Ökopartei streitet um Doppelspitze Kretschmann triezt "Schönwetter"-Grüne
20.04.2016, 16:44 Uhr
"Gegen diese Doppelspitzen habe ich nun 30 Jahre lang gekämpft, mit mäßigem Erfolg"
(Foto: dpa)
Für linke Grüne wäre es ein fatales Signal, auf die Doppelspitze der Partei zu verzichten. Selbst Winfried Kretschmann, der beliebteste Politiker Deutschlands, wird an ihrem Widerstand scheitern.
Die Grünen nennen auf ihrer Webseite "fünf Dinge, an denen du merkst, dass du bei den Grünen bist." Punkt eins: "Wenn für dich Gutmensch kein Schimpfwort ist." Punkt zwei: "Wenn für dich Bürstenschnitt der Frisurentrend 2016 ist." Wie bitte?
Die Sache mit dem Bürstenschnitt erklärt sich bei einem Blick auf das dazugehörige Foto. Zu sehen ist Winfried Kretschmann, der erste grüne Ministerpräsident, der bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg gerade ein überdeutliches Mandat für eine zweite Amtszeit bekommen hat. Laut dem Umfrageinstitut Forschungsgruppe Wahlen ist Kretschmann derzeit der beliebteste Politiker des Landes. Sein Wort wiegt schwer in der Ökopartei.
Ausgerechnet er stößt nun eine heikle Debatte an, eine Debatte, die zeigt, wie tief die Kluft zwischen den beiden Lagern der Partei noch immer ist.
Als "Schönwetterveranstaltung" beschreibt der Ministerpräsident in der "Süddeutschen Zeitung" die Pläne der Grünen, 2017 wieder mit einer doppelten Doppelspitze in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Indirekt nennt er sie in Tagen zunehmender Personalisierung gar unzeitgemäß.
Die Grünen setzen seit jeher auf einen männlichen und einen weiblichen Spitzenkandidaten sowie auf eine männliche und eine weibliche Person an der Parteispitze. So sieht es auch die Satzung der Grünen vor.
"Gegen diese Doppelspitzen habe ich nun 30 Jahre lang gekämpft, mit mäßigem Erfolg", so Kretschmann. Ursprünglich feministisch motiviert, gehe es mittlerweile immer auch um das Kräfteverhältnis der beiden grünen Flügel, der Realos und der Linken. "Nur, in der Politik muss man sich für den einen oder anderen Weg entscheiden, das ist doch auch eine Erfahrung aus den Landtagswahlen."
Schwerfällige Männer
Was Kretschmann da formuliert, ist vor allem eine pragmatische Sicht der Dinge. Die spontanen Reaktionen vieler linker Grüner legen dagegen nahe, dass es ihnen bei der Frage der Doppelspitze aber eben nicht um das nächste Wahlergebnis geht.
Als erstes meldete sich die linke Parteichefin Simone Peter bei Twitter zu Wort: "In Doppelspitzen muss man lernen, Macht zu teilen. Das fällt Männern bis heute schwer. Und genau deswegen halten wir daran weiter fest."
Der linke Finanzpolitiker der Grünen, Gerhard Schick, sagte n-tv.de: "Wenn ich in der Finanzbranche unterwegs bin oder auch die Frauenquote in Ministerien und bei Landräten anschaue, habe ich nicht den Eindruck, dass in Sachen Gleichstellung schon alles erreicht wäre." Auch Schick spricht sich mit Blick auf die Gleichberechtigung für den Erhalt der Doppelspitze aus.
Die grüne Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge nennt Kretschmanns Vorstoß auf Anfrage von n-tv.de "absolut falsch" und wirft wiederum seiner Argumentation vor, unzeitgemäß zu sein. "Der einsame Wolf an der Spitze ist für mich von gestern. Ein modernes Konzept von Führung versteht, dass man Verantwortung teilt, um bessere Ergebnisse zu erzielen." Die Bereitschaft, sich zu besprechen, voneinander zu lernen, sei bedeutsam für kluge Entscheidungen. Und auch sie fügt hinzu, dass die Frauenquote weiterhin notwendig sei.
Kretschmanns Äußerungen befeuern den Urstreit der Partei – den Streit zwischen Pragmatikern und Idealisten, zwischen Verantwortungsethikern und Gesinnungsethikern, Realos und Linken. Und dass Kretschmann und seine Unterstützer den Linken vorwerfen, nicht wegen der Gleichberechtigung, sondern ihres Einflusses in der Partei für die Doppelspitze zu stehen, dürfte die Fronten eher weiter verhärten. Denn die Realos sind in einer ausgesprochen komfortablen Lage, wenn es darum geht, vom Überwinden des Lagerdenkens zu sprechen und Führungsfragen zu stellen.
Der Flügel Kretschmanns hat in den vergangenen Jahren deutlich an Einfluss gewonnen und dominiert die Partei. Das zeigt sich schon daran, wer für den Posten des Spitzenkandidaten zur Verfügung steht. Bisher haben sich vier Grüne um das Amt beworben - die Realos Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir und Robert Habeck. Dem einzigen linken Kandidaten, Anton Hofreiter, werden praktisch keine Chancen auf den Posten zugetraut.
Für die Abschaffung der Doppelspitze gibt es keine Mehrheit
Dass seine Äußerungen heftige Reaktionen provozieren würden, muss Kretschmann klar gewesen sein, als er das Interview autorisierte. Im vergangenen Sommer sagte Parteichef Özdemir: "Die doppelte Doppelspitze der Grünen macht es nicht leichter, personelles Profil zu gewinnen und Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner zuzuspitzen." Es gab Rücktrittsforderungen.
Ist Kretschmanns Vorstoß eine Machtdemonstration? Wohl kaum. Kretschmann äußerte sich wahrscheinlich vor allem zur Doppelspitze, weil er im Interview explizit danach gefragt wurde. Denn dass er sich mit seiner Forderung nach einer schlankeren Spitze durchsetzt, glaubt trotz seiner immensen Popularität selbst er nicht. "In manchen Dingen muss man als Politiker auch mal resignieren."
Eine Abschaffung der Doppelspitze setzt eine Satzungsänderung voraus. Die braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die trotz der Stärke der Realos schlicht nicht da ist. Die Grünen haben sich schließlich erst bei ihrem Parteitag im November für eine Urwahl samt Doppelspitze ausgesprochen.
Und so ist es kein Wunder, dass sich vor allem Kerstin Andreae bemühte, den aufkommenden Konflikt in der Partei einzudämmen. Sie gehört nicht nur dem Realoflügel, sondern auch demselben Landesverband wie Kretschmann an. "Die Doppelspitze hat bei uns Grünen eine alte Tradition, und daran sollten wir nicht rütteln", so Andreae zu n-tv.de. Laut der Bundestagsabgeordneten reiche es aber völlig, wenn es zwischen Parteiführung und Wahlkampfführung eine Quotierung gebe, statt wie derzeit zwei. Also eine Spitzenkandidatin und einen Parteichef oder eben einen Spitzenkandidaten und eine Parteichefin. Genauso ist Kretschmanns Landesverband in den Wahlkampf gezogen und so wird Kretschmann es auch in seinem Interview mit der "Süddeutschen" gemeint haben, als er sagte, dass ein "Quartett" eine "Schönwetterveranstaltung" sei. Neben Baden-Württemberg haben sich auch die meisten anderen Bundesländer längst von der doppelten Doppelspitze verabschiedet. Dass die Aufregung trotzdem so groß ist, macht nur deutlich, wie angespannt die Lage zwischen den grünen Lagern vor allem auf Bundesebene mitunter ist.
Quelle: ntv.de