Putins große Feier Moskau putzt sich heraus
08.05.2015, 09:30 Uhr
Die Generalprobe für das große Spektakel: russische Soldaten auf dem Roten Platz.
(Foto: REUTERS)
Russland feiert: 70 Jahre Sieg über Nazi-Deutschland. Zur Vorbereitung der großen Parade scheut Russlands Präsident Putin keinen Aufwand. Das Spektakel ist bis ins letzte Detail durchchoreografiert.
Wer nicht rechtzeitig in Deckung geht, wird nass. Das Kehrfahrzeug, das mit seinem großzügigen Strahl die Moskauer Straßen abspritzt, kennt keine Gnade. Ein Mann, der auf dem Bürgersteig der großen Hauptstraße geht, die unterhalb des Kremls an der Moskwa verläuft, sieht das Fahrzeug zu spät. Zurückweichen ist zwecklos. Ohne das Gesicht zu verziehen, wischt er sich mit der Hand das Wasser aus dem Nacken.
Moskau macht sich schick kurz vor dem großen Tag. Die Russen feiern an diesem Samstag den 70. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland. Es gibt kein Entkommen. Überall hängen Schilder, die die große Parade auf dem Roten Platz ankündigen. Eine Stadt im Ausnahmezustand.
Aber mindestens einem ist gar nicht zum Feiern zumute: Peter. Der Deutsch-Russe, der gerade in einem Taxi sitzt, zeigt mit dem Finger auf eines der vielen verschmutzten Autos. "Wenn man sein Auto hier nicht jeden Tag putzt, sieht es so aus. Diese Stadt ist so dreckig, dass meine Kinder krank geworden sind", sagt er.
Das Taxi fährt jetzt am Weißen Haus vorbei. Peter erinnert sich an 1993, als Panzer auf Befehl des damaligen Präsidenten Boris Jelzin das Parlamentsgebäude unter Beschuss nahmen. Er erzählt von den 90er Jahren, den Jahren des Neuanfangs. "Ich war so stolz damals auf die demokratischen Reformen", schwärmt er. "Aber dann kam dieser Typ, Putin. Ich hasse ihn." Peter ist seine Heimat fremd geworden. Egal, mit wem er spricht, alle schwärmen von Putin. "Die Umfragen stimmen. Egal, wen man anspricht, man bekommt dieselben Antworten. Die spinnen alle." Früher, das erzählt er, sei der 9. Mai für ihn auch ein Feiertag gewesen, jetzt nicht mehr. "Alles nur noch Propaganda."
Überall Schwarz und Orange
Das Taxi passiert breite und aufwändig geschmückte Straßen. Großformatige Leinwände mit opulenten Soldatenbildern zieren den Fahrbahnrand, überall Fahnen in Weiß-Blau-Rot und natürlich in Orange-Schwarz, den Farben des Sankt-Georg-Bandes.
Das Ehrenabzeichen der Roten Armee für den Sieg über Nazi-Deutschland, das auch von den prorussischen Separatisten in der Ostukraine getragen wird, ist in diesen Tagen in Moskau allgegenwärtig. An vielen Straßenecken werden orange-schwarze Bänder verteilt, sie schmücken die Straßen, die grauen Wände in den Metro-Stationen und die Jacken vieler Menschen.
Wem der 9. Mai zu pathetisch, patriotisch, ja anstrengend ist, der kehrt der Stadt über das lange Wochenende den Rücken und sucht Ruhe auf seiner Datscha. Die meisten sind geblieben. Kurz vor der Feier herrscht im und um den Moskauer Kreml Vorfreude. Im Restaurantbereich eines Einkaufszentrums ist Hochbetrieb. Einige Läden verkaufen Putin-Handyhüllen und T-Shirts mit dem oberkörperfrei auf einem Bären reitenden Präsidenten. Vor der Filiale der US-Fastfoodkette KFC ist die längste Warteschlange. An den Tischen davor sitzen Jugendliche, die olivgrüne Baretts mit Sowjetsternen tragen und in Burger beißen. Unter der Decke flimmert bunte Leuchtreklame. Zuerst für die Parade am 9. Mai, dann für das amerikanische Miller-Bier.
Viele, die keine Karten für die Feier bekommen haben, nutzen die Gelegenheit für einen Abstecher in das Herz der russischen Politik. Im Alexandergarten, direkt vor den Toren des Kremls, warten Hunderte mit gezückten Kameras auf den Wachwechsel am Denkmal des unbekannten Soldaten. Am Sonntag wird die deutsche Kanzlerin hier gemeinsam mit Putin einen Kranz niederlegen. An jeder Ecke thronen Porträts von sowjetischen Kriegshelden wie Georgi Schukow, dem früheren Generalstabschef der Roten Armee.
Generalprobe ohne Hauptperson
Der Rote Platz ist schon abgesperrt. Auf ihre Kosten kommen die neugierigen Besucher trotzdem. Alles ist angerichtet für das große Spektakel. Die weiß-blau-roten Tribünen sind aufgestellt. Zwischen dem historischen Museum, dem Lenin-Mausoleum und der bunten Basilius-Kathedrale läuft die Generalprobe. Junge Männer in grünen Uniformen schieben Kulissen auf den Platz, vom Band ertönen Sirenen, auf einer riesigen Leinwand werden historische Filmausschnitte eingeblendet.
In einer Seitenstraße am Edelkaufhaus Gum stehen noch mehr Uniformierte mit blauen Fahnen und warten auf ihren Einsatz. Am Absperrzaun drängeln sich Beobachter. Ein kleiner Junge verfolgt das Treiben von den Schultern seines Vaters mit offenem Mund. Es ist fast alles so, wie es am Samstag im ganzen Land über die Bildschirme flimmern wird - nur mit leeren Rängen und ohne Putin.
Nur einen Steinwurf entfernt, gleich hinter der Basilius-Kathedrale, ist derweil nach wie vor Trauerstätte. Auf einer Fläche von zehn Metern schmücken Blumen den Straßenrand der Großen Steinernen Brücke, dazwischen Bilder des russischen Oppositionellen Boris Nemzow, der hier Ende Februar erschossen wurde. Eine Frau gießt die Blumen mit Wasser, doch die meisten Passanten gehen offenbar unbeeindruckt vorbei - dorthin, wo es in diesen Tagen so viele Moskauer hinzieht.
Trotz Nemzow, der Kritik an der russischen Außenpolitik oder der Absagen vieler Staatschef für die Siegesfeier: Mit Ausnahme von Peter werden die meisten Russen am Wochenende ein rauschendes Fest feiern. Jetzt erst recht, so scheint es. Die Stimmung mag sich niemand verderben lassen. Auch gegen schlechtes Wetter weiß man sich notfalls zu helfen. In der Vergangenheit sprühten Militärflugzeuge vor Moskau Chemikalien in die dunklen Wolken, um zu verhindern, dass in der Hauptstadt am Feiertag jemand im Regen stehen muss. An Samstag dürfte dies nicht nötig sein. Die Vorhersage könnte kaum besser sein: 20 Grad, sonnig, kein Niederschlag.
Quelle: ntv.de