"Müssen Schritt für Schritt vorgehen" Merkel lässt Seehofers Attacke kalt
27.10.2015, 16:40 Uhr
Die Flüchtlingskrise entzweit die Parteichefs Merkel und Seehofer.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bayerns Ministerpräsident poltert weiter gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Kanzlerin Merkel stellt er sogar ein Ultimatum. Die reagiert gelassen - auch was Seehofers Attacken auf Österreich angeht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die ultimative Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer nach einem Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik zurückgewiesen. "Wir können den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen, sondern müssen Schritt für Schritt vorgehen", sagte Merkel in Berlin. Die Kanzlerin und CDU-Chefin verwies auf die jüngsten europäischen Beschlüsse zum Umgang mit der Flüchtlingskrise: "Wir haben eine enge Zusammenarbeit auf der Balkanroute verabredet und Maßnahmen zur Verbesserung der organisatorischen Abläufe."
Seehofer hatte Merkel zuvor aufgefordert, bis zum 1. November bayerische Forderungen nach einer Begrenzung des Flüchtlingszuzugs umzusetzen; andernfalls behalte Bayern es sich vor, auf eigene Faust zu handeln. Auf Nachfrage wollte Seehofer ausdrücklich nicht ausschließen, dass Bayern die Grenze nach Österreich dicht machen oder Flüchtlinge unabgesprochen in andere deutsche Bundesländer weitertransportieren könne. Der CSU-Chef brachte erneut "bayerische Notwehr" ins Spiel: Sollte die Bundesregierung seine Position nicht übernehmen, "müssen wir überlegen, welche Handlungsoptionen wir haben".
Unterstützung gegen Seehofers Kritik bekam Merkel von CDU-Vizechefin Julia Klöckner. "Mit Ultimaten kommen wir nicht viel weiter", sagte sie im Deutschlandfunk. Auf Seehofers Vorgehen angesprochen riet Klöckner: "Man muss einen kühlen Kopf bewahren."
"Bei den Ursachen ansetzen"
Mit Blick auf Seehofers Äußerung bezeichnete Merkel den 1. November als "interessanten Tag" - allerdings wegen der Wahl in der Türkei, die für dieses Datum geplant ist. Nach dieser Wahl könne dann der europäisch-türkische Aktionsplan zur Flüchtlingskrise umgesetzt werden, sagte die Kanzlerin. "Wir müssen bei den Ursachen ansetzen."
Merkel ließ auch Seehofers Aufforderung abprallen, umgehend mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann über eine Begrenzung der Weiterreise von Flüchtlingen aus Österreich nach Bayern zu sprechen. Sie pflege "konstante Kontakte" nach Österreich, sagte sie. "Heute schon wieder, morgen und übermorgen auch". Dies sei "die Normalität unseres Handelns".
Der österreichische Kanzleramtsminister Josef Ostermeyer hatte bereits zuvor darauf verwiesen, dass Faymann in "engstem Kontakt" mit Merkel stehe. Auf Ebene der Mitarbeiter in beiden Kanzlerämtern werde mehrmals täglich kommuniziert, meldete die Nachrichtenagentur APA unter Berufung auf Angaben aus Wien.
11.154 illegale Migranten aufgegriffen
Seit Anfang September kamen nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann mindestens 318.000 Menschen in den Freistaat. Das sei die Zahl der Flüchtlinge, die von der bayerischen Polizei und der Bundespolizei gezählt worden sei. Dabei verschärfte sich die Flüchtlingssituation an der deutsch-österreichischen Grenze zu Wochenbeginn drastisch. Am Montag wurden nach Angaben der Bundespolizei 11.154 illegale Migranten an der Grenze aufgegriffen. Grund für die Zunahme sei, dass die österreichischen Behörden zunehmend Flüchtlinge unkoordiniert an die Grenze brächten.
Bayern will bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aufs Tempo drücken. Die Zuständigkeiten sollen schrittweise von den Landkreisen auf die Bezirksregierungen übertragen werden, um die Verfahren zu bündeln und zu beschleunigen, entschied das Kabinett in München. Dazu sollen 750 Stellen bei den Ausländerbehörden der Bezirksregierungen geschaffen werden.
Deutschland schickt angesichts des großen Flüchtlingsandrangs auf der Westbalkanroute noch in dieser Woche fünf Bundespolizisten nach Slowenien. Das sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Die Beamten sollten helfen bei der "konzeptionellen Vorbereitung des europäischen Polizeieinsatzes". Der Balkanstaat ist mit dem Flüchtlingsansturm an seiner Grenze völlig überfordert.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa/rts