Fast täglich Tote und Verletzte Ist der Ukraine-Friedensplan gescheitert?
25.06.2015, 10:24 Uhr
Soldaten der ukrainischen Armee in Avdiivka in der Region Donezk
(Foto: REUTERS)
Das Minsk-Abkommen sollte die Lage in der Ukraine beruhigen. Doch vier Monate später nehmen die Kämpfe zwischen Separatisten und ukrainischen Soldaten eher zu als ab. Der OSZE-Vize-Chef spricht über die schwierige Situation an der Front.
n-tv.de: Die Kämpfe in der Ostukraine halten an. Viele Fristen des Minsker Abkommens sind ergebnislos verstrichen. Glauben Sie noch an einen Erfolg?
Alexander Hug: Die Spannungen in der Ostukraine sind seit Ende April gewachsen. Seitdem steigt die Anzahl von Verletzten und Toten. Wir beobachten den zunehmenden Einsatz von schweren Waffen und Minen an der Kontaktlinie sowie vermehrte Zerstörung von ziviler und wirtschaftlicher Infrastruktur. Auch die Zahl der Attacken auf unsere Beobachter nimmt zu.
Wie viele Verstöße gegen Waffenruhe gibt es täglich?
Es ist schwierig, eine Zahl zu nennen. Jede schwere Waffe vor der Rückzugslinie stellt eine Verletzung des Abkommens dar, auch wenn sie nicht benutzt wird. Sicher ist: Beide Seiten halten sich nicht an die Vereinbarungen, vor allem an den Abzug schwerer Waffen und den Waffenstillstand.
Wo ist die Situation besonders angespannt?
Nach dem Abschluss des Minsk-Abkommens war dies vor allem am Donezker Flughafen und in der Stadt Schirokine. Seit Ende April haben wir auch zunehmend Verletzungen in Hranitne, Horlivka und Advivka. Auf der Seite von Luhansk war es lange sehr ruhig, aber auch dort haben die Kämpfe zugenommen.
Wer verstößt häufiger gegen das Minsker Abkommen?
Es ist schwierig zu sagen, wann und wo ein Verstoß beginnt, denn es ist schwer nachzuvollziehen, wo er begonnen hat. Ein einzelnes Kalaschnikow-Feuer kann erst eine halbe Stunde später erwidert werden. Es ist oft fast unmöglich, den zu benennen, der angefangen hat.
Welche Seite verhält sich insgesamt disziplinierter?
Das kann man nicht allgemein beurteilen. Das Benehmen unterscheidet sich an den verschiedenen Schauplätzen. Es geht auch nicht darum, wer mehr Verstöße begangen hat. Beide Seiten haben sich im Februar dazu bereit erklärt, keine Waffen zu gebrauchen.
Wie versucht die OSZE, wieder Herr der Lage zu werden?
Es ist nicht unsere Aufgabe, Herr der Lage zu werden. Unsere Aufgabe ist es, die Lage vor Ort zu beobachten und darüber zu berichten. Das Einstellen des Feuers und den Abzug der Waffen zu kontrollieren, liegt nicht in der Verantwortung der OSZE.
Bräuchte die OSZE nicht ein viel robusteres Mandat, um die Waffenruhe nicht nur zu dokumentieren, sondern aktiv für eine Einhaltung zu sorgen?
Eine Änderung des Mandats würde einen neuen Konsens-Entscheid aller 57 Mitgliedsstaaten erfordern.
Halten Sie es trotzdem für sinnvoll, dass die OSZE eine aktivere Rolle spielt?
Das müsste näher definiert werden. Ich möchte nicht spekulieren, was die OSZE machen könnte. Zu unseren Aufgaben gehört es nicht, eine friedenserzwingende Mission durchzusetzen. Wir stellen den Dialog zwischen beiden Seiten her.
In den vergangenen Wochen war das offenbar nicht von großem Erfolg geprägt.
Immerhin sprechen beide Seiten noch miteinander. Die Außenminister haben sich in dieser Woche in Paris getroffen und versucht, Lösungen zu finden. Natürlich muss das zu Resultaten führen. Aber so lange die verschiedenen Parteien miteinander reden, besteht immerhin eine Plattform. Es gibt keine Alternative zum Minsker Format und der OSZE-Mission, die alle Seiten zusammenführt.
Die Außenminister von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine haben einen lokalen Waffenstillstand für Schirokine vereinbart. Wie aussichtsreich ist das?
Schirokine ist ein kleines Dorf zehn Kilometer östlich von Mariupol. Es liegt an den Konfliktparteien, sich zurückzuziehen. Die OSZE steht bereit, dies zu begleiten. Ich bin zuversichtlich: Wenn sich beide Seiten zu einem Zugeständnis durchringen, ist das möglich. Der Waffenstillstand sollte aber nicht nur in Schirokine halten, sondern auf der ganzen 500 Kilometer langen Kontaktlinie.
Vor einigen Tagen hat die EU die Wirtschaftssanktionen gegen Russland verlängert. Gab es zuletzt Anzeichen dafür, dass der Kreml mäßigend auf die Separatisten eingewirkt hat?
Russland ist OSZE-Mitglied und hat der Unterstützung der Ukraine-Mission zugestimmt. Insofern hat man ein Interesse daran, dass die Mission ihr Mandat umsetzen kann.
Hatten Sie den Eindruck, dass Russland seinen Einfluss auf die Separatisten geltend gemacht und seine Unterstützung eingestellt hat?
Wir haben in dieser Hinsicht nichts beobachten können. Ich kann das nicht weiter kommentieren.
Mit Alexander Hug sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de