"Freuen Sie sich doch mit mir" Merkel feiert ihre Regierungszeit
05.09.2017, 10:45 Uhr
Zum letzten Mal vor der Bundestagswahl kommt das alte Parlament zusammen. Merkel betont in ihrer Rede die eigenen Erfolge. Zwischenrufe der SPD nimmt die Kanzlerin gar nicht erst ernst und richtet ihre Attacken lieber gegen die türkische Regierung.
In der letzten Sitzung des scheidenden Bundestages hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine selbstbewusste Bilanz ihrer Regierungsarbeit gezogen. Die vergangenen vier Jahre seien dadurch gekennzeichnet gewesen, dass der Wirtschaftsmotor nicht mehr der Export sei, sondern die Binnennachfrage, sagte Merkel.
Auf Zwischenrufe von der Bank der SPD entgegnete Merkel, der Koalitionspartner solle sich doch lieber gemeinsam mit ihr darüber freuen, "dass Sie hier etwas geschafft haben". Sie wisse gar nicht, was die SPD habe und "außerdem sind Sie doch nachher hier auch noch dran". Merkel zeigte sich dabei ungewohnt fröhlich und kämpferisch, auch als sie später SPD-Generalsekretär Hubertus Heil für dessen Zwischenrufe rüffelte.
Für einen ganz kurzen Augenblick wähnte sich die Opposition dennoch im Glück. "So, meine Damen und Herren, jetzt möchte ich nur noch kurz darauf hinweisen, weil meine Zeit auch so gut wie vorbei ist...", sagte. Johlen und Gelächter in den Reihen von SPD, Linken und Grünen. "Ja, meine Redezeit hier", schob Merkel nach, als ihr die Doppeldeutigkeit bewusst geworden war. Sie schaute kopfschüttelnd ins Plenum und amüsierte sich über die Zwischenrufer: "Mein Gott, wie weit sind wir jetzt eigentlich schon gekommen. Leute kommt, es sind noch wenige Tage bis zur Wahl!"
Warnung vor dem Technikmuseum
Merkel betonte die gute Wirtschaftslage, dennoch gebe es große Herausforderungen für die Zukunft der Industrienation Deutschland. "Wir dürfen uns auf diesen Erfolgen keinesfalls ausruhen", sagte die CDU-Vorsitzende. Jetzt gelte es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Deutschland auch in 15 Jahren wirtschaftlich erfolgreich und sozial gerecht sei.
Wie im Brennglas zeigten sich die Herausforderungen in der Autoindustrie, sagte Merkel. Es würden noch auf Jahrzehnte Verbrennungsmotoren gebraucht, zugleich müsse aber der Weg hin zu neuen Antriebstechnologien gegangen werden. Zum Thema Digitalisierung sagte Merkel: "Wir wollen nicht im Technikmuseum enden mit Deutschland."
Außenpolitisch betonte die Kanzlerin eher die Einigkeit mit der SPD, indem sie immer wieder erwähnte, dass sie sich mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel abgestimmt habe. "Die Tatsache dass Nordkorea eine gewisse Entfernung zu uns hat, sollte uns nicht davon abhalten, uns für eine friedliche Lösung einzusetzen", sagte Merkel. Europa verfüge über eine starke Stimme in der Welt.
Merkel will deutsche Staatsbürger frei bekommen
Die Entwicklung in der Türkei nannte Merkel "besorgniserregend". Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan verlasse das Land "immer mehr den Boden der Rechtsstaatlichkeit". Dies gebe Anlass über eine "Neuordnung der Beziehungen nachzudenken". Merkel sagte: "Wir haben die estnische Präsidentschaft gebeten, keine Verhandlungen über eine Erweiterung der Zollunion auf die Tagesordnung zu setzen."
Im Oktober wolle sie dann mit den anderen EU-Staats- und Regierungschefs darüber sprechen, ob die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei suspendieren oder ganz beenden solle. Nach ihren Angaben befinden sich derzeit 12 oder 13 deutsche Staatsbürger in türkischen Gefängnissen. "Wir sollten alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um diese Menschen, die unschuldig in Haft sitzen nach unserer Überzeugung, freizukriegen", sagte Merkel und erwähnte unter anderem den "Welt"-Journalisten Deniz Yücel und den Menschenrechtler Peter Steudtner.
Die Linksfraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht warf in ihrer Antwort als Oppositionsführerin Merkel einen "Schönwetter-Wohlfühlwahlkampf" vor. Es sei empörend, dass sich die Kanzlerin einer demokratischen Debatte über die Lösung der drängenden sozialen Problemen verweigere, sagte Wagenknecht. Der Anteil derer, die trotz Arbeit ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle beziehen, habe sich während Merkels Amtszeit verdoppelt. Allerdings habe es auch die SPD versäumt, ein glaubwürdiges Alternativangebot zum "Weiter-So-Wahlkampf" der Kanzlerin zu unterbreiten.
Quelle: ntv.de, shu/dpa