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Osteuropa-Experte nach Attentat "In Russland wird behauptet, Kiew habe seine Finger im Spiel"

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Die russische Propaganda reagiert auf das Attentat auf Donald Trump "mit diversen Verschwörungstheorien", sagt Osteropa-Experte Alexander Friedman.

Die russische Propaganda reagiert auf das Attentat auf Donald Trump "mit diversen Verschwörungstheorien", sagt Osteropa-Experte Alexander Friedman.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Das Attentat auf Donald Trump ist ein gefundenes Fressen für die russische Propaganda. Kreml-Medien reagieren mit Schadenfreude - und diversen Verschwörungstheorien. Die Schuldigen werden schnell ausgemacht: Wie so oft sind es liberale Medien, Joe Biden - und natürlich die Ukraine. Historiker Alexander Friedman erläutert im Interview mit ntv.de, warum viele Russen selbst die absurdesten Geschichten glauben. Der Osteuropa-Experte sagt auch, wen sich der Kreml als nächsten US-Präsidenten wünscht - und warum Wladimir Putin zu Schüssen auf Trump schweigt.

ntv.de: Wie hat man in Russland auf das Attentat auf Donald Trump reagiert?

Alexander Friedman: Es ist ein Ereignis von ganz großer Bedeutung für die ganze Welt. Und es ist interessant, dass die offizielle Position der russischen Regierung nur von Pressesprechern Wladimir Putins und des Außenministeriums vorgetragen wurde. Die ganze Welt spricht darüber. Ausländische Staatschefs melden sich bei Trump. Sogar für Xi Jinping, der offensichtlich kein gutes Verhältnis zu Trump hat, war klar: Man kann in solch einer Situation nicht schweigen, man muss sich positionieren. Das ist auch diplomatisch notwendig. Und was macht die russische Seite? Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, verbreitet zuerst Schadenfreude, bevor sie zu Vorwürfen in Richtung der Ukraine übergeht. Sie macht die Ukraine nicht direkt für das Attentat verantwortlich, aber es geht in die Richtung: Jetzt bekommen die USA selbst ukrainische Verhältnisse. Von Genesungswünschen an Trump ist keine Rede.

Alexander Friedman ist promovierter Historiker. Er lehrt Zeitgeschichte und Osteuropäische Geschichte an der Universität des Saarlandes und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Alexander Friedman ist promovierter Historiker. Er lehrt Zeitgeschichte und Osteuropäische Geschichte an der Universität des Saarlandes und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Aber warum schweigt Putin?

Der Kreml geht davon aus, dass die USA einen Hybridkrieg gegen die Russische Föderation führen, indem sie die Ukraine unterstützen. Sie sehen sich also in einem Krieg gegen die USA. Und wenn bei deinem Feind im Krieg etwas passiert, dann kommst du ja nicht mit Genesungswünschen. Das erklärt im Grunde genommen das Schweigen von Putin. Aber es kann durchaus sein, dass er sich später meldet.

Und wie reagiert die Propaganda?

Selbstverständlich mit diversen Verschwörungstheorien. Da gibt es ein paar Narrative, die man hervorheben könnte. Zunächst das ewige russische Thema - die Verbindung zur Ukraine. Das darf nicht fehlen. Es gab nicht nur Blogger und Kommentatoren in sozialen Medien, sondern auch Abgeordnete des russischen Parlaments, die explizit gesagt haben: Kiew hat seine Finger bestimmt im Spiel. Trump sei für die Ukraine eine Gefahr, weil er keine Waffen mehr liefern möchte. Es sei im Interesse der Ukraine, wenn Trump stirbt.

Werden Belege präsentiert, die die ukrainische Beteiligung beweisen sollen?

Im Internet kursiert zum Beispiel eine Fake-Geschichte, dass man angeblich ein vermeintliches Social-Media-Profil des Schützen mit dem Banner "We stand with Ukraine" gefunden habe. Dass der Attentäter in russischen Medien als Unterstützer der Ukraine dargestellt wird, ist übrigens nichts Neues: Die gleiche Geschichte gab es sofort nach dem Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico. Auch in diesem Fall wurde in Russland behauptet, entweder sei es im Auftrag der Ukraine geschehen, oder zumindest der Täter sei eine Person gewesen, die mit der Ukraine sympathisiert.

Welche Narrative werden sonst noch verbreitet?

