ein Gasgrundbedarf errechnet und darauf ein Preisdeckel gesetzt werde. Nun soll eine Expertenkommission 'zeitnah' klären, 'ob und, wenn ja, wie ein solches Modell in Deutschland oder Europa realisierbar ist'. Das wird dauern."
Auch die "Berliner Zeitung" goutiert zwar, dass einige Vorhaben für "viele Menschen im Land eine Hilfe sein dürften". Allerdings sei die Finanzierung alles andere als klar. "Tatsächlich steuert der Bund mit 32 Milliarden Euro nämlich nur rund die Hälfte des Geldes bei. Ein Nachtragshaushalt ist nicht geplant, die Schuldenbremse soll im kommenden Jahr eingehalten werden."
Es gebe noch jede Menge Stoff für Debatten, schreibt die "Stuttgarter Zeitung". Das Entlastungspaket sei weder ein Allheilmittel noch der Abschluss des Krisenmanagements. Bei aller Kritik erweise sich aber "die neue Bundesregierung, trotz ihrer heterogenen Zusammensetzung, erneut als erstaunlich handlungsfähig".
Quelle: ntv.de, jug/dpa