Politik

Familiennachzug bei Flüchtlingen Koulis Frau wartet im Bombenhagel

Aleppo steht seit Jahren unter Beschuss.

Aleppo steht seit Jahren unter Beschuss.

(Foto: AP)

Todesangst auf dem Mittelmeer, Prügel in Ungarn - das wollte Rami Kouli seiner Familie ersparen. Der Syrer floh allein, um sie später auf sicherem Weg nachzuholen. Eine vollkommen überforderte deutsche Bürokratie berücksichtigte er bei diesem Plan nicht.

Wenn Rami Koulis Geschichte ein Hollywood-Streifen wäre, wäre er jetzt in der 85. Minute. Um sich und seine Familie vor dem Krieg zu retten, hat Kouli schließlich schon eine lange und gefährliche Reise überstanden. Er überquerte die offene See in einem überfüllten Plastikboot. Angekommen auf einem fremden Kontinent, marschierte er über ein halbes Dutzend Grenzen. Kouli wurde von Polizisten getreten, mit Kriminellen ins Gefängnis gepfercht und mit zwei Gläsern Wasser am Tag abgespeist. Trotzdem kämpfte Kouli sich weiter durch. Jetzt ist er endlich an einem sicheren Ort angekommen.

Rami Kouli und seine Söhne in Aleppo.

Rami Kouli und seine Söhne in Aleppo.

Wäre Koulis Geschichte ein Hollywood-Streifen, könnte er jetzt seine Familie auf sicherem Wege nachholen. Nur noch ein paar Schnitte und Kamerafahrten, bis er seine Frau Hadeel am Flughafen in den Arm nehmen und seinen beiden Jungs über den Kopf streicheln könnte. Doch Koulis Geschichte ist kein Kinofilm, das Happy-End nicht garantiert. Kouli ist ein Flüchtling aus Syrien, der Anfang Juni in Deutschland angekommen ist. Wann, ob er seine Familie nach Deutschland holen kann, weiß er nicht.

Es ist ein sonniger Nachmittag Anfang Oktober. Kouli sitzt in einem Restaurant in Berlin-Charlottenburg und blickt auf sein Handy. Auf dem Display ist ein etwas pixeliges Bild seiner Frau zu sehen. Die schlanke Gestalt in dem schwarzen Gewand auf dem Foto sitzt ebenfalls in einem Restaurant - allerdings in Aleppo, der Stadt in Syrien, die wie keine zweite umkämpft ist. "Sie sind nicht sicher dort", sagt Kouli. Für einen Augenblick gelingt es Kouli trotzdem, nicht an die Gefahr zu denken, der seine Frau gerade ausgesetzt ist.

Hadeel Kouli harrt mit ihren beiden Söhnen noch in Aleppo aus.

Hadeel Kouli harrt mit ihren beiden Söhnen noch in Aleppo aus.

"Es war Liebe auf den ersten Blick", sagt der 38-Jährige, während er sich das Bild noch einmal anschaut. Kouli lernte Hadeel vor mehr als zehn Jahren an der Universität kennen. Beide studierten mit dem Ziel, Englischlehrer zu werden. Weil die Eltern der beiden ausgesprochen traditionsbewusst waren, mussten sie ihre Beziehung bis zu Hochzeit geheim halten.

Kouli nippt an seinem Glas Orangensaft, dann erzählt er vom Fest. In Syrien befinden sich männliche und weibliche Gäste in getrennten Räumen. Nur der Bräutigam darf die Feier der Frauen besuchen. Kouli grinst kurz beim Gedanken daran. Kurz darauf sagt er ernst: "Hadeel war die Schönste von allen."

Deutsche Botschaften sind überlastet

Allein traue sich seine Frau nicht, Syrien zu verlassen, sagt Kouli. "Ich muss sie da rausbekommen." Mit jedem Tag in Deutschland stellt er aber fest, dass das nicht so einfach ist, wie er es sich vorstellte, als er seine Familie vor sechs Monaten zurückließ, um ihnen die Todesangst auf dem Mittelmeer und die Prügel in Ungarn zu ersparen.

"Meine Straße besteht nur noch aus Ruinen", sagt Rami Kouli.

