Politik

Künstlich erzeugter "Blitzkrieg" Lukaschenko erklärt Proteste für beendet

"Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen" will Lukaschenko die Macht abgeben.

"Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen" will Lukaschenko die Macht abgeben.

(Foto: picture alliance/dpa/POOL BelTa/AP)

Seit August protestieren die Belarussen gegen ihren autoritären Staatschef. Der sieht sich einem vom Ausland aus geführten "Blitzkrieg" ausgesetzt, den er nun gewonnen habe. Komplett falsch ist das nicht: Die zwischenzeitlich starke Widerstandsbewegung scheint tatsächlich zu versanden.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat die monatelangen Massenproteste gegen seine Wiederwahl als einen angeblich vom Ausland geführten "Blitzkrieg" bezeichnet, der aber gescheitert sei. Belarus habe "einen der grausamsten Angriffe von Außen" erlitten, sagte Lukaschenko in Minsk. Der autoritär regierende Staatschef äußerte sich zudem zu einer in Aussicht gestellten Verfassungsreform und nannte Bedingungen für einen Machtverzicht.

Mit martialischen Worten richtete sich der seit mehr als einem Vierteljahrhundert regierende Lukaschenko bei der Eröffnung des Allbelarussischen Volkskongresses an die regierungstreuen Delegierten aus allen Teilen des Landes: Der "Blitzkrieg hatte keinen Erfolg, wir haben unser Land gehalten". Die "gesellschaftlichen Spannungen" in Belarus seien von "externen Mächten künstlich erzeugt" worden, sagte Lukaschenko weiter. Doch das Land habe dies "überlebt" und werde "durchhalten, egal was passiert". Seine Getreuen rief der Langzeit-Machthaber auf, "um jeden Preis Widerstand zu leisten". Das Jahr 2021 werde "entscheidend" sein: "Sehr mächtige Kräfte sind beteiligt, und sie können es sich nicht leisten, diesen Krieg zu verlieren."

Lukaschenkos offiziell verkündete Wiederwahl im August hatte in der früheren Sowjetrepublik Massenproteste ausgelöst. Die Opposition wirft dem seit 1994 regierenden Staatschef massiven Wahlbetrug vor. Tausende Demonstranten wurden bei den Protesten festgenommen und teilweise in der Haft gefoltert. Viele Oppositionspolitiker flohen ins Ausland. Wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten verhängte die EU Sanktionen gegen den belarussischen Präsidenten und seine Vertrauten.

"Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen"

Es werde eines Tages zwar ein Belarus ohne ihn geben, erklärte Lukaschenko. Aber: "Verstehen Sie, nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen." Die 2700 handverlesenen Delegierten im Saal bejubelten Lukaschenko nach rund vierstündiger Rede im Stehen. Zum Auftakt des zweitägigen Kongresses kündigte Lukaschenko außerdem eine neue Verfassung mit weniger Vollmachten für den Präsidenten an. Von ursprünglichen Andeutungen, über die Verfassungsänderung könnte bereits die Volksversammlung abstimmen, war schon lange keine Rede mehr gewesen. Stattdessen erklärte Lukaschenko nun, das Volk solle Anfang 2022 abstimmen.

Zu Reformen gedrängt worden war Lukaschenko immer wieder vom Nachbarn Russland, von dessen Milliardenkrediten das verarmte Belarus wirtschaftlich abhängig ist. Experten bezweifeln aber, dass es dadurch echte Veränderungen geben wird. Bei der Versammlung sollte auch ein neuer Fünfjahresplan beschlossen werden.

Während er sprach, veröffentlichte Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja eine Liste inhaftierter politischer Gefangener. Die Delegierten, die Lukaschenko - dicht gedrängt und größtenteils ohne Corona-Schutzmasken - zunickten und applaudierten, sollten offenbar auch darüber hinwegtäuschen, dass der Machthaber seit der Wahl am 9. August in einer schweren innenpolitischen Krise steckt. Unter anderem die EU hält die Wahl für gefälscht und erkennt Lukaschenko nicht mehr als Präsidenten an. Es wurden Sanktionen verhängt, kürzlich wurde Belarus außerdem die Austragung der Eishockey-Weltmeisterschaft entzogen.

Deutschland will politisch Verfolgte aufnehmen

Bei monatelang andauernden Massenprotesten waren zu Spitzenzeiten Hunderttausende Belarussen auf die Straßen gegangen, um gegen Lukaschenko und für Tichanowskaja zu demonstrieren, die sie für die wahre Siegerin der Wahl halten. Sicherheitskräfte gingen oft gewaltsam gegen die Menschen vor, es gab mehr als 30.000 Festnahmen, Hunderte Verletzte und mehrere Tote.

Mittlerweile sind die Proteste stark abgeflaut und viele bezweifeln, dass es gelingen wird, sie noch einmal in vergleichbarem Ausmaß zu entfachen. "Viele junge und aktive Leute haben inzwischen das Land verlassen", sagt etwa der Minsker Politologe Waleri Karbelewitsch. Dass Tichanowskaja und Ex-Kulturminister Pawel Latuschko - beide mittlerweile ins Ausland geflüchtet - kürzlich zwei verschiedene Strategien vorgelegt haben, um Lukaschenko doch noch zu stürzen, dürfte dabei kaum helfen. Kommentatoren bemängeln die fehlende Schlagkraft einer gespaltenen Opposition.

Derweil kündigte die Bundesregierung an, bis zu 50 politisch Verfolgte aus Belarus aufnehmen. Die Menschen sollen "zeitnah" einreisen dürfen, hieß es in einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Frage des grünen Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin. Die Aufnahme gelte für die Oppositionellen sowie deren Kernfamilien.

Bei der Zahl der Aufzunehmenden handele sich aber nicht um eine formale Obergrenze. Geprüft werde jeder Einzelfall, hieß es in dem Schreiben weiter. Angesichts des Ausmaßes der Repressionen in Belarus könne die Zahl 50 "zu kurz greifen", sagte Sarrazin der "SZ". Sollte sich zeigen, dass mehr Menschen Schutz brauchen, erwarte er, dass die Bundesregierung die Zahl anpasse.

Quelle: ntv.de, lwe/AFP/dpa

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