Politik

Frauenrechte nach der Wahl Ist Feminismus jetzt Populistensache?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel und BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht.

AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel und BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht.

(Foto: picture alliance/dpa)

Spitzenkandidatinnen für die Bundestagswahl werden ausgerechnet am rechten und linken Rand nominiert. Mit frauengerechter Politik hat das aber nichts zu tun, ganz im Gegenteil: Die Errungenschaften von Jahrzehnten stehen auf dem Spiel.

Wer sich die Spitzenplätze der Parteien für die vorgezogene Bundestagswahl anschaut, reibt sich verwundert die Augen: in der Mitte nur Männer, an den Rändern mit Alice Weidel und Sahra Wagenknecht die Frauen. Ist Gleichberechtigung nicht mehr en vogue, gibt die Mitte das Thema auf? Zeichnet sich eine gesellschaftliche Verschiebung ab? Stehen patriarchal geprägte Strukturen Frauen nicht mehr im Wege - oder wird gar das traditionelle Hausfrauen-Ideal wieder zum Leitbild vieler Frauen? Und Feminismus zur Populistensache?

Der Schein trügt auf gefährliche Weise: Wenn Frauen sich auf Populistinnen verlassen, sind sie verlassen. Rechtsaußen und Linksaußen haben zwar Frauen an der Spitze, doch deren Geschlecht spielt inhaltlich keine Rolle. Im Gegenteil, sie vertreten teils sogar Thesen, die von Gleichberechtigung kaum weiter entfernt sein könnten. Die AfD will mit der Forderung einer weitgehenden Einschränkung von Abtreibungen in den Wahlkampf ziehen - ein Kernelement weiblicher Selbstbestimmung über den eigenen Körper, erkämpft in harten Auseinandersetzungen seit den 1970er-Jahren. Mein Bauch gehört mir! Doch wenn es nach den Blauen geht, heißt es womöglich bald: Dein Bauch gehört dir nicht mehr!

Zur Autorin
alexandra-wuttig-kanzlerin-iu-internationale-hochschule-11.jpg

Prof. Dr. Alexandra Wuttig ist Juristin und Kanzlerin der IU Internationalen Hochschule. Als Professorin für Entrepreneurship, Innovation und Recht liegen ihre Forschungsschwerpunkte im Bereich Innovation, Leadership und Diversity. Vor ihrer akademischen Laufbahn arbeitete sie für führende internationale Kanzleien und Beratungsgesellschaften. Sie engagiert sich ehrenamtlich für die Gleichstellung der Frauen und ist Mitgründerin mehrerer Start-Ups.

In ihrem Grundsatzprogramm tritt die Partei für reaktionäre Rollenbilder ein. Für Frauen bedeutet das: Kinder und Küche statt Karriere. Die AfD fordert "Mehr Kinder statt Masseneinwanderung", verweist auf die höheren Geburtenraten migrantischer Frauen im Vergleich zu deutschstämmigen Frauen und will Maßnahmen, um "die Geburtenrate mittel- bis langfristig wieder auf ein tragfähiges Niveau" zu bringen. Frauen als Gebärmaschinen in 60er-Jahre-Klischeefamilien.

Frauen, passt auf!

Das BSW ist eine One-Woman-Show, doch sich mit der frauenpolitischen Programmatik auseinanderzusetzen ist schlicht unmöglich. Wer das tun will, findet einfach nur ein großes Nichts. In ihrem Parteiprogramm hat Wagenknecht Frauen bisher nichts zu bieten. Gleichberechtigung, Teilhabe, Pay-Gap, Diversität: Nichts davon kommt darin vor, nicht einmal die Worte Frauen oder Frauenpolitik.

Wer unterdessen Alice Weidels Biografie betrachtet, entdeckt eine progressive Bilderbuchvita: Verheiratet mit einer Frau mit Migrationshintergrund. Sie lebt das Gegenteil dessen, wofür sie politisch steht. Während auf der politischen Bühne das "Wer bin ich" und das "Wofür stehe ich" zunehmend verwirrend auseinanderfallen, müssen Frauen einen klaren Blick bewahren. Die Errungenschaften von Jahrzehnten stehen auf dem Spiel - nicht nur im Abtreibungsrecht.

In wirtschaftlich schwierigeren Zeiten haben viele Unternehmen ihre Diversity-Programme gekürzt. Gesellschaftlich etablieren sich in sozialen Medien in kleinen, aber wachsenden Zielgruppen erzreaktionäre Rollenbilder von Tradwives und Alpha-Males: Erstere inszenieren das Hausfrauen- und Mütterdasein als Hort der Glückseligkeit, letztere predigen männliche Dominanz und Kontrolle über Frauen. Politisch scheint Gleichberechtigung an Bedeutung zu verlieren - als sei das kein Thema, mit dem man Wahlen gewinnt oder den Zeitgeist trifft.

Eine Studie der "IU - Internationale Hochschule" belegt, wie mächtig traditionelle Rollenbilder nach wie vor sind - und welche unmittelbaren Auswirkungen sie auf die persönliche und finanzielle Situation von Frauen haben. Jede zweite berufstätige Frau in einer Partnerschaft erledigt den Haushalt allein oder überwiegend. 70 Prozent der Frauen übernehmen Care-Arbeit wie Kinderbetreuung oder Pflege Angehöriger allein oder zum großen Teil. Dafür stecken Frauen beruflich dramatisch öfter zurück: Nur zehn Prozent der Männer arbeiten Teilzeit, aber die Hälfte der Frauen.

Das Problem dürfte sich durch den demografischen Wandel in den kommenden Jahren erheblich verschärfen. Einerseits wächst in alternden Gesellschaften die Zahl der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. Andererseits sorgt die schrumpfende Zahl an Arbeitskräften schon jetzt dafür, dass Pflegeeinrichtungen und Kindertagesstätten den Bedarf mangels Personal immer schwieriger abdecken können. Wenn an dieser Stelle die Familien einspringen, bedeutet das de facto vor allem: Die Frauen springen ein. Wir müssen aufpassen, dass die Fortschritte der zurückliegenden fünf Jahrzehnte nicht unter dem Druck demografischer Veränderungen und gesellschaftlich-politischer Passivität verloren gehen.

Einmischen und Einfordern

Unsere alltäglichen Herausforderungen - die wirtschaftliche Lage, die Bildungschancen unserer Kinder, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie - hängen direkt mit der Demokratie zusammen. Ohne Demokratie gibt es keine fairen Chancen, keine Mitsprache, keine Sicherheit. Wenn wir Frauen nicht aktiv werden, überlassen wir die Gestaltung der Zukunft anderen - und riskieren, dass unsere Themen und Werte auf der Strecke bleiben. Demokratie braucht Engagement, Vielfalt und vor allem uns Frauen.

Jetzt ist die Zeit, die Ärmel hochzukrempeln. Ich kann allen Frauen - und den vielen progressiv denkenden Männern! - nur zurufen: Mischt euch ein, fordert ein! Das bedeutet gerade im Wahlkampf, den Mund aufzumachen und Frauenthemen anzusprechen - in privaten Diskussionen über die Wahl, an Wahlkampfständen, gegenüber Abgeordneten. Demokratie mag anstrengend sein, aber sie ist jede Mühe wert. Sie ist die Chance, die eigenen gesellschaftlichen Lebensumstände mitzugestalten. Und die Verpflichtung, es auch zu tun.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen