Interview mit Verfassungsrechtler Ist das NPD-Urteil richtig?
17.01.2017, 14:42 Uhr
Verkündete das NPD-Urteil: Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle.
(Foto: REUTERS)
Die Karlsruher Richter wollen die NPD nicht verbieten. Verfassungsrechtler Ulrich Battis erklärt im Interview, warum es bei dem Urteil einen anderen Maßstab gab als im Verbotsverfahren gegen die KPD. "Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg."
n-tv.de: Die Karlsruher Richter haben entschieden. Ihrem Urteil zufolge verbreitet die NPD zwar verfassungswidrige Ideen, trotzdem wird sie nicht verboten. Überrascht Sie die Entscheidung?
Ulrich Battis: Das kann man hinterher immer gut sagen, aber ich und viele andere haben damit gerechnet. Auch die Bundesländer wussten, dass es schwer werden würde, zu einem Verbot zu kommen. Die Klage war von Anfang an umstritten. Die Strategie der Antragsteller ist nicht aufgegangen: Die Bundesländer haben in ihrer Klage damit argumentiert, dass die NPD in einzelnen Ländern sehr stark ist. Im Urteil wird der Kleinstort Jamel in Mecklenburg Vorpommern erwähnt, indem die NPD über viel Einfluss verfügt. Aber das Gericht weist auch zu Recht daraufhin, dass es ein absoluter Ausnahmefall ist, der sich nicht auf die ganze Republik übertragen lässt.
Bei ihrem Urteil haben die Richter die geringe Bedeutung der NPD deutlich stärker gewichtet als ihre vorhandene Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus. Ist das aus Ihrer Sicht angemessen?
Ja. In dem Urteil stehen harte Sachen drin, was die nationalsozialistische Identität der NPD betrifft. Aber das alleine reicht eben nicht für ein Verbot. In Artikel 21, Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es, das Handeln einer Partei müsse darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Aber es muss eben eine gewisse Gefährlichkeit da sein.
Die KPD wurde 1956 verboten, obwohl sie unbedeutend war.
Das KPD-Urteil fiel zeitlich auf den Höhepunkt des Kalten Krieges. Deutschland hat in Europa damals aufgrund seiner Teilung eine Sonderrolle gespielt. Wir hatten einen kalten Bürgerkrieg. Es gab illegale Aktionen, die von Ostberlin finanziert wurden. In dem Verbotsurteil haben die Richter die Verfassung damals anders ausgelegt. Es kam nicht so sehr darauf an, ob es realistisch ist, dass die Partei ihre Ziele durchsetzen kann. Heute ist die Situation anders. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg. Ich finde daher, dass es der aktuellen Entwicklung angemessen ist, wie das Verfassungsgericht entschieden hat.
Kann man den Bundesländern, die die mit ihrem Verbotsverfahren nun gescheitert sind, Fehler vorwerfen?
Nein. Die Länder wussten, dass sie ein hohes Risiko eingehen. Viele Beobachter haben von vornherein gesagt, dass es an der mangelnden Gefahr der NPD scheitern wird. Durch die Flüchtlingskrise und die Anschläge auf Unterkünfte ist das Ganze noch einmal verschärft worden. Das Gericht sagt jedoch, dass die NPD dabei nicht der Antreiber gewesen ist. In manchen Landkreisen erzeugt die NPD zwar ein gefährliches Klima, aber die Bundesrepublik bricht dadurch nicht zusammen. Das Urteil ist keine Blamage für die Länder, aber glücklich werden sie natürlich nicht sein.
Sie haben Ende 2015 in einem Interview gesagt, es sei fatal, wenn auch das zweite NPD-Verbotsverfahren scheitert. Nun ist es so gekommen. Welche negativen Folgen sehen Sie?
Die Rechten werden sagen: "Die Herrschenden haben versucht, uns für illegal zu erklären, und sind damit gescheitert. Der Kampf geht weiter." Aber das greift natürlich zu kurz. In dem Urteil steht einiges drin. Es sagt klar: "Ihr seid Neonazis." Das sind deutliche Worte, die für die Zukunft wirken und die Antragsteller bestätigen. Der NPD wurde nun offiziell bestätigt, dass ihre Ziele verfassungswidrig sind.
Geht die NPD gestärkt aus dem Urteil hervor oder eher geschwächt, weil ihr quasi die Bedeutungslosigkeit bescheinigt wurde?
Ich halte die zweite Variante für zutreffend.
Mit Ulrich Battis sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de