Politik

Mursis innenpolitisches Meisterstück Mubaraks Schatten wird kleiner

Der Zivilist lässt sich nicht beiseite schieben: Mohammed Mursi mit Mohammed Hussein Tantawi (l.) und Sami Anan.

Der Zivilist lässt sich nicht beiseite schieben: Mohammed Mursi mit Mohammed Hussein Tantawi (l.) und Sami Anan.

(Foto: REUTERS)

Ägyptens Präsident Mursi baut nach und nach seine Macht aus. Er degradiert die wichtigsten Militärführer - beide sind langjährige Anhänger des gestürzten Ex-Staatschefs Mubarak - zu Beratern. Mursi vollzieht dabei einen innenpolitischen Spagat. Rückendeckung erfährt er dabei von den USA.

Es ist ein politischer Paukenschlag, mit dem niemand gerechnet hatte: Ägyptens Präsident Mohammed Mursi verstärkt seinen Kampf um die Macht. . Damit nicht genug: Neben dem Juntachef muss auch Generalstabschef Sami Anan seinen Posten aufgeben. Allerdings gehen beide nicht ganz: Mursi will (oder darf?) noch nicht auf die Mitarbeit beider Militärs verzichten. Beraten sollen sie nun den Staatschef, zur Versüßung für den Abgang und die weniger einflussreiche Beraterrolle gibt es den Nil-Orden. Und der Präsident schafft weitere Fakten: Abdel Fattah al-Sisi wird umgehend zum Nachfolger des 76-jährigen Tantawi bestimmt und vereidigt. Es kann nicht schnell genug gehen.    

Nach und nach befreit sich Ägypten von Hosni Mubaraks Erbe.

Nach und nach befreit sich Ägypten von Hosni Mubaraks Erbe.

(Foto: picture alliance / dpa)

Sowohl in Ägypten als auch im Ausland sorgt Mursis Manöver für Überraschung. Von Entmachtung der Armeeführung wird gesprochen, aber auch von einem machtpolitischen Geschäft. Die Wahrheit liegt dazwischen. Zumal Tantawi und Anan - sie sind langjährige Gefolgsleute des gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak - Mursi beim schwierigen Aufbruch hin zu einem neuen Ägypten noch von Nutzen sein sollen. Damit verschwindet Mubaraks Schatten zwar nicht ganz, aber er wird deutlich kleiner.   

Seit eineinhalb Monaten ist Mursi, der aus den Reihen der Muslimbrüder kommt, nun ägyptischer Präsident. Dabei wird deutlich, dass der 61-Jährige, der Ingenieurswissenschaften studiert hat und einen Master in Metallurgie besitzt, hinsichtlich seines Machtwillens, seiner Durchsetzungskraft, aber auch seiner innenpolitischen Geschmeidigkeit unterschätzt wurde.

Dabei standen die Vorzeichen für Mursi denkbar schlecht: Ihm wurde nur eine geringe Chance vorhergesagt, das Amt des Präsidenten mit entsprechender Machtfülle zu versehen. Den Ägyptern stehe ein "Leben in Freiheit und echter Demokratie" bevor, sagte Mursi nach dem Ablegen seines Amtseides am 30. Juni. Wohl nur eine Minderheit des 80-Millionen-Volkes schenkte diesen Worten Glauben, hatte der Militärrat doch kurz zuvor Fakten geschaffen, um den politischen Spielraum des ersten frei gewählten Staatschefs zu beschneiden. So drängte er das Oberste Verfassungsgericht dazu, die Rechtmäßigkeit des von den Muslimbrüdern dominierten Parlaments anzufechten. Zudem setzten Feldmarschall Tantawi und seine Gefolgsleute Verfassungszusätze durch, die die Macht des Präsidenten einschränkten. Diese kassierte Mursi nun ebenfalls.

Es sah ganz danach aus, dass der Staatschef früher oder später Opfer der Kairoer Kabalen oder zumindest ein Präsident, der nach der Pfeife der Militärs zu tanzen habe, würde. Die Tatsache, dass er bei der Stichwahl Mubaraks ehemaligen Kurzzeit-Premierminister Ahmad Schafiq nur sehr knapp schlagen konnte, verstärkte diesen Eindruck nur noch. Aber Mursi befreite sich aus der Umklammerung und versuchte vom ersten Tag an, eigene Akzente zu setzen.

Wirtschaftsprobleme und Sinai

Dabei handelte er geschickt und arrangierte sich zu Beginn seiner Amtszeit mit den Militärs. Wie übrigens auch die aus den Muslimbrüdern hervorgegangene Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, die im Gegensatz zu den liberal-säkularen Kräften nicht auf Konfrontation zur Militärjunta ging. Ihr nun ruhendes Mitglied Mursi  ging Tantawi nicht etwa aus dem Weg, sondern zeigte sich mit ihm. Andererseits bewies der Präsident Mut und annullierte per Dekret die . Die Männer in Uniform verzichteten auf den Gegenschlag. Parallel dazu unter seinem ihm politisch nahestehenden Hescham Kandil mit Technokraten, Islamisten und Wunschkandidaten der immer noch mächtigen Armee.  

Mursi weiß um das schlechte Standing, das Tantawi und seine Truppen bei den Ägyptern haben. Auf dem Kairoer Tahrir-Platz wird weiter demonstriert - der Druck im ägyptischen Kessel stieg in den vergangenen Monaten wieder. Zum einen hat sich die wirtschaftliche Lage Ägyptens dramatisch verschlechtert, das Heer der Menschen ohne Arbeit ist größer geworden. Die fragile politische Lage in Ägypten schreckt viele Ausländer davon ab, ihren Urlaub am Roten Meer oder auf einem Nilschiff zu verbringen. Damit brechen wichtige Einnahmen weg. Vielen Menschen geht es derzeit ökonomisch schlechter als zu Mubaraks Zeiten. Diese Fakten überdecken die Verdienste des Militärs, die es bei der - im Vergleich zu Libyen und Syrien - relativ friedlichen politischen Umwälzung hat.

Trauerfeier für die auf dem Sinai getöteten Soldaten.

Trauerfeier für die auf dem Sinai getöteten Soldaten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Zum anderen war das Sinai-Desaster Wasser auf die Mühlen des Präsidenten. Die Attacke von militanten Islamisten auf einen Militärposten an der Grenze zu , die 16 ägyptischen Soldaten das Leben kostete, verdeutlichte die Unfähigkeit des Militärrates, den für Ägypten lebensnotwendigen Frieden mit dem jüdischen Staat sicherzustellen. Nicht Tantawi, sondern der Islamist Mursi beruhigte die Regierung in Jerusalem und . Vielleicht ist deshalb eine Art Vertrauensverhältnis zwischen Mursi und Tantawi entstanden. Wie der Feldmarschall ist anscheinend auch der Präsident aus wirtschaftlichen Gründen bereit, friedliche nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen.

Sitzt Mursi nun fest im Sattel? Eine Antwort darauf ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig. Die Armee ist nach wie vor ein wichtiger Machtfaktor in Ägypten - und das nicht nur in militärischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht, betreibt sie doch zahlreiche Unternehmen des Landes. Das Schwierigste steht dem Präsidenten noch bevor: Die Entwirrung der politischen Situation Ägyptens unter besonderer Berücksichtigung der angespannten sozialen Lage.

Einen wichtigen ausländischen Verbündeten hat der Islamist bereits: die Vereinigten Staaten von Amerika, das Land, in dem Mursi promoviert hat. Ihre Außenministerin hatte jüngst bei einem Besuch in Kairo den Militärs nahegelegt, in die Kasernen zurückzukehren, um den demokratischen Wandel in Ägypten zu ermöglichen. Die USA spielen, so scheint es jedenfalls, die Karte Mursi. Dem scheint sich Tantawi gebeugt zu haben. Somit drohen Ägypten glücklicherweise keine syrischen Verhältnisse, bei der die Streitkräfte auf das eigene Volk schießen.

Quelle: ntv.de

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