Politik

50.000 Schwule nach '45 verurteilt Maas will Homosexuelle rehabilitieren

Die Regenbogenflagge über Berlin: lange Zeit undenkbar.

Die Regenbogenflagge über Berlin: lange Zeit undenkbar.

(Foto: picture alliance / dpa)

Zehntausende Deutsche sind nach 1945 wegen ihrer Homosexualität bestraft worden. Das will die Bundesregierung wiedergutmachen: Die Ehre der Justizopfer soll wieder hergestellt werden, Entschädigungen sind geplant. Ein neues Gutachten macht es möglich.

Bundesjustizminister Heiko Maas will einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung von Menschen einleiten, die wegen ihrer sexuellen Neigung verurteilt wurden. Das kündigte er in Berlin an. Anlass ist ein am Vormittag veröffentlichtes Rechtsgutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, wonach die Aufhebung der auf Grundlage des früheren Strafrechts-Paragrafen 175 gefällten Urteile rechtlich zulässig ist.

"Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs war von Anfang an verfassungswidrig. Die alten Urteile sind Unrecht. Sie verletzen jeden Verurteilten zutiefst in seiner Menschenwürde", erklärte dazu Maas. "Diese Schandtaten des Rechtsstaats werden wir niemals wieder ganz beseitigen können, aber wir wollen die Opfer rehabilitieren." Der Staat habe hier Schuld auf sich geladen. "Es wird Zeit, dass das Unrecht beseitigt wird", erklärte auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig.

Peinliche Einzelfallprüfung soll entfallen

Der Münchner Staatsrechtler Martin Burgi kommt in dem Gutachten für die Antidiskriminierungsstelle zu dem Schluss, dass eine Aufhebung der Urteile zulässig und sogar verfassungsrechtlich geboten sei. Empfohlen wird eine kollektive Rehabilitierung durch ein Aufhebungsgesetz. Damit würde den Opfern eine oft entwürdigende Einzelfallprüfung erspart. Das Gutachten empfiehlt auch eine kollektive Entschädigungsleistung in Form eines Fonds. Dieser könne beispielsweise von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld verwaltet werden, die sich gegen Diskriminierungen Homosexueller wendet.

"Es ist Zeit, die Urteile aufzuheben", erklärte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders. Das Gutachten arbeite erstmals ausdrücklich heraus, "dass der Gesetzgeber die Opfer der Strafverfolgung nicht nur rehabilitieren kann, sondern sogar muss". Diese seien "durch Verfolgung und Verurteilung im Kernbestand ihrer Menschenwürde verletzt worden".

Haftstrafen, Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit

Insgesamt wurden in Deutschland seit 1945 nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle mehr als 50.000 Männer auf Grundlage des schwulenfeindlichen Paragrafen 175 verfolgt und zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Zudem verloren sie oft Arbeitsplatz und Wohnung und erlitten soziale Ausgrenzung.

Homosexuelle Handlungen waren bei Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 mit dem Paragrafen 175 unter Strafe gestellt worden. In der NS-Zeit wurden die Vorschriften noch einmal verschärft und in dieser Form später in bundesdeutsches Recht übernommen. 1994 wurde der Paragraf 175 endgültig abgeschafft, in der DDR erfolgte dieser Schritt bereits 1968. In der NS-Zeit ergangene Urteile gegen Homosexuelle wurden 2002 aufgehoben, Urteile aus der Zeit danach jedoch nicht.

Merkel-Sprecherin bleibt zurückhaltend

"Die Rehabilitierung der nach Paragraf 175 verurteilten homosexuellen Männer ist staatliche Pflicht", erklärte der Schwulen- und Lesbenverband (LSVD). Bundesregierung und Bundestag müssten dies noch in dieser Legislaturperiode umsetzen.

"Eine Aufhebung der Unrechtsurteile ist überfällig", erklärte auch der Grünen-Politiker Volker Beck. Ähnlich äußerten sich der SPD-Politiker Ansgar Dittmar und der CDU-Rechtsexperte Jan Marco Luczak. Zurückhaltend äußerte sich Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz auf die Frage, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel den Schritt befürworte. Zunächst solle die Ausgestaltung des von Maas angekündigten Gesetzentwurfs abgewartet werden, sagte Wirtz.

Quelle: ntv.de, shu/AFP

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