Auf dem Weg in eine bessere EU Merkel muss auf Zeit spielen
20.10.2017, 14:54 Uhr
Frankreichs Präsident Macron prescht mit Ideen für Reformen der EU vor, Kanzlerin Merkel muss wegen der Koalitionsverhandlungen bremsen. Großbritanniens Premierministern May geht es vor allem um die Zukunft ihrer Heimat.
(Foto: AP)
Nach dem Brexit-Schock gibt es in der EU wieder so etwas wie Aufbruchstimmung. Die Gemeinschaft setzt auf Reformen. Kanzlerin Merkel muss wegen der schwierigen Sondierungsgespräche in Berlin allerdings bremsen.
Angela Merkel nickt und kramt den Papierstapel vor sich zusammen. Im Aufstehen begriffen sagt sie: "OK, danke schön, Tschüss." Die Pressekonferenz der Kanzlerin nach dem jüngsten EU-Gipfel endet nach kaum einer halben Stunde recht abrupt. Die CDU-Politikerin steht unter Zeitdruck. Sie muss zurück nach Berlin. Dort soll sie noch am Nachmittag Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen führen - die ersten in großer Runde.
Der Abgang ist bezeichnend, denn er zeigt auch, wie sehr die Regierungsbildung ihre Möglichkeiten einschränkt, in Brüssel zu agieren. Dabei gibt es hier nach dem Brexit-Schock eigentlich wieder so etwas wie Aufbruchstimmung in der Gemeinschaft.
Sinnbildlich dafür stehen die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der auf eine weitreichende Reform der EU setzt. Auch die Zukunftsagenda, die EU-Ratspräsident Donald Tusk für die nächsten Jahre vorgelegt hat, ist so ein Zeichen. Dabei geht es darum, mehr schwierige Fragen auf Chefebene zu klären. Angeblich gab es auf dem Gipfel einmütige Unterstützung für diesen Plan. Doch in einigen Punkten muss Merkel bremsen.
Sie sagt zwar, die "Grundmelodie" sei, dass Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und nach Jahren der Krise Veränderungen angehen wolle. Sie bat zugleich aber um Geduld und "Respekt" vor der Regierungsbildung in Deutschland. "Ich habe darauf verwiesen, dass wir jetzt in Koalitionsverhandlungen sind", so die Kanzlerin. Sie spielte dabei insbesondere auf mögliche Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion an. Die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion ist unter den sehr verschiedenen sondierenden Koalitionspartnern in spe - CDU/CSU, FDP und Grüne - umstritten. Genauso wie die künftige europäische Asylpolitik.
Langer Weg zur Koalition
Laut Merkel ist noch nicht absehbar, bis wann sich alle Seiten auf einen gemeinsamen Kurs einigen würden und Deutschland diesen auch in der EU vertreten könnte. Sie versicherte nur, dass die bisherigen Schlussfolgerungen des Gipfels keine Gefahr für die Regierungsbildung darstellten. Die seien "heute so allgemein, dass sich dagegen natürlich niemand wenden wird". Am Donnerstag und diesem Freitag hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf eine Reihe von Schritten geeinigt:
- Eine Kürzung der sogenannten Vorbeitrittshilfen für die Türkei, weil diese sich zusehends von Rechtstaatlichkeit entfernt und nach Ansicht etlicher Regierungschefs politische Gefangene genommen hat.
- Eine Strategie zum Stopp der Fluchtbewegungen über die zentrale Mittelmeerroute, die eine stärkere Unterstützung Italiens und eine engere Kooperation mit Libyen einschließt.
- Ein Festhalten am Atomabkommen mit dem Iran. Die USA unter US-Präsident Donald Trump wenden sich davon ab.
- Eine Androhung weiterer Sanktionen für Nordkorea und zugleich besänftigende Töne in Richtung Washington. Die USA setzen eher auf einen Konfrontationskurs.
- Ein Nein zum sofortigen Einstieg in Phase zwei der Brexitverhandlungen. Großbritannien ist den anderen Mitgliedsstaaten in den Augen der Staats- und Regierungschefs noch nicht weit genug entgegengekommen, um ernsthaft über die künftigen Beziehungen der Königreichs zur EU zu verhandeln. Intern sollen aber bereits Vorbereitungen für diese Phase beginnen.
Wann die Bundesrepublik bei möglichen Reformen der EU wieder beherzter voranschreiten kann, ist unklar. Union, FDP und Grüne haben sich auf einen Fahrplan für die weiteren Sondierungsgespräche geeinigt. Sie wollen sich am Dienstag und Donnerstag nächster Woche, am 30. Oktober sowie am 1. und 2. November treffen. Danach dürfte es eine weitere Runde der Sondierungsgespräche geben. Bis eine Koalition steht, könnte es aber auch dann noch ein weiter Weg sein. Die Grünen zum Beispiel wollen dann auf einem Parteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden. Und steht ein Koalitionsvertrag, ist nicht nur bei der Ökopartei eine Abstimmung der Mitglieder über die Vereinbarungen geplant, sondern auch bei CDU und FDP. Ob all das noch in diesem Jahr zu stemmen ist, ist ungewiss.
Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP