Politik

Fremdenfeindlichkeit in Italien Mutieren die Sizilianer zu Rassisten?

Das Community Center in Catania vermittelt Migranten auch  in Praktika, um ihre Integration zu fördern.

Das Community Center in Catania vermittelt Migranten auch in Praktika, um ihre Integration zu fördern.

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)

Solidarität stellte in Sizilien immer einen hohen Wert dar. Jetzt dienen Frustration und Armut dazu, Ablehnung gegen Migranten zu schüren. Die christliche Gemeinschaft Sant'Egidio stellt sich dagegen - mit Gebeten und Sozialarbeit.

In Rom wurde unlängst ein Roma-Junge angeschossen und so schwer verletzt, dass er ein Leben lang daran leiden wird. Die italienische Leichtathletin Daisy Osakue wurde vor einer Woche in der Nähe ihrer Heimatstadt Turin aus einem fahrenden Auto mit einem Ei beworfen. Und das sind nur zwei Ereignisse einer langen Liste rassistischer Gewalt. Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR warnt bereits vor einem "Eskalieren zügelloser Gewalt, die eine alarmierende rassistische Motivation" zeige.

Die Sizilianer schienen lange gegen Rassismus immun zu sein. Nicht mit fremdenfeindlichen Übergriffen, sondern mit ihrer Solidarität sorgten sie immer wieder für Schlagzeilen. Noch vor wenigen Wochen erklärte der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, bei einem Treffen mit der Auslandspresse: "Wenn mich jemand fragt, wie viele Migranten wir hier haben, antworte ich: 'Keine'. Denn wer in Palermo ankommt, ist automatisch Palermitaner." Doch vom "Continente", wie die Sizilianer das Festland nennen, weht ein zunehmend rauer Wind. Die Anti-Migranten-Tiraden des Innenministers Matteo Salvini scheinen auch in Sizilien Wurzeln zu schlagen.

In Catania, der zweitgrößten Stadt der Insel, wurde unlängst zwei schwarzen Frauen das Einsteigen in einen Bus verwehrt. In Partinico gab es einen Angriff auf einen jungen Senegalesen. In Agrigento wurde ein Jugendlicher aus Gambia von einer Gruppe gleichaltriger Italiener drangsaliert. "Werden wir Sizilianer zu Rassisten?", fragen sich die hiesigen Medien.

"In der Tat hat es solche Vorfälle bisher hier nirgendwo gegeben", sagt Emiliano Abramo, der örtliche Vorsitzende von Sant'Egidio, bei einem Treffen in Catania. Die Gemeinschaft Sant'Egidio ist eine katholische Laienbewegung, die gerade ihr 50. Jubiläum feiert. Seit Jahren setzt sie sich auch für Migranten ein; erst unlängst hat sie über einen humanitären Korridor Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien und dem Libanon eingeflogen. Für die Arbeit von Sant'Egidio interessiere sich auch die deutsche Bundesregierung, sagt Abramo. "Hier in Catania war auch schon Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu Besuch." Vor drei Jahren war das, von der Leyen lobte damals die integrative Arbeit der Gemeinschaft.

"Da nutzt jemand ein Gefühl der Machtlosigkeit aus"

Angesichts der jüngsten Vorfälle auf seiner Insel zeigt sich Abramo, ein aufgeschlossener, temperamentvoller Mitdreißigjähriger, besorgt, nicht jedoch resigniert. Es sei noch nicht zu spät, diesem Wandel entgegenzusteuern, meint er. Man müsse sich aber beeilen. "Da nutzt jemand eine tief sitzende Frustration, ein Gefühl der Machtlosigkeit aus, für die die Migranten aber nichts können. Die hohe Arbeitslosigkeit zum Beispiel gibt es hier schon immer. Und unter den Menschen, die wir betreuen, stellen die Italiener noch immer den Großteil dar."

Und wie will Sant'Egidio der wachsenden Fremdenfeindlichkeit entgegentreten? Für Abramo gibt es nur ein einziges, einfaches und seit Jahren bewährtes Rezept: Man muss die Einheimischen mit den neu Angekommenen zusammenführen. "Als am 10. August 2013, zum ersten Mal, und zwar nicht auf einer kleinen Insel, sondern hier in Catania, ein Flüchtlingsboot mit mehr als 100 jungen Ägyptern strandete - sechs darunter starben knapp vor der Küste -, war die Stadt überhaupt nicht darauf vorbereitet. Trotzdem, und obwohl die meisten Catanesi im Urlaub waren, lief alles reibungslos ab. So ist es in den Jahren darauf geblieben, egal ob wenige oder bis zu tausend Flüchtlinge am Tag ankamen. Was mich damals besonders beeindruckte, war das Mitgefühl, das die Bevölkerung diesen Menschen entgegenbrachte."

Diese Empathie müsse erhalten und gepflegt werden. Die Menschenketten, die einst entstanden, um die Migranten vor dem Ertrinken zu retten, müssten auch im übertragenen Sinn weiterbestehen. Neben Nahrung, Kleidung und Unterkunft bräuchten die neu Angekommenen "auch Nahrung für die Seele", sagt Abramo. Weswegen Sant'Egidio einmal in der Woche im nicht weit von Catania gelegenen Aufnahmezentrum Mineo, dem größten in Europa, zu einem Gemeinschaftsgebet einlädt. Jeder, der will, kann daran teilnehmen, ungeachtet der Religion.

Ebenso wichtig sind die sozialen Projekte, an denen die Migranten teilnehmen können. "Die meisten melden sich erstaunlicherweise für die Betreuung älterer Menschen. Das mag auch mit der geringeren Lebenserwartung in den Herkunftsländern zu tun haben, weswegen ein 80-Jähriger für sie eine Besonderheit darstellt." Es sei den Migranten zu verdanken, dass Sant'Egidio den Dienst für die Alten im August nicht habe einstellen müssen. "Die Älteren haben so immer Gesellschaft und sind dank der neu Angekommenen nicht vom Rest der Welt abgeschottet." Es ist doppelte Integration - und für Abramo der Schlüssel, um den Rassismus zu stoppen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen