Stühlerücken in Mainz Ministerpräsidentin Dreyer räumt auf
05.11.2014, 07:20 Uhr
Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, lässt ihr Kabinett umfassend umbilden.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer greift durch: Es ist der Versuch, die SPD von den langen Schatten der Nürburgring-Affäre zu befreien. Der CDU geht der überraschend konsequente Schritt noch nicht weit genug.
Ihr Nein hat genau drei Wochen Bestand: Lehnte Ministerpräsidentin Malu Dreyer die Forderungen der CDU nach dem Rücktritt zweier SPD-Minister wegen des Nürburgring-Debakels vor kurzem noch ab, überrascht die rheinland-pfälzische Regierungschefin nun mit dem Plan einer viel größeren Kabinettsumbildung. Oppositionschefin Julia Klöckner von der CDU spricht prompt von Schicksalstagen fürs Land. Für Dreyer dürfte es der Versuch eines Befreiungsschlags sein nach langen Debatten über das Millionengrab Nürburgring. Die Zeit läuft bis zur Landtagswahl 2016.
Ernste Gesichter am Dienstagmorgen in Mainz, als das Kabinett tagt. Die Runde lässt die geladenen Gäste vom Beamtenbund fast eine halbe Stunde warten. Es gibt viel zu besprechen hinter verschlossenen Türen, denn einige werden wohl ihre Jobs verlieren. Finanzminister Carsten Kühl und SPD-Fraktionschef Hendrik Hering sind im Gespräch. Die Anspannung ist mit Händen zu greifen - auch abends bei einer Krisensitzung von Fraktion und SPD-Landesvorstand. Hering gibt danach seinen Rücktritt bekannt. Er war Wirtschaftsminister unter der SPD-Alleinregierung von Kurt Beck, die den Nürburgring um einen überdimensionierten Freizeitpark erweitern ließ. Sein Rücktritt ist nur der erste, kleine Teil des Personalkarussells.
Schritt mit überraschendem Ausmaß

Das Desaster um den Nürburgring wirft immer noch lange Schatten auf die SPD-geführte Regierung.
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Für das politische Erdbeben könnte es mehrere Auslöser geben, heißt es in Mainz. Erstens die Folgen des zu großen Nürburgring-Ausbaus mit dem Verlust von bis zu einer halben Milliarde Euro Steuergeld. Der Rechnungshof klopfte der früheren SPD-Alleinregierung wiederholt auf die Finger. Mehrere jetzige Minister saßen damals schon am Kabinettstisch, auch Dreyer, die seinerzeit das Sozialressort leitete. Mit den Personalentscheidungen würde Dreyer diejenigen aus dem Amt kippen, die besonders mit dem Nürburgring belastet sind.
Zweitens kommt die Landes-SPD am 15. November zum Parteitag in Mainz zusammen und wählt ihre Spitze neu. Da könnte ein neues Kabinett Aufbruchsstimmung verbreiten, heißt es. Drittens ist in eineinhalb Jahren Landtagswahl. Die Frage ist, ob das noch genug Vorlauf für einen Wahlkampfstart ohne SPD-Altlasten in der rot-grünen Regierung ist.
Es gibt eine weitere Vermutung: Mit der Umbildung entledigt sich die gern lächelnde Landesmutter mit Machtinstinkt auch ihrer Kabinettsmitglieder und Parteifreunde, die in der Kritik standen - wie Justizminister Jochen Hartloff oder Europaministerin Margit Conrad. Hartloff gab indirekt am Abend schon den Rücktritt bekannt. Auch für Insider gilt das Ausmaß der geplanten Kabinettsumbildung als Überraschung. "Wenn, dann richtig", sagt einer.
CDU fordert Neuwahlen
Dreyer will Durchsetzungsvermögen demonstrieren. Vor drei Wochen hatte sie sich so deutlich wie nie zuvor von Vorgänger Beck distanziert, dem das Nürburgring-Desaster hauptsächlich angekreidet wird. Viele Alternativen hatte Dreyer aber nicht. Durchwursteln ohne Konsequenzen wäre vermutlich immer schwieriger geworden, je näher die Landtagswahl rückt. Doch das Personalkarussell birgt auch Risiken: Die Neuen müssten sich erst einmal beweisen, viel Zeit bleibt nicht.
Die CDU will im Heimatland von Altkanzler Helmut Kohl nach bald einem Vierteljahrhundert auf der harten Oppositionsbank endlich wieder zurück auf die gepolsterte Regierungsbank. CDU-Fraktionschefin Klöckner fordert eine Neuwahl schon in einem halben Jahr: "Das ist in dieser ernsten Situation das einzig glaubwürdige Zukunftskonzept für unser Land." Mit Blick auf den früheren langjährigen SPD-Ministerpräsidenten Beck, ergänzt sie: "Aus dem System Beck ist schon ein System Dreyer geworden." Die Regierungschefin ist vermutlich froh, dass sie demnächst einen Termin hat, der mal gar nichts mit dem Nürburgring zu tun hat: eine Privataudienz bei Papst Franziskus im Vatikan.
Quelle: ntv.de, Jens Albes und Oliver von Riegen, dpa