Interview mit Sanders' Bruder Larry "Ich wusste, wie gut Bernie ist"
17.05.2016, 16:29 Uhr
Bernie Sanders hat im Vorwahlkampf der US-Demokraten viele überrascht, nicht jedoch seinen älteren Bruder.
(Foto: AP)
Larry Sanders ist der ältere Bruder von Bernie Sanders, jenes linken Senators, den Hillary Clinton noch immer nicht besiegen konnte. Im Interview mit n-tv.de erklärt er, warum sein Bruder so erfolgreich ist - und was auf dem Parteitag der Demokraten passieren könnte.
Wenn man seine Stimme hört, merkt man es sofort. Es ist nicht nur der Name - Larry Sanders lebt seit den späten 60er Jahren in England, doch seine Aussprache erinnert stark an die seines sieben Jahre jüngeren Bruders Bernie. Wenn Larry Sanders beispielsweise "Wall Schtreet" sagt, klingt er wie der Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten.
Larry Sanders war vor wenigen Tagen in Berlin, als die "Democrats Abroad", die Auslandsabteilung der Demokratischen Partei, ihre 13 Delegierten für den Nominierungsparteitag im Juli bestimmten. Die weltweiten Vorwahlen der Democrats Abroad hatte Bernie Sanders da schon gewonnen - die Auslandsdemokraten entsenden vier an Clinton und neun an Sanders gebundene Delegierte. Einer der neun ist Larry Sanders.

Larry Sanders ist Jurist und hat in Oxford Sozialarbeit gelehrt. Er ist gesundheitspolitischer Sprecher der englischen Grünen - und Bruder von Bernie Sanders.
(Foto: AP)
n-tv.de: Haben Sie jemals geglaubt, dass Ihr Bruder so weit kommen würde?
Larry Sanders: Als wir aufwuchsen, hatten wir nie auch nur die leiseste Vermutung, dass einer von uns mal so etwas wie Präsidentschaftskandidat werden könnte. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich dachte, dass er eine Chance haben würde, als er seine Bewerbung öffentlich machte, dann kann ich aufrichtig sagen, dass ich das durchaus geglaubt habe.
Warum?
Ich bin genug politischer Beobachter, um zu wissen, dass in der Wirtschaftsgeschichte der vergangenen vierzig Jahre etwas sehr Ungewöhnliches passiert ist, in den USA noch mehr als anderswo. Das ist die Umverteilung von Wohlstand und Einkommen von der Mehrheit der Bevölkerung zu den sehr Reichen. Darüber wird zwar nicht gesprochen, aber Millionen Menschen wissen sehr wohl, dass sie noch immer genauso viel verdienen wie vor dreißig oder vierzig Jahren, vielleicht sogar weniger. Zugleich sind die Preise gestiegen, so dass ihre wirtschaftliche Situation sich verschlechtert hat. Das betrifft nicht eine Minderheit oder nur die besonders Armen, sondern mindestens die Hälfte, vielleicht zwei Drittel der Bevölkerung der USA. Die Menschen merken das, auch wenn sie nicht unbedingt wissen, warum es passiert ist. Und endlich kommt jemand, der darüber spricht. Der sagt: Das ist nicht nur bei dir so, es liegt nicht daran, dass du dumm oder faul bist. Es liegt an der Art und Weise, wie die Wirtschaft strukturiert ist. Sie ist zugunsten von Menschen mit viel Geld manipuliert, die Löhne und Sozialleistungen niedrig halten wollen. Ich wusste also, wie die Welt ist und wie die Menschen empfinden. Und ich wusste, wie gut Bernard darin ist, seine Ansichten klar auszudrücken. Im allerersten Interview, das ich gab, nachdem er seine Bewerbung angekündigt hatte, wurde ich gefragt, wie weit er kommen werde. Ich sagte: Ich weiß nicht, ob er gewinnen wird, aber ich glaube, dass er die amerikanische Politik dauerhaft verändern wird. Und ich glaube, ich hatte Recht.
Es gibt viele Unterschiede zwischen Bernie Sanders und dem mutmaßlichen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Aber es gibt eine Sache, die sie gemein haben: Sie sind beide erfolgreich, weil sie Außenseiter des politischen Betriebs sind.
Das hört man häufig, aber ich bin nicht davon überzeugt. Bernard ist ein Politiker, er hat seit mehr als dreißig Jahren politische Ämter inne. Der Unterschied ist, dass er schon immer andere Ansichten hatte als die Mehrheitspolitiker. Die Menschen haben nicht unbedingt etwas gegen Politiker, sie haben etwas gegen Politiker, die schwafeln, die einmal dies und einmal jenes sagen, die ihre Positionen von Umfragen abhängig machen oder davon, von wem sie Geld bekommen. Diese Art von Politik ist sehr verbreitet, nicht nur in Amerika. Bernard ist ganz klar kein Teil davon. Ihm geht es nicht um Geld oder Ruhm. Er kandidiert, weil er die Veränderungen durchsetzen will, die er für wichtig hält. Das spricht die Menschen an.
Wie eng ist der Kontakt zu Ihrem Bruder?
Normalerweise haben wir uns alle zwei Wochen den halben Sonntag freigenommen, um am Telefon miteinander zu sprechen. Aber im vergangenen Jahr war das sehr unregelmäßig.
Auf dem Nominierungsparteitag sind Sie als Delegierter auf Ihren Bruder festgelegt. Wären Sie auch bereit, Hillary Clinton zu wählen, wenn Ihr Bruder die notwendige Delegiertenzahl nicht erreicht?
Er wird seine Kandidatur aufrechterhalten, bis der Parteitag eine Entscheidung trifft. Und wenn der Parteitag Hillary Clinton nominiert, dann, das hat Bernard sehr deutlich gesagt, wird er sie unterstützen.
Glauben Sie, dass es eine "contested convention", also einen umkämpften Parteitag, geben wird? ["Contested" heißt ein Nominierungsparteitag in den USA, wenn das Ergebnis nicht von Anfang an feststeht, wenn also kein Bewerber genug Delegierte hat, um sich im ersten Wahlgang zum Präsidentschaftskandidaten wählen zu lassen.]
Es ist durchaus möglich, dass keiner der beiden mit genügend gebundenen Delegierten in den Parteitag geht. Hillary Clinton wird zweifellos vorne liegen, vor allem bei den nicht gebundenen Delegierten. Bernards Argument wird sein: Wenn ihr diese Wahl sicher gewinnen und Amerika verändern wollt, dann solltet ihr für mich stimmen, denn ich bin [in den Umfragen] gegen Trump viel stärker. Wenn ihr aber die Kontrolle über die Partei behalten wollt, dann könnt ihr bei Hillary Clinton bleiben, denn sie steht für das demokratische Establishment. Ich glaube, dieses Argument wird er vortragen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass er damit erfolgreich sein wird?
Es gibt eine Außenseiterchance, je nachdem, wie die letzten Vorwahlen verlaufen, wie die Umfragen stehen und die Stimmung insgesamt sein wird. Es ist möglich, dass viele Delegierte sich umschauen und sagen: Nun, Bernard ist nicht unsere erste Wahl, aber wir würden die Präsidentschaftswahl gern gewinnen und es ist sehr wichtig für das Land, dass Trump nicht gewählt wird.
Sie selbst sind auch politisch engagiert. Sie haben die britische Labour Party verlassen, als Tony Blair sie in Richtung Mitte verschob, und dann haben Sie sich den englischen Grünen angeschlossen.
Ich bin noch immer aktives Mitglied der Grünen.
Kann man die englischen Grünen mit den deutschen Grünen vergleichen?
Um ehrlich zu sein, da bin ich nicht ganz auf dem Laufenden. Ich höre, dass die deutschen Grünen nach rechts gerückt sind, aber ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt. Für die englischen Grünen gilt das jedenfalls nicht.
Von dieser Perspektive aus betrachtet: Wie weit links steht Bernie Sanders?
Im Rahmen der amerikanischen Politik der letzten Jahrzehnte steht er weit links. Aber er sagt, und ich glaube, dass das absolut stimmt, dass es auf die Themen ankommt. Wollen die Menschen ein für alle zugängliches und bezahlbares Gesundheitssystem? Wollen die Menschen eine bezahlte Auszeit, wenn sie Kinder bekommen? Wollen die Menschen ein kostenloses öffentliches Bildungssystem? Wenn es um die Themen geht, ist Bernard in den zentralen Fragen auf der Seite der Mehrheit. Mit Blick auf das, was aus der Politik geworden ist, ist er radikal. Aber mit Blick auf ganz normale Amerikaner ist er Mainstream. Ich glaube, das Gleiche gilt für die [britischen] Grünen. Es gab eine Webseite, auf der man zu den zentralen Themen seine politischen Vorlieben eingeben konnte.
In Deutschland gibt es so etwas auch, den Wahlomat.
Bei dieser Art Umfrage waren die Grünen die beliebteste Partei Großbritanniens. Die überwiegende Mehrheit der Menschen wollen, dass Steuerhinterzieher energisch verfolgt werden, sie wollen ernsthafte Anstrengungen, um den Klimawandel aufzuhalten, und so weiter. Wenn man den Wählern solche Angebote unterbreitet, ohne dass sie dabei denken: Ach, diese Partei hat sowieso keine Chance, oder: Die mag ich eigentlich nicht, dann ist das populäre Mainstream-Politik. Genau das macht Bernard.
Mit Larry Sanders sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de