Politik

Rede zur Lage der EU Junckers fünf Schritte aus der Krise

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(Foto: AP)

EU-Kommissionspräsident Juncker versucht, Begeisterung für die EU zu entfachen - nicht durch eine emotionale Rede, sondern durch etliche neue Maßnahmen. Ob das gelingt? Ungewiss. Der EU fehlt es nicht an Projekten, sondern an der Umsetzung.

Die große emotionale Rede, die der Kontinent bräuchte, um wieder Begeisterung für die EU zu entfachen, lässt sich vielleicht gar nicht mehr halten. Die Versatzstücke, die sie enthalten müsste – der Frieden, den die Gemeinschaft gebracht hat, die Vorteile zu Nationalstaaten in einer globalisierten Welt – sind in den vielen Jahren der Krise oft bemüht worden und in den Ohren vieler EU-Bürger längst zu Floskeln verkommen.

Zugleich gibt es nichts, was Europa dringender bräuchte als Begeisterung. Mit dem Brexit schrumpft die Gemeinschaft erstmals wieder, und nicht nur in Großbritannien macht sich EU-Verdrossenheit breit. Die Flüchtlingskrise spaltet nicht nur die Nationalstaaten, sondern auch die Mitgliedsländer. Der fragile EU-Türkei-Deal ist eine Lösung, auf die noch niemand recht zu setzen wagt, zumal die Zahl der Toten im Mittelmeer steigt. Das Verhältnis der EU zu Russland ist wegen der Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ukraine so angespannt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Und die Terrorgefahr erscheint höher denn je.

Wie also aufrütteln? Das muss sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei den wochenlagen Vorbereitungen seiner Rede zur Lage der Union immer wieder gefragt haben. Die Antwort: Juncker streift die schon so oft gepriesenen Errungenschaften der europäischen Einigung immer wieder, doch er setzt vor allem auf eine Reihe konkreter Maßnahmen. Darunter sind technische Details, die das Leben in Europa erleichtern sollen, aber auch großangelegte Reformpläne, die die Gemeinschaft in eine neue Zeit katapultieren könnten. Die fünf wichtigsten Vorhaben im Überblick.

Europäische Außenpolitik

Brexit-Befürworter Nigel Farage demonstriert seine Ablehnung. Er wirft Juncker vor, die Krise der EU mit dem immergleichen, seiner Meinung nach falschen Rezept, behandeln zu wollen: mehr Europa.

Brexit-Befürworter Nigel Farage demonstriert seine Ablehnung. Er wirft Juncker vor, die Krise der EU mit dem immergleichen, seiner Meinung nach falschen Rezept, behandeln zu wollen: mehr Europa.

(Foto: dpa)

Einen gewaltigen Schritt hin zu mehr Europa will Juncker bei der Verteidigungspolitik wagen. Der Kommissionspräsident setzt darauf, ergänzend zur Nato, eigene Verteidigungsstrukturen aufzubauen. Dabei wirbt er für ein ständiges europäisches Hauptquartier für Auslandseinsätze. Es reiche nicht mehr, nur eine "soft power" ohne eigene militärische Möglichkeiten zu sein, sagt er. Als Fernziel skizziert er eine europäische Armee. Dabei handelt es sich um eine alte Debatte, die bisher am Widerstand der Mitgliedstaaten scheiterte. Parallel zu den Plänen einer europäischen Armee spricht Juncker sich auch für eine besser koordinierte europäische Diplomatie aus. Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der EU, müsse zu einer echten Außenministerin der Union werden. Es könne nicht sein, dass die EU, die von den Folgen des Bürgerkriegs in Syrien besonders betroffen ist, bei den Friedensverhandlungen praktisch keine Rolle spiele.

Milliarden für Europa

Juncker will zusätzliches Geld in die EU pumpen. Es besteht seit 2014 bereits ein milliardenschwerer Investitionsfonds, dessen Laufzeit er nun von 2018 auf 2022 verlängern will. Dabei soll sich auch das Volumen des Fonds erhöhen. Juncker spricht von einer Verdopplung auf 630 Milliarden Euro. Das zusätzliche Geld soll vor allem dafür sorgen, die Arbeitslosigkeit in der EU zu verringern. Anders als in Deutschland ist diese insbesondere in südeuropäischen Staaten bei jungen Leuten hoch. In Griechenland liegt sie bei 50, in Spanien und Italien ungefähr bei 40 Prozent. Zwischen 1 und 1,3 Millionen neue Stellen sollen durch die zusätzlichen Investitionen entstehen.

Mehr Grenzbeamte für Bulgarien

Juncker setzt sich für den raschen Aufbau eines europäischen Grenz- und Küstenschutzes ein. Das ist an sich nicht neu. Die gemeinsame europäische Agentur Frontex wurde in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut. Doch der Kommissionspräsident wird insbesondere bei der Grenze zur Türkei spezifisch. Bereits bis Oktober will er in Bulgarien 200 zusätzliche Grenzbeamte sehen. Bisher blieben die Mitgliedstaaten, die dieses Personal stellen sollen, immer wieder hinter den Erwartungen zurück. Zusätzlich pocht Juncker auf ein europäisches Einreisesystem, das es ermöglicht, alle Bewegungen von Einreisenden auf dem Kontinent lückenlos zu erfassen.

Milliarden für Afrika

Das Versprechen, Fluchtursachen zu bekämpfen, will Juncker endlich einlösen. Der Kommissionspräsident will einen Fonds für Entwicklungsländer auflegen, der Investitionen in Höhe von 44 Milliarden Euro insbesondere in Afrika auslösen soll. Juncker hofft darauf, dass die Mitgliedstaaten diese Summe auf 88 Milliarden Euro verdoppeln.

WLAN für alle

Juncker sieht in einem Ausbau von Internetverbindungen und der Verfügbarkeit von kostenlosem Internetzugang nicht nur eine Chance, die Menschen in Europa näher zusammenrücken zu lassen, sondern auch um mehrere Millionen neuer Jobs zu schaffen. Bis 2020 will der Kommissionspräsident dafür sorgen, dass in den Zentren aller europäischen Großstädte freier WLAN-Zugang zur Verfügung steht. Parallel dazu will er das schnelle mobile Internet, 5G, ausbauen. Bis zum Jahr 2025 soll es flächendeckend in allen europäischen Staaten verfügbar sein.

Ob Juncker all diese Pläne umsetzen kann? Beim Thema gemeinsame Verteidigungspolitik sind die Chancen durch den Brexit, den geplanten Ausstieg Großbritanniens aus der EU, gestiegen. London pochte stets auf die Nato und stellte sich parallelen EU-Strukturen entgegen. Bei vielen der anderen Punkte hängt die Umsetzung vor allem am Geld. Die Finanzierung hängt dabei in der Regel vom guten Willen der Mitgliedstaaten und privater Investoren ab.

Bereits in seiner ersten Rede zur Lage der Union im September 2015 versuchte Juncker mit einigen konkreten Maßnahmen zu punkten: Die wohl wichtigste - damals auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise - war die gerechte Umverteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten. Juncker dürfte dazu ein Jahr später aus gutem Grund keine Bilanz gezogen haben. Von den geplanten 160.000 Flüchtlingen wurden bisher nur etwas mehr als 2000 umverteilt. In einer Lage, die er selbst als "existenzielle Krise" der EU bezeichnet, prescht er mit etlichen neuen Maßnahmen voran - obwohl viele der alten Probleme noch nicht gelöst sind.

Quelle: ntv.de

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