"Meine Straße besteht nur noch aus Ruinen", sagt Rami Kouli.

Kouli dachte, er würde höchstens ein paar Wochen auf einen Aufenthaltstitel, die Anerkennung als Kriegsflüchtling, warten müssen. Dann, so sein Plan, wäre er zurück nach Aleppo gegangen, um seine Familie in die Türkei zu bringen. Dort hätten sie in Sicherheit darauf warten können, bis sie ein Visum für den Familiennachzug nach Deutschland bekommen. Bei der sogenannten Kernfamilie, Ehepartner und Kinder, ist das in der Theorie kein Problem. Einen Termin bei der deutschen Botschaft in Ankara hat die Familie Kouli schon. Erst hieß es Oktober 2016. Nun soll es im Januar soweit sein.

Aus ein paar Wochen warten sind mittlerweile vier Monate geworden. Kouli hat immer noch keinen Aufenthaltstitel, der die Voraussetzung für einen Familiennachzug ist. Weitere Bedingungen sind ausreichend Wohnraum und Einkünfte für die Familie.  

In Syrien arbeitete Kouli an einer Abendschule als Englischlehrer und tagsüber als Verkaufsleiter für den Telekommunikationsriesen MTN. Er wohnte im eigenen Haus. Jetzt hat er einige Angebote in der Gastronomie, darf sie aber nicht annehmen, weil er als Flüchtling noch nicht anerkannt ist. Er lebt von Erspartem, Zahlungen der Behörden und im Arbeits- und Wäschezimmer einer hilfsbereiten Familie im Berliner Stadtteil Neukölln. "Ich will arbeiten, ich will mich in diese Gesellschaft integrieren", sagt er. Doch das hilft ihm jetzt nichts.

Deutschlands kalte Schulter

An einem kühlen Vormittag im Oktober tapst Kouli durch die Dunkelheit. Es ist gerade 6 Uhr. Wie Hunderte andere will er ins Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), um Geld abzuholen. Kouli macht den vierten Versuch in vier Tagen. Das Amt ist angesichts der großen Zahl der Flüchtlinge vollkommen überfordert. "Es ist eine Tortur", sagt Kouli. Nicht nur, weil er friert. Kouli ahnt, dass auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das seinen Asylantrag bearbeitet, ähnlich überlastet sein dürfte. Koulis Geschichte erinnert eher an eine Erzählung von Franz Kafka als an einen Hollywoodstreifen. Er droht an einer undurchschaubaren Bürokratie zugrunde zu gehen.

Kouli blickt sich um, sieht all die Menschen, die vor ihm in der Schlange vorm Lageso stehen. Viele dürften ähnliche Sorgen haben wie er. "Ich hatte so ein positives Bild von Deutschland", sagt Kouli. "Es ist ein bisschen so, wie frisch verliebt zu sein, ohne zu wissen, ob man zurückgeliebt wird." Kouli deutet auf das schmuddelige Lageso-Gebäude und sagt: "Hier zeigt Deutschland sich von seiner grauen Seite."

Vom Vorschlag der CSU hat er da noch gar nichts gehört. Die Partei, die sonst so vehement für die Institution Ehe kämpft, erwägt ein Moratorium für Familienzusammenführungen. In der CDU mehren sich ebenfalls Stimmen, die fordern, den Familiennachzug zu begrenzen, um die Lage in Deutschland wieder unter Kontrolle bringen zu können. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte kürzlich: "Die, die jetzt als Flüchtlinge kommen, kriegen Familiennachzug nur dann, wenn sie in einigen Jahren so integriert sind, dass sie keine Sozialleistungen brauchen."

Kouli wendet den Blick vom Lageso ab, dreht sich um. "Das hat doch kein Sinn, sich anzustellen", sagt er. "Wenn es keine Hoffnung gibt, bald einen Aufenthaltstitel zu bekommen, gehe ich lieber zurück nach Syrien", sagt er. "Meine Familie ist nicht sicher. Wenn ich sie nicht in Deutschland schützen kann, muss ich es in Syrien tun." Kouli erkundigte sich mehrmals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wie lange er noch warten muss, bis er als Flüchtling anerkannt wird. Die Mitarbeiter baten ihn um Geduld.

Quelle: ntv.de

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