Weitere Rüstungsgeschäfte belasten de Maizière Muss der Minister jetzt seinen Posten räumen?
26.08.2013, 17:40 Uhr
Minister de Maizière setzt auf den Hubschrauber NH90. Künftig wohl auch bei der Marine.
(Foto: picture alliance / dpa)
Euro Hawk, Euro Fighter und jetzt auch noch ein umstrittener Kauf von Hubschraubern für die Marine. Die Opposition ist überzeugt: Verteidigungsminister de Maizière sollte schnellstens sein Amt aufgeben. Parteiunabhängige Rüstungsexperten sehen das anders.
Ausgerechnet heute: Der Untersuchungsausschuss des Parlaments zum gescheiterten Kauf von Aufklärungsdrohnen hat gerade seine letzte Sitzung beendet. Und die Liste der umstrittenen Rüstungsgeschäfte des Verteidigungsministeriums wächst schon wieder weiter. Medienberichten zufolge verprasst Ressortchef Thomas de Maizière Steuergelder auch bei neuen Lenkflugkörpern und den Hubschraubern des Typs NH90 "Sea Lion". Für die Opposition ist klarer denn je: Der Minister muss seinen Posten räumen. Doch ist die Sache wirklich so klar?
Auf den ersten Blick heißt die Antwort: Ja. Das Dilemma für den CDU-Politiker begann mit der Aufklärungsdrohne Euro Hawk. Im Mai 2013 musste de Maizière aus dem Rüstungsprojekt aussteigen, weil sich abzeichnete, dass die moderne Drohne ohne erhebliche Zusatzinvestitionen nie eine Fluggenehmigung für den zivilen Luftraum erhalten würde. Nur wenige Wochen danach drangen erhebliche Probleme beim Kampfflugzeug Euro Fighter an die Öffentlichkeit. Trotz etlicher technischer Mängel, sprengt die Anschaffung offenbar deutlich die Kosten, mit der das Verteidigungsministerium gerechnet hat.
Und nun? Einem Bericht des "Spiegel" zufolge setzt das Verteidigungsministerium bei der Marine auf Lenkflugkörper mit offensichtlichen technischen Fehlern. Ende Mai testete die Korvette "Magdeburg" zwei der Geschosse. Kosten pro Stück: rund eine Millionen Euro. Die Lenkflugkörper krachten ins Meer. Laut Bundeswehrangaben wegen eines "einmaligen Produktionsfehlers" an dem einen Flugkörper und Mängeln im Kraftstoffsystem am anderen. Der nächste Termin für eine "Einsatzprüfung" steht trotzdem schon: 2014 soll es so weit sein.
Und als wäre all das nicht genug, will das Verteidigungsministerium laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit dem Hubschrauber NH90 "Sea Lion" auch noch Gerätschaften im Wert von mehr als 900 Millionen Euro anschaffen, obwohl der Hubschrauber den Anforderungen der Seestreitkräfte nicht genügt.
Brüssel prüft Verstoß gegen Wettbewerbsrecht
Um welche Anforderungen es sich genau handelt, sind Bundeswehrinterna. Die Zeitung zitiert aber aus einem unter Verschluss gehaltenen Bericht. Demnach ist der Hubschrauber vom Typ CH-148 Cyclone vom US-Hersteller Sikorsky die beste Wahl für die Marine. Sein "operativer Nutzwert" ist laut dem Bericht doppelt so hoch wie der des NH90. Das Ministerium entschied sich trotzdem gegen den Sikorsky. Ohne öffentliche Ausschreibung vergab es im März 2013 den Auftrag für 18 Hubschrauber des Typs "Sea Lion" an den Hersteller Eurocopter.
Für die Opposition ist die Lage eindeutig: Minister de Maizière ist dem Druck der Rüstungslobby erlegen. Denn um Geld zu sparen, wollte sein Haus damals eigentlich die Zahl der angeforderten Hubschrauber vom Hersteller Eurocopter von 202 auf 139 senken. Im Gegenzug für die Stornierung ließ sich de Maizière aber auf den zusätzlichen Kauf von jenen 18 "NH90" für die Marine ein. Am Ende hat das Ministerium Luftfahrtfachleuten zufolge so nur 2,7 Prozent der Gesamtkosten gespart, bekommt dafür aber 45 Hubschrauber weniger. Der SPD-Obmann im Euro-Hawk-Untersuchungsausschuss Rainer Arnold sagte n-tv: "Wir bekommen für viel Geld nur weniger Fluggeräte."
Weil es keine Ausschreibung für das Projekt gab, prüft die Europäische Kommission derzeit zudem eine Beschwerde wegen eines "möglichen Verstoßes" gegen das europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht.
Arnold fordert angesichts der Fehltritte des Ministers, vor allem wegen der Euro-Hawk-Affäre, personelle Konsequenzen. "Er hat die Verantwortung und sollte sie jetzt auch wahrnehmen."
Pannen bei Rüstungsgeschäften sind "üblich"
Ganz so verheerend, wie es angesichts der Medienberichterstattung und der Kritik der Opposition erscheint, ist das Wirken de Maiziéres allerdings nicht. Zumindest, sehen das parteiunabhängige Rüstungsexperten so.
Über die jüngste Affäre rund um den Hubschrauber NH90 sagt Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): Da sei viel Wahlkampf im Spiel. Dass der Hubschrauber angeblich nicht in Gänze den Anforderungen der Truppe entspreche, sei Auslegungssache. "In den Anforderungen liegt meistens schon die Handschrift der Teilstreitkräfte oder der rüstungspolitischen Abteilungen des Verteidigungsministeriums, die ihre Vorlieben haben." Die formulierten den Anforderungskatalog dann letztlich so, dass er nur auf einen Typ Hubschrauber passe. Dass es neben militärtechnischen aber auch rüstungspolitische Interessen der Bundesrepublik gebe, werde in der Diskussion nicht offen angesprochen.
Im Falle des NH90 macht Mölling deutlich, was er damit meint. Dem Experten zufolge kann es gut sein, dass der Sikorski-Hubschrauber am ehesten die Ansprüche der Marine erfüllt. Doch beim Kauf des NH90 gehe es auch darum, die europäischen Streitkräfte zu harmonisieren. "Es fliegen schon diverse Seestreitkräfte in der Europäischen Union mit dem NH90. Langfristig ist es natürlich billiger, eine große gemeinsame Flotte in Europa zu betreiben", sagt Mölling. Vor allem bei Wartungskosten, die heute rund 80 Prozent der Gesamtkosten ausmachten, könnte man dadurch künftig sparen.
Alle Regierungen sind beteiligt
Auch in Sachen Euro Hawk und Euro Fighter nimmt Mölling den Minister in Schutz. Dass es zu steigenden Kosten und technischen Mängeln komme, sei üblich bei nahezu allen Rüstungsgeschäften. Eine Auffassung, die nicht nur Mölling vertritt. Andere Rüstungsexperten wie Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik argumentieren ähnlich. Für Mölling gibt es zudem ein weiteres Argument, das in letzter Konsequenz gegen einen Rücktritt de Maiziéres spricht: "All die Rüstungsgeschäfte, um die es hier geht, haben eine Laufzeit von mindestens eineinhalb Dekaden. Alle Regierungen der letzten Jahre sind daran beteiligt."
Mölling wird noch deutlicher. Es treffe Verteidigungsminister der Union wie Franz Josef Jung genauso wie Peter Struck oder Rudolph Scharping von der SPD. "Ich glaube nicht, dass Thomas de Maizière einen schlechteren Job macht als seine Vorgänger", sagt Mölling. Seiner Meinung nach tritt das Dilemma, in dem alle Verteidigungsminister schon immer steckten, nämlich die unterschiedlichen und sich ändernden Ziele von Rüstung zu vereinen, angesichts der mikroskopisch genauen Betrachtung des politischen Geschehens im Wahlkampf nur deutlicher zu Tage als zu anderen Zeiten.
Verstoß gegen Wettbewerbsregeln wäre das Aus
Ganz so klar ist es also nicht, dass de Maizière sein Amt spätestens jetzt aufgeben muss - nachdem zum Euro-Hawk- und Euro-Fighter-Debakel auch noch ein Sea-Lion-Debakel- hinzugekommen ist. Bei dem Hubschrauber-Geschäft ist vieles noch zu unklar. Vor allem die Frage, ob die Entscheidung für den NH90 jenseits der rein militärtechnischen Aspekte, den Wünschen der Marine, womöglich tatsächlich die klügere Wahl für die Bundesrepublik ist. Das allerdings ist eine Frage, die Regierung, Opposition und Militärexperten wohl besser nach der Bundestagswahl sachlich debattieren sollten.
Drängend und kritisch ist allerdings ein zweiter Punkt: Dass der Minister darauf verzichtet hat, das Projekt öffentlich auszuschreiben. Sollte die EU-Kommission zu dem Schluss kommen, dass sein Haus beim Hubschrauber-Deal gegen Wettbewerbsregeln verstoßen hat, ist de Maizière ganz sicher nicht mehr zu tragen. Denn dann geht es nicht mehr um eine Abwägungsfrage, sondern um Rechtsbruch.
Quelle: ntv.de