Das in russischen Medien vorherrschende Narrativ scheint die innenpolitische Version zu sein. Demnach war es die Hetze der Demokraten gegen Trump, die das Attentat provoziert hat. Vor allem liberale Medien, die gegen Trump - aber auch gegen Putin - sind, hätten dieses Gift gegen Trump verbreitet und damit die Voraussetzung für das Attentat geschaffen. Es gibt auch direkte Vorwürfe gegen Biden: Er soll den Befehl gegeben haben, Trump zu töten.

Gibt es in russischen Medien keine vernünftigen Stimmen?

Doch, natürlich. Auch in Russland gibt es gute USA-Wissenschaftler, und sie verstehen, dass diese ganzen Erzählungen schlichtweg absurd sind. Und es gibt auch in den Propaganda-Medien ab und zu Wissenschaftler oder Experten, die durchaus sachliche Analysen abliefern. Sie weisen diese verschwörungstheoretischen Inhalte zurück. Aber das sind vereinzelte Stimmen, die sich in diesem Fluss von Verschwörungstheorien nicht durchsetzen können.

Wie kommt es, dass die Zuschauer eher den Verschwörungstheorien glauben, obwohl sie selbst in Propaganda-Medien von Experten zurückgewiesen werden?

Das ist schon absurd. Aber im Grunde genommen ist es die Weiterentwicklung von sowjetischen Narrativen. Wenn man zum Beispiel die Darstellung des Attentats auf Trump damit vergleicht, was die sowjetische Presse über den Anschlag auf Ronald Reagan im Jahr 1981 geschrieben hat, kann man große Gemeinsamkeiten entdecken. Nach dem Motto: Die Amerikaner, die mischen sich überall auf der Welt ein, sie versuchen, ihren Willen durchzusetzen, und gleichzeitig befinden sie sich selbst in einer katastrophalen Situation am Rande des Bürgerkrieges. Auch heute wird dieses Wunschdenken stark hervorgehoben: Dass es in den USA zu einem Bürgerkrieg kommen könnte. Die russische Propaganda knüpft an die sowjetischen Traditionen und Verschwörungstheorien an und entwickelt sich weiter.

Welchen Ausgang der US-Wahl wünscht sich der Kreml?

Putin hat vor Kurzem gesagt, ihm sei es egal, wer die US-Wahl gewinnt, weil sich die Situation für Russland dadurch nicht ändern werde. Dann sagte er aber, dass ihm Biden sogar lieber wäre als Trump, weil Biden berechenbar sei. Diese Äußerungen von Putin wurden im Westen nicht ernst genommen. Im Westen gibt es die vereinfachte Vorstellung, dass die Russen unbedingt auf Trump hoffen.

Ist es nicht so?

2016 haben die Russen Trump noch offensichtlich geholfen, die Wahlen zu gewinnen. Aber die Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht haben, sind nicht unbedingt positiv. Das Verhältnis zwischen Russland und den USA hat sich unter Trump grundlegend nicht verbessert. Eine mögliche zweite Amtszeit Trumps sehen die Russen als einen Sprung ins Ungewisse. Sie wissen nicht, was von ihm zu erwarten ist. Trump ist aus russischer Sicht gewissermaßen ein Risikofaktor. Beiden ist selbstverständlich auch kein Geschenk, aber er ist berechenbar. Sie wissen, dass es für Biden bestimmte rote Linien gibt. Er ist an einem direkten Konflikt mit Russland nicht interessiert. Er bremst auch die Unterstützung der Ukraine - so erlaubt er etwa keinen Einsatz von weitreichenden Waffensystemen gegen Ziele in Russland. Und er ist aktuell gegen die Aufnahme der Ukraine in die NATO. Er ist gewiss ein Feind, aber zumindest berechenbar.

Welches Szenario wäre perfekt für Russland?

Besonders vorteilhaft wäre es für den Kreml gewesen, wenn die USA im Chaos versinken würden. Denn dann wären die Amerikaner mit sich selbst beschäftigt und hätten keine Zeit für andere Länder. Auch im Jahr 1981, nach dem Attentat auf Reagan, der ein glühender Feind der Sowjetunion war, hatte man in Moskau eine große Hoffnung, dass es in den USA zu Unruhen, Konflikten, bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt. Und heute? Wenn ich mir die russische Berichterstattung anschaue, da gibt es dieses Wunschdenken tatsächlich auch: Schade, dass die Lage ziemlich ruhig bleibt und dass die USA von einem Bürgerkrieg noch weit entfernt sind.

Mit Alexander Friedman sprach Uladzimir Zhyhachou.

Quelle: ntv.de

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