Gespräche und Proteste Kairo verhandelt über Reformen
07.02.2011, 20:07 Uhr
Der Tahrir-Platz im Herzen Kairos bleibt in der Hand der Regierungsgegner.
(Foto: AP)
Die Opposition in Ägypten glaubt weiter an einen friedlichen Machtwechsel durch Verhandlungen. Auch wenn wieder Tausende Demonstranten in Kairo den sofortigen Rücktritt von Präsident Mubarak forderten, sollen die Gespräche weitergehen. Geschäfte und Banken öffnen wieder; die Übergangsregierung erhöht Löhne und Renten.
Ägypten kehrt langsam zur Normalität zurück; Geschäfte und Banken sind wieder geöffnet. Zur Entschädigung von Geschäfts- und Privatleuten, deren Eigentum bei den Protesten gegen Staatschef Husni Mubarak in den vergangenen Wochen beschädigt worden sei, wolle die Übergangsregierung unter Ministerpräsident Ahmed Schafik umgerechnet knapp 620 Millionen Euro bereitstellen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Mena.
Offensichtlich um die Lage im Land weiter zu beruhigen, wurde auch eine 15-prozentige Erhöhung der Löhne von Staatsbediensteten sowie aller Renten beschlossen. Die Änderung solle zum April in Kraft treten, berichtete Mena unter Berufung auf Finanzminister Samir Radwan. Die Regierung habe einen entsprechenden Gesetzentwurf an das Parlament weitergeleitet. Allein die Rentenerhöhung für Soldaten und Zivilbürger werde die Staatskasse rund 6,5 Milliarden ägyptische Pfund (fast 740 Millionen Euro) kosten.
Aus Oppositionskreisen hieß es, der Dialog mit Vizepräsident Omar Suleiman gehe wohl weiter. Die bisher politisch verfemte Muslimbruderschaft hatte nach dem ersten Treffen am Sonntag angekündigt, sie werde nur weiterverhandeln, "wenn die Forderungen der Demonstranten alle umgesetzt werden".

Die Opposition versucht sich in Kompromissen: Sie verhandelt mit der Übergangsregierung, aber Mubarak soll gehen.
(Foto: AP)
Dabei geht es unter anderem um Verfassungsänderungen, echte Pressefreiheit und ein Ende des Ausnahmezustands, sobald dies die Sicherheitslage zulasse. Nach Berichten von Staatsmedien traf Mubarak mit Suleiman und anderen Regierungsmitgliedern zusammen. An der Sitzung habe auch der neue Innenminister Mahmud Wagdi teilgenommen.
Die Regierung verkürzte inzwischen erneut die in Kairo und anderen großen Städten geltende nächtliche Ausgangssperre. Nach Angaben des Staatsfernsehens wurde sie auf die Zeit von 20.00 Uhr bis 06.00 Uhr (19.00 Uhr bis 05.00 Uhr MEZ) beschränkt.
Internationale Schulen öffnen bald wieder
Die wegen der Unruhen in Ägypten geschlossenen internationalen Schulen sollen in den kommenden zwei Wochen allmählich wieder mit dem Unterricht beginnen. Die Deutsche Evangelische Oberschule (DEO) will bereits am Mittwoch wieder Unterricht anbieten, hieß es in einer Mitteilung der Schulleitung.
Die Deutsche Mädchenschule der Borromäerinnen in Kairo will dagegen bis zum 16. Februar warten. Von den deutschen Lehrkräften der beiden Schulen waren viele in den Tagen der Massenproteste und Plünderungen ausgereist.
Die American International School in Kairo rechnet bislang mit einer Wiederaufnahme des Schulbetriebs am 20. Februar. Im französischen Gymnasium (Lycée Français du Caire) soll erst am 27. Februar wieder unterrichtet werden.
Demonstranten: Mubarak soll gehen
Tausende besetzten wieder den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos und ließen nicht ,locker in ihrer Forderung nach sofortigem Rücktritt Mubaraks. Auch in anderen Teilen des Landes, wie in Alexandria, gingen die Menschen auf die Straße. Die Nacht war weitgehend ruhig verlaufen.
Die Ägyptische Organisation für Menschenrechte (EOHR) reichte eine Klage gegen den alten Innenminister Habib el-Adli ein. El-Adli habe Gewalt gegen friedliche Demonstranten am 25. und am 28. Januar angeordnet, hieß es zur Begründung.
Die Arbeit des Parlaments, dessen Auflösung von einigen Oppositionsgruppen gefordert wird, ruht derzeit. Mubarak hatte erklärt, zuerst müssten alle Klagen wegen angeblicher Manipulation bei den Wahlen im vergangenen November geklärt werden. Der neuen Regierung gehören noch immer zahlreiche Minister des alten Kabinetts an.
Der Chef der libanesischen Schiiten-Miliz, Hassan Nasrallah, lobte den Volksaufstand der Ägypter. Er sagte im Fernsehen, diese "Revolution der Armen und Freien" sei eine gerechte Strafe für Mubarak, der die Interessen seines Volkes den Interessen Israels und der USA geopfert habe.
Obama will Reformen sehen
Die USA dringen weiter auf rasche Entscheidungen für Reformen. Obama sprach sich in einem Interview mit dem Sender Fox News für einen "geordneten" Übergangsprozess aus. "Ägypten wird nicht zu dem zurückkehren, was es war", zeigte er sich überzeugt. Er erwarte, dass auch die nächste Regierung sich als guter Partner erweisen werde.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach sich erneut gegen jede Einmischung des Auslands in die Regierungsbildung in Ägypten aus. Deutschland stehe an der Seite der demokratischen Bewegung des Landes, sagte er in Berlin.
Gerüchte und Streit um Deutschland-Aufenthalt
Regierungssprecher Steffen Seibert wies Spekulationen über eine Mubarak-Reise nach Deutschland zurück: "Es gibt weder offiziell noch inoffiziell Anfragen einen solchen Aufenthalt betreffend."
Die Gerüchte heizten dennoch weiter die Debatte an. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Bundeskanzlerin Angela Merkel einen "unerträglichen Schlingerkurs" vor. "Man muss in dieser Umbruchsituation ganz klar Partei ergreifen für das ägyptische Volk", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Während der Sicherheitskonferenz hatte Merkel vor einem überstürzten Vorgehen gewarnt und die Ägypter zur Geduld gemahnt. Trittin lehnte es ab, Mubarak während der Untersuchungen eine Art Exil zu gewähren.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), findet die Idee hingegen gut. "Schon aus humanitären Gründen wäre es eine Selbstverständlichkeit, Mubarak falls nötig eine Behandlung in einem deutschen Krankenhaus zu ermöglichen", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Sollte Mubarak nach Deutschland kommen, muss nach Ansicht der Grünen eine Strafverfolgung gesichert sein, wie der sicherheitspolitische Fraktionssprecher Omid Nouripour sagte.
Noch 12.000 deutsche Urlauber im Land
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes halten sich derzeit noch etwa 14.000 Bundesbürger in Ägypten auf, davon etwa 12.000 Urlauber und etwa 2000 Deutsche mit ständigem Wohnsitz in Ägypten. Vor Beginn der Unruhen waren es nach Schätzungen bis zu 50.000 gewesen.
Die SPD-Bundestagsfraktion warf dem Auswärtigen Amt mangelnde Hilfe für deutsche Staatsbürger in Ägypten vor und will dies im Tourismus-Ausschuss des Bundestages zur Sprache bringen. "Das Auswärtige Amt hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und nicht rechtzeitig über Risiken informiert", sagte der tourismuspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Joachim Hacker dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Andere Länder hätten gezeigt, "dass man hier schneller reagieren musste", sagte Hacker. "Es geht nicht, dass deutsche Staatsbürger übers Fernsehen nach der Bundesregierung rufen müssen." Dies wolle er in der Ausschuss-Sitzung am Mittwoch zur Sprache bringen.
Mehrere Deutsche, die Ägypten in der vorigen Woche aufgrund der schwierigen Sicherheitslage verlassen wollten, hatten sich über fehlende Unterstützung der deutschen Botschaft in Kairo beschwert und Hilfsangebote anderer Länder in Anspruch genommen. Hacker kritisierte zudem, dass die Bundesregierung später als andere westliche Regierungen eine Reisewarnung für Ägypten herausgegeben habe.